Ein etablierter Literaturkritiker entdeckt Buch- und Literaturblogs - und wundert sich öffentlich, im Kulturteil. Über rosa Schmetterlinge und Namen wie "Glimmerfee", über BookTube-Videos, in denen Teenager Pakete voller Second-Hand-Romane auspacken und verzückt ("Schaut, wie das glänzt!") in die Kamera halten. Über Instagram-Accounts, die jedes Buch zwischen Teetassen, Plüsch-Eulen und Sukkulenten drapieren. Meist junge Buch-Begeisterung: viel lauter, ungezügelter, oft unbeholfener als gewohnt.
Literaturblogs sehen sich selten als Konkurrenz oder Alternative zum Feuilleton und der etablierten Literaturkritik: Viele Blogs wollen persönliche Favoriten und Leseeindrücke teilen, subjektiv und persönlich. Gute Bücher sind hier Bücher, die ans Herz gehen, mitreißen, in andere Welten entführen. Das ist die Spitze des Eisbergs: gefühlig, glitzernd, euphorisch.
Literaturblogs sehen sich selten als Konkurrenz oder Alternative zum Feuilleton und der etablierten Literaturkritik: Viele Blogs wollen persönliche Favoriten und Leseeindrücke teilen, subjektiv und persönlich. Gute Bücher sind hier Bücher, die ans Herz gehen, mitreißen, in andere Welten entführen. Das ist die Spitze des Eisbergs: gefühlig, glitzernd, euphorisch.
"Mit Geschrei durch den Bestsellerschlamm"
Von einem guten Kulturjournalisten erwarte ich heute mehr, als diese Spitze immer neu und verwundert zu beschreiben - als hätte er oder sie vorgestern zum ersten Mal "Buchblog" bei Google eingegeben. "Die Geschichte muss leicht verständlich sein. Werden verschiedene Zeitebenen verschränkt, kommt das bei vielen Bloggern schon mal nicht gut an. Die Figuren müssen sympathisch und ihre Handlungen nachvollziehbar sein", verallgemeinert Ana Maria Michel 2016 in der ZEIT. Oliver Jungen spricht in der FAZ vom "geschminkten Lesen": "Sie rutschen mit Geschrei durch den Bestsellerschlamm und halten reihenweise beschwärmte Titel in die Kamera, von denen man in den Feuilletons des Landes nicht einmal ahnt, dass sie existieren."
Zwei der bräsigeren Texte stammen von Marc Reichwein, Redakteur bei der WELT: 2017 schmunzelte er über Blogger, die nicht wissen, wer Stefan Zweig ist. Schon 2016 höhnte er deutlich aggressiver über die "skurrile Emporlesebiografie" von Tobias Zeising, Blogger bei Lesestunden.de, und dessen Marotte (oder Rechtschreibschwäche?), im Dativ oft das -n am Ende eines Wortes wegzulassen: "Der Tobi von Lesestunden sucht ein N". Als einer der wenigen männlichen Buchblogger findet er vielleicht, "falls er Single ist, ein ganz großes L."
Zwei der bräsigeren Texte stammen von Marc Reichwein, Redakteur bei der WELT: 2017 schmunzelte er über Blogger, die nicht wissen, wer Stefan Zweig ist. Schon 2016 höhnte er deutlich aggressiver über die "skurrile Emporlesebiografie" von Tobias Zeising, Blogger bei Lesestunden.de, und dessen Marotte (oder Rechtschreibschwäche?), im Dativ oft das -n am Ende eines Wortes wegzulassen: "Der Tobi von Lesestunden sucht ein N". Als einer der wenigen männlichen Buchblogger findet er vielleicht, "falls er Single ist, ein ganz großes L."
Immer die gleichen Muster
Sticheleien, Abwehrreaktionen, Verallgemeinerungen, viel Social-Media-Skepsis und Bildungsbürger-Dünkel: Die Angriffe des Feuilletons ("Das ist doch keine Literaturkritik!") und die Erwiderungen vieler Buchblogs ("Ihr Langweiler sterbt eh bald aus: Wir wollen euch nicht ersetzen. Trotzdem sind wir die Zukunft!") folgen seit Jahren den gleichen Mustern.
Umso schöner, dass Katharina Herrmann, Bloggerin bei 54Books, das müde Hin und Her noch einmal viel grundsätzlicher, ideologiekritisch und kulturwissenschaftlich, beleuchtet: Ihr langer Text zu Reichwein, Tobias Zeisings N, lesenden Frauen und hämischen Journalisten zeigt, wie Menschen, seit Literatur ihnen Aufstiegschancen und kulturelles Kapital verspricht, versuchen, an Büchern und Lektüre zu wachsen. Und wie man Frauen, seit sie ihre Tage mit Romanen füllen können, spiegelt: "Euer Lesen, eure Bücher, eure Lesesucht ist wenig wert."
