Nach Messerangriff in Solingen
Debatte über Migrationspolitik - Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden

Der Messerangriff in Solingen hat eine neue Debatte über die Migrationspolitik ausgelöst. Die SPD-Vorsitzende Esken und der CDU-Bundesvorsitzende Merz forderten eine konsequente Abschiebung von Straftätern in ihre Heimatländer, Vize-Kanzler Habeck (Grüne) plädierte für eine Verschärfung des Waffenrechts.

    In Solingen wird um die Opfer getrauert. Viele Kerzen und Blumen liegen auf einem Bürgersteig.
    In Solingen wird um die Opfer getrauert. (IMAGO / NurPhoto / IMAGO / Ying Tang)
    Laut mehrerer Medienberichte sollte der mutmaßlich islamistische Attentäter von Solingen im vergangenen Jahr abgeschoben werden. Der Asylantrag des 2022 über Bulgarien nach Deutschland eingereisten 26-jährigen Syrers sei abgelehnt worden. Daraufhin sei er untergetaucht.
    Die SPD-Vorsitzende Esken sagte der "Rheinischen Post": "Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan." Die Sozialdemokratin betonte zugleich: "In einer offenen Gesellschaft wie der unseren gibt es keine absolute Sicherheit." Die Innenminister der Länder hätten die Möglichkeit, "die Anwendung von Messerverboten und anlassbezogener Videoüberwachung anzuweisen, und das sollten sie jetzt auch tun."

    Habeck: "Solche Menschen wollen wir hier nicht haben"

    Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) sagte, es müsse schnell geklärt werden, "ob es ein Netzwerk gibt, ob dieses Bekennerschreiben des IS so zu deuten ist, dass weitere terroristische Strukturen in Deutschland da sind, die entdeckt und zerschlagen werden müssen." Zudem müssten Straftäter hart bestraft werden. Bei Terrorismus, bei Islamismus, bei dem Angriff auf Leben und Freiheit dürfe es keine Toleranz geben. Wenn die Täter sich in Deutschland aufhielten, weil sie hier Schutz suchten, das Asylrecht in Anspruch nähmen, hätten sie diesen Anspruch verloren, sagte der Grünen-Politiker. "Solche Menschen wollen wir hier nicht haben." Habeck sprach sich auch für eine Verschärfung des Waffenrechts aus: "Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Niemand muss in Deutschland in öffentlichen Räumen Stich- oder Hiebwaffen tragen."

    Merz will Aufnahmestopp für Afghanistan und Syrien

    Der CDU-Bundesvorsitzende Merz forderte einen Aufnahmestopp für Menschen aus Afghanistan und Syrien. Die Tat reihe sich ein in eine Serie von Messerangriffen, die in der Mehrzahl von Flüchtlingen begangen würden, schrieb Merz auf seiner Homepage. Zudem bekräftigte er die Forderungen nach Abschiebungen in beide Länder.
    Bundesjustizminister Buschmann (FDP) kündigte an, in der Koalition über Maßnahmen gegen Messer-Kriminalität zu beraten. Sein Parteikollege, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Thomae, äußerte sich indes skeptisch zu einer möglichen Verschärfung des Waffenrechts. Täter ließen sich von einem Messerverbot nicht abschrecken, sagte er dem Deutschlandfunk.

    Bundesanwaltschaft ermittelt

    Gegen den 26-Jährigen mutmaßlichen Täter wurde Haftbefehl erlassen. Er hatte sich gestern Abend gestellt und angegeben, den Terroranschlag verübt zu haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Mordes und des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS. Bei dem Messerangriff auf einem Solinger Stadtfest waren am Freitagabend drei Menschen getötet und acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Nach Angaben der behandelnden Klinik sind alle Verletzten inzwischen außer Lebensgefahr.
    Der Beauftragte der Bundesregierung für Betroffene von terroristischen und extremistischen Anschlägen, Kober, übernimmt die Betreuung von Betroffenen. Mit seiner Kollegin in Nordrhein-Westfalen, Havliza, werde er ihnen beistehen, wo immer es gehe, erklärte Kober. Seine tief empfundene Anteilnahme sei bei den Hinterbliebenen der drei Toten. Zugleich gelte sein Mitgefühl den vielen Menschen, die diese abscheuliche Tat miterleben mussten.

    Hunderte Menschen bei Trauergottesdiensten

    In der Solinger Innenstadt kamen am Vormittag Hunderte Menschen in einer Kirche in Sichtweite des Tatorts zu einem Trauergottesdienst zusammen. Der Andrang war groß, Helfer schoben zeitweise zusätzliche Stühle in den Kirchenraum. "Wir spüren in diesen Tagen unsere Hilflosigkeit und unsere Ohnmacht", sagte Pfarrerin Friederike Höroldt. "Wir suchen aber Gemeinschaft. Wir suchen Beistand. Und deswegen kommen wir hier zusammen." Eigentlich hätte es einen Festgottesdienst anlässlich der 650-Jahr-Feier von Solingen geben sollen. Nun sei alles anders, betonte Höroldt. Ein zweiter Trauergottesdienst fand in einer katholischen Kirche statt. Bereits gestern Abend hatten sich rund 1.500 Menschen zum stillen Gedenken auf dem Neumarkt eingefunden.

    "Gegen den Kern unserer Gesellschaft"

    Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, mahnte angesichts des Messerangriffs, die Gefahr des islamistischen Extremismus ernst zu nehmen. "Der grausame Anschlag von Solingen schockiert uns alle, er richtet sich gegen den Kern unserer Gesellschaft", sagte Schuster in Berlin. "Die islamistische Ideologie will unsere Art zu leben zerstören." Die Entwicklungen der letzten Monate in Deutschland und in ganz Europa seien alarmierend. Islamismus sei "eine reale Bedrohung unserer offenen Gesellschaften", erklärte Schuster. "Wir müssen diese Gefahr ernst nehmen."
    Ähnlich äußerte sich die Konferenz der Europäischen Rabbiner. Anschläge wie in Solingen erinnerten eindringlich daran, dass der radikale Islam, der vom Iran, IS, der Hamas und anderen unterstützt und praktiziert werde, für die Zukunft Europas nicht weniger bedrohlich sei als die russische Aggression gegen die Ukraine.
    Diese Nachricht wurde am 26.08.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.