Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2021 zeigt sich erneut, dass auch alltägliche Dinge zu politischen Streitpunkten werden können. So ist es auch beim Vorschlag der Grünen, den Kauf von Lastenfahrrädern mit 1000 Euro vom Staat zu fördern. Den Befürwortern zufolge wäre dies ein Weg, um autofreien Verkehr zu fördern. Viele Gegner sprechen von Klientelpolitik für grünwählende Großstadtfamilien, die die Zahl der Autos in Deutschland aber nicht reduzieren werde.
Es sei einer der vielen Irrtümer in der Debatte, dass sich Lastenräder vor allem in der Stadt eignen, sagte der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin im Deutschlandfunk. "Lastenräder sind vor allen Dingen für Menschen und Haushalte interessant, die in ländlichen Gegenden oder am Stadtrand wohnen. (...) Natürlich sieht man sie im Moment auch in der Stadt, aber da haben sie eben das Problem, dass sie da keinen ausreichenden Platz haben." Das Lastenrad könne man vor allem für die vielen Zwecke, für die das Auto genutzt werde, etwa die berühmten Fahrten zum Einkaufen, die etwa vier bis sechs Kilometer lang sind, wunderbar nutzen. "Dann würde das Auto zumindest diese Fahrt nicht machen und langfristig vielleicht auch ersetzt werden."
Untersuchungen zufolge geben Nutzer von Lastenrädern an, einige Fahrten des Autos ersetzt und langfristig zumindest das zweite Auto im Haushalt abgeschafft zu haben. "Wenn man den Zugang zu den ja doch sehr teuren Rädern verbreitert – sie müssen ja etwa 4.000 bis 5.000 Euro für ein gutes Lastenrad zahlen – dann gehen wir davon aus, dass eine relevante Zahl von Fahrten mit dem Auto ersetzt werden könnte – und auch eine nennenswerte Zahl von Autos gänzlich dann auch abgeschafft werden könnte", so Knie.
"Wir müssen ja mal zugeben, dass das Auto, das gewerbliche Auto, das private Auto mit 50 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert wird." Für Haushalte und Familien, die kleinere Einkommen haben, wären und würden Lastenräder interessant, wenn sie tatsächlich bezahlbar wären. "Deshalb sind diese Ideen der Grünen, diese Lastenräder zu subventionieren oder den Kauf zu bezuschussen, eine wunderbare Idee", so Andreas Knie. Programme ähnlicher Art hätten bereits in Städten sowie in ländlichen Regionen großen Erfolg gehabt. "Wir haben da sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesen Programmen und deswegen sollte man sie bundesweit ausweiten."
Mit Subventionierungen müsse man Lenkungseffekte erzielen. Deswegen sprach sich Andreas Knie dafür aus, dass der Staat künftig die Verkehrsmittel von privat und gewerblich Fahrenden nur noch dann bezuschusst, wenn sie CO2-frei sind. "Alles andere kommt jetzt nicht mehr in Frage."
Das Interview im Wortlaut:
Armbrüster: Herr Professor Knie, fahren Sie selbst auch so ein Lastenfahrrad?
Knie: Nein, ich habe leider kein solches Rad. Bei mir in der Stadt ist es dafür viel zu eng.
Armbrüster: In Berlin ist es zu eng dafür?
Knie: Ja!
Armbrüster: Wieso meinen dann viele, dass gerade da so viele unterwegs sind?
Knie: Das ist einer der vielen Irrtümer in dieser Debatte. Lastenräder sind vor allen Dingen für Menschen und Haushalte interessant, die in ländlichen Gegenden wohnen oder am Stadtrand wohnen. Natürlich sieht man sie im Moment auch in der Stadt, aber da haben Sie das Probleme, dass Sie dafür keinen ausreichenden Platz haben. Das heißt, wir könnten mit den Lastenrädern vor allen Dingen die vielen Zwecke, die man immer angibt, die für das Auto so notwendig sind – das sind die berühmten Fahrten zum Einkaufen, die etwa vier bis sechs Kilometer lang sind -, dafür könnte man ein Lastenrad wunderbar nutzen, und dann würde das Auto zumindest diese Fahrt nicht machen und vielleicht langfristig dann auch tatsächlich ersetzt werden können.
Armbrüster: Das heißt, Sie sagen, diese Räder könnten tatsächlich dafür sorgen, dass weniger Autos unterwegs sind?
Knie: Ja. Wir kennen diese Lastenräder ja schon länger. Das ist ja keine neue Erfindung. Es gibt sie schon etwa 10 bis 15 Jahre und wir beforschen diese Menschen, die diese Lastenräder nutzen, und die geben tatsächlich an, dass sie damit erst die Fahrt die Fahrten des Autos ersetzt haben, und langfristig haben sie das Auto, zumindest das zweite Auto im Haushalt dafür auch abgeschafft.
Ein gutes Lastenrad kostet: 4.000-5.000 Euro
Armbrüster: Was wird denn mit solchen Lastenrädern transportiert?
Knie: Da wird alles transportiert, von den Kindern morgens zum Kindergarten oder zur Kita angefangen bis die üblichen Getränke. Der Klassiker ist immer noch die Fahrt zum Getränkehandel, für das das Auto ja wunderbar geeignet ist, und das kann dann das Lastenrad übernehmen.
Armbrüster: Kann es auch sein, dass Menschen, die sich so ein Rad anschaffen, dann tatsächlich das Auto abschaffen?
Knie: Das muss man schauen. Bisher haben wir wirklich nur Pioniere gehabt, die ganz mit Feuer und Flamme dabei sind, so was zu tun. Aber wenn man das etwas verbreitet und wenn man den Zugang zu den ja doch sehr teuren Rädern – Sie müssen etwa 4.000 bis 5.000 Euro für ein gutes Lastenrad schon zahlen -, wenn man das etwas verbreitern könnte, dann gehen wir davon aus, dass da eine relevante Zahl von Fahrten tatsächlich mit dem Auto ersetzt werden könnte und auch eine nennenswerte Zahl von Autos gänzlich dann auch abgeschafft werden könnte.
Armbrüster: Was sagen Sie denn als Verkehrsexperte? Wäre es in der aktuellen Situation eine gute Idee, den Kauf solcher Räder tatsächlich zu subventionieren, mit tausend Euro pro Fahrrad? Kann man damit wirklich etwas bewirken?
Knie: Damit kann man genau diese Effekte bewirken und wir müssen ja zugeben, dass das Auto, das gewerbliche Auto, das private Auto mit 50 bis 60 Milliarden pro Jahr subventioniert wird. Da tun wir uns ja doch sehr viel gönnen. Für Lastenräder, die sehr teuer sind, und vor allen Dingen für Haushalte und Familien, die kleinere Einkommen haben interessant wären, wenn sie denn tatsächlich bezahlbar wären. Deshalb sind diese Ideen der Grünen, diese Lastenräder zu subventionieren oder den Kauf dieser Lastenräder zu bezuschussen, eine wunderbare Idee. Wir haben ja schon Programme ähnlicher Art in Städten. Da sind diese Programme sofort ausverkauft gewesen. Übrigens auch in ländlichen Regionen wie beispielsweise in Thüringen. Wir haben da sehr, sehr gute Erfahrungen mit diesen Programmen gemacht und von daher sollte man sie bundesweit durchaus ausweiten.
Armbrüster: Aber macht das denn wirklich Sinn, einzelne Verkehrsmittel – Sie haben es angesprochen; auch die Autos werden subventioniert -, macht das wirklich Sinn, dass der Staat in den Kauf von solchen Verkehrsmitteln, egal ob Autos oder Fahrräder, ständig Geld reinsteckt, dass er den Menschen auch noch nach dem Gießkannenprinzip Geld in die Taschen gibt, damit sie sich dieses oder jenes Verkehrsmittel kaufen können?
Knie: Der Staat macht das schon seit vielen Jahrzehnten immer.
"Subventionierungen müssen Lenkungseffekte erzielen"
Armbrüster: Und wäre es nicht deshalb an der Zeit, das mal zu hinterfragen?
Knie: Das ist in der Tat richtig. Man muss mit diesen Abgaben oder mit diesen Bezuschussungen, mit diesen Subventionierungen Lenkungseffekte erzielen und das Lastenrad ist eine CO2-freie Transportfunktion. Das heißt, der Staat sollte zukünftig tatsächlich seine Verkehrsmittel oder die Verkehrsmittel von privaten und gewerblichen Menschen oder gewerblich fahrenden oder gewerblich motivierten Menschen wirklich nur noch dann bezuschussen, wenn sie CO2-frei sind. Alles andere kommt jetzt nicht mehr in Frage und deshalb müssen die Privilegien des Verbrenner-betriebenen Autos jetzt drastisch eingeschränkt werden. Aber Lastenräder sind in dem Fall eine gute Sache und sollten aus der Nische heraus in eine breitere Sichtbarkeit gebracht werden, und da könnte der Staat tatsächlich Gutes tun.
Armbrüster: Aber wäre es dann nicht sinnvoll, wenn der Staat, wenn wir das mal so sagen können, auch nachprüfen würde, dass der Kunde oder die Kundin tatsächlich auch weniger Auto fährt oder möglicherweise sogar das Auto verschrottet hat? Man könnte ja zum Beispiel sagen, wer diese Subvention haben möchte, der sollte bitte beweisen, belegen, dass sein Auto abgewrackt wurde.
Knie: Ja, das ist eine gute Idee. Das haben wir auch schon mal vorgeschlagen. Man kann zum Beispiel auch die Fahrten mit Bahnen oder Bahncards bezuschussen, wenn dafür tatsächlich nachweisbar ein Auto abgeschafft wird. Das wäre eine wirklich gute und auch überlegenswerte Form, die der Staat sich dann natürlich auch noch mal zu Gemüte führen könnte, damit wirklich nachweislich die Autos geringer werden, denn das sollte das Ziel der neuen Verkehrspolitik sein.
Armbrüster: Ziel der neuen Verkehrspolitik – das ist ein wichtiges Stichwort. Das bringt mich wieder zu einer etwas langfristigeren Frage. Wenn wir jetzt Autos subventionieren oder Fahrräder oder was auch immer, einzelne Produkte, wäre es nicht eigentlich viel besser, das Geld in Infrastruktur zu stecken, zum Beispiel in Fahrradwege, in Ladestationen für E-Autos? Damit könnte man wirklich langfristig etwas bewirken und dann könnte jeder sich selber entscheiden, welches Verkehrsmittel er kauft.
Knie: Das eine muss man tun, aber das andere darf man nicht lassen. Das heißt, natürlich brauchen wir Infrastruktur, vor allen Dingen – Sie haben es angesprochen – Fahrradinfrastruktur. Wir haben auch selbst in der Pandemie keineswegs für die Bundesrepublik insgesamt einen wirklichen großen Boom des Rades gesehen und wenn man die Leute fragt, warum fahrt ihr denn jetzt nicht Fahrrad, dann sagen die tatsächlich, es fehlen sichere Fahrradwege insbesondere in den ländlichen Regionen. Wir haben in den letzten vier, fünf Jahren maximal 400 bis 500 Millionen Euro in den Ausbau von Fahrradwegen gesteckt, stecken aber Milliarden weiterhin in den Ausbau von Autobahnen. Das muss gestoppt werden. Wir brauchen ein Moratorium für Straßen. Wir müssen zielgenauer und nicht mit der Gießkanne schauen, welche Infrastrukturen brauchen wir, und da haben Sie schon zwei angesprochen. Die Ladeinfrasttruktur, die öffentliche, muss ein wenig mehr werden, wobei die schon für die Zahl der Autos, die wir im Moment haben – wir haben ja noch nicht mal 500.000 rein batterieelektrische Autos; alles andere sind ja Hybride –, schon ganz gut ist. Die muss allerdings mehr werden. Und wir brauchen vor allen Dingen Fahrradwege.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.