"Durch das Lesen erhoffte man sich sozialen Aufstieg. Insbesondere Pfarrer und Pädagogen sprachen von einer 'Leseseuche', von 'Lesewut', von 'wildem Lesen', die zu einem Rückzug der Menschen aus dem Alltag in Phantasiewelten führe. Das verdummende Lesen, das abzuwertende Lesen der Weiber und des Pöbels – das ist 'Lesewut'. Nennt Marc Reichwein (oder irgendein Redakteur, der dafür zuständig ist) seinen Artikel 'Lesewut 3.0', so ist das ein Zitat, bedient das die traditionelle Abwertung eines Lebensstils."
Umso schöner, dass Katharina Herrmann, Bloggerin bei 54Books, das müde Hin und Her noch einmal viel grundsätzlicher, ideologiekritisch und kulturwissenschaftlich, beleuchtet: Ihr langer Text zu Reichwein, Tobias Zeisings N, lesenden Frauen und hämischen Journalisten zeigt, wie Menschen, seit Literatur ihnen Aufstiegschancen und kulturelles Kapital verspricht, versuchen, an Büchern und Lektüre zu wachsen. Und wie man Frauen, seit sie ihre Tage mit Romanen füllen können, spiegelt: "Euer Lesen, eure Bücher, eure Lesesucht ist wenig wert."
"Durch das Lesen erhoffte man sich sozialen Aufstieg. Insbesondere Pfarrer und Pädagogen sprachen von einer 'Leseseuche', von 'Lesewut', von 'wildem Lesen', die zu einem Rückzug der Menschen aus dem Alltag in Phantasiewelten führe. Das verdummende Lesen, das abzuwertende Lesen der Weiber und des Pöbels – das ist 'Lesewut'. Nennt Marc Reichwein (oder irgendein Redakteur, der dafür zuständig ist) seinen Artikel 'Lesewut 3.0', so ist das ein Zitat, bedient das die traditionelle Abwertung eines Lebensstils."
Blogger-Häme im Feuilleton ist beschämend
2012 fragte mich der Berliner Tagesspiegel, ob ich gute Literaturblogs nennen kann. Ich kannte nur einen - und merkte erst an den enttäuschten Leserkommentaren, wie ignorant ich bin. 2015 bloggte ich eine Liste mit 50 Blogs, über die ich ernsthaft sagen kann: Hier werden mir Bücher und Ideen vorgestellt in einer Fülle und Tiefe, die es oft mit dem Feuilleton aufnehmen kann. 2016 nahm ich mir Zeit, Booktuber zu finden und zu empfehlen. Ein Kultur-Redakteur, der sich 2017 Platz im Feuilleton nimmt, um über Buchblogs nur zu sagen, wie viele er skurril oder gefühlig findet, beschämt mich.
Der wunderbare Grundsatz-Text von Katharina Hermann zeigt in Details, wie oft und erbittert "weibliches" Lesen (versunken, gefühlvoll) noch immer gegen "männliches" Lesen (informativ, nüchtern) aufgewogen und ausgespielt wird. "Genau diese beiden Arten von Lesen existieren bis heute, wie die Lesesozialisationsforschung weiß: Mädchen sind in der Schule inzwischen erfolgreicher als Jungen, weil sie viel mehr lesen. Mädchen lesen dabei fiktionale Texte, Jungen lesen Sachbücher. Die Grundlagen dafür liegen im 18. Jahrhundert. Und: Würde diese Aufteilung endlich überwunden werden, würde 'viel lesen, weil es eben Spaß macht' nicht mehr als 'weiblich' und damit als defizitär gelten, würden auch Jungen mehr lesen, würden sie besser in der Schule abschneiden. Um was es hier geht, ist schlicht auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit."
Der wunderbare Grundsatz-Text von Katharina Hermann zeigt in Details, wie oft und erbittert "weibliches" Lesen (versunken, gefühlvoll) noch immer gegen "männliches" Lesen (informativ, nüchtern) aufgewogen und ausgespielt wird. "Genau diese beiden Arten von Lesen existieren bis heute, wie die Lesesozialisationsforschung weiß: Mädchen sind in der Schule inzwischen erfolgreicher als Jungen, weil sie viel mehr lesen. Mädchen lesen dabei fiktionale Texte, Jungen lesen Sachbücher. Die Grundlagen dafür liegen im 18. Jahrhundert. Und: Würde diese Aufteilung endlich überwunden werden, würde 'viel lesen, weil es eben Spaß macht' nicht mehr als 'weiblich' und damit als defizitär gelten, würden auch Jungen mehr lesen, würden sie besser in der Schule abschneiden. Um was es hier geht, ist schlicht auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit."