Stephanie Rohde: Wie schön wäre es, wenn jeder ein Herz für den nächsten hätte, und zwar im Wortsinne: ein Herz als Organspende. Das wünschen sich Mediziner und Krankenkassen. Sie fordern am heutigen Tag der Organspende, dass zukünftig jeder automatisch Organspender ist. Wer das nicht will, der soll dann ausdrücklich widersprechen. Widerspruchslösung nennt sich das Ganze. Bislang ist es ja umgekehrt geregelt: Nur wer ausdrücklich zustimmt und einen Organspendeausweis ausfüllt, der kann auch spenden. Bislang haben aber nur 36 Prozent der Deutschen einen solchen Ausweis und das, obwohl die große Mehrheit der Deutschen, also 84 Prozent, Organspenden positiv gegenüberstehen. Fast täglich sterben Menschen, weil sie keine gespendeten Organe bekommen. Im vergangenen Jahr wurden so wenig Nieren, Herzen und Lebern gespendet wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hat in dieser Woche einen Gesetzesvorstoß angekündigt.
In vielen europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung, jeder Mensch ist danach automatisch Organspender, außer er widerspricht. Ist eine solche Lösung sinnvoll für Deutschland, und wenn ja, warum hat sie die Union nicht schon längst eingeführt – darüber will ich jetzt sprechen mit Georg Nüßlein von der CSU. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, und er sitzt als Stellvertreter im Gesundheitsausschuss. Guten Morgen!
Georg Nüßlein: Guten Morgen!
Rohde: Sollen künftig alle Deutschen automatisch Organspender sein?
Nüßlein: Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Ich persönlich bin Anhänger einer Widerspruchslösung, das gebe ich offen zu. Leider ist die Statistik allerdings so, dass man nicht klar signifikant sagen kann, Widerspruchslösung führt zu einem höheren Aufkommen an Organen. Es ist von Land zu Land leider unterschiedlich und eben abhängig von dieser Frage dieser Widerspruchs- oder Zustimmungslösung.
Die Angehörigen kann man nicht entlasten
Rohde: Na ja, das kommt drauf an. Also während Patienten hierzulande durchschnittlich sechs Jahre auf eine Niere warten, sind es in Spanien nur zwölf Monate, und da gilt die Widerspruchslösung.
Nüßlein: Ja, aber in Ungarn ist es wieder anders. Also das hängt offenbar von anderen Rahmenbedingungen noch ab.
Rohde: Welchen denn?
Nüßlein: Beispielsweise der Frage, wie ersichtlich ist es denn – es gibt ja meistens Unfallsituationen –, dass es sich um einen Organspender handelt, wer kümmert sich im Krankenhaus drum, wie ist die Entnahme organisiert, all die Themen, die man in dem Zusammenhang sehen muss, und deshalb muss man zunächst mal die regeln. Ich gehe davon aus, das hat der Gesundheitsminister im Sinn, wenn er diese Initiative ankündigt. Dann muss es, aus meiner Sicht, in dem Zusammenhang im Deutschen Bundestag durchaus noch mal eine Debatte über die Frage geben, wie organisieren wir die Zustimmung oder ersatzweise führen wir die Widerspruchslösung ein. Ich persönlich bin Anhänger einer doppelten Widerspruchslösung, das heißt, man muss zu Lebzeiten widersprechen, und die Angehörigen haben auch noch die Möglichkeit zu widersprechen. Die Angehörigen kann man leider von der schwierigen Entscheidung nicht entlasten, die dann so oder so immer zu treffen ist, in der schwierigen Situation.
Rohde: Aber woher weiß man dann, dass das im Sinne der verstorbenen Person war?
Nüßlein: Na ja, also dieselbe Entscheidung haben Sie ja heute auch zu treffen. Das heißt, unabhängig vom Organspendeausweis werden die Angehörigen gefragt, wenn ein denkbarer Spendenfall vorliegt, und die müssen sich dann in dieser Schocksituation tatsächlich entscheiden. Das hat also mit der Frage, wie man an das Thema herangeht, nichts zu tun. Die Angehörigen werden wir immer behelligen.
Rohde: Sie setzen sich für diese Widerspruchslösung ein, finden das persönlich gut. Andere in der Union sehen das anders. Sagen wir mal, das kommt, wie soll das überhaupt gehen? Gibt es überhaupt genügend Kapazitäten, diese ganzen gespendeten Organe dann auch tatsächlich schnell zu transplantieren?
Nüßlein: Also wir reden ja nicht über riesige Mengen. Die Kapazitäten gibt es bei uns. Wir haben momentan leider das Problem, dass, wenn wir nichts ändern, dann hängen wir uns von diesem besonderen Teil der Medizin ab. Das heißt, wer keine Organe zum transplantieren hat, wird am Schluss auch im Bereich der Forschung und im Bereich der Umsetzung nicht an der Spitze bleiben.
Eine umfassend ethische Diskussion
Rohde: Jetzt kann man sich fragen, warum ist das nicht schon längst passiert, wenn Sie sagen, das ist eine gute Lösung, die könnte langfristig helfen? Wenn wir uns anschauen, jeden dritten Tag ist im vergangenen Jahr ein Patient gestorben, weil es keine passende Niere, Leber, Lunge oder Herz gab. Wie erklären Sie eigentlich den Angehörigen, dass die Regierung von der Union nicht schon längst diese Widerspruchslösung eingeführt hat?
Nüßlein: Ganz so einfach ist es nun nicht. Sie müssen Mehrheiten bilden. Ich glaube auch nicht, dass die fraktionsbezogen zu bilden sind, sondern das sind echte Gewissensentscheidungen, die man dann als Abgeordneter zu treffen hat. Da muss jeder seine innere Haltung prüfen und sich überlegen, was er den Menschen zumuten kann. Wir bekommen dann wieder eine umfassend ethische Diskussion. Was mir wichtig ist, ist, dass wir die anderen Schritte, die ich gerade beschrieben habe, nicht so weit durch die ethische Diskussion überlagern, dass wieder am Schluss nichts passiert. Ich glaube, wir müssen die Dinge sauber trennen, müssen die Voraussetzungen verbessern, dass Organe gespendet werden und dass das tatsächlich umgesetzt wird und müssen dann im zweiten Schritt noch mal ganz grundsätzlich diskutieren über die Frage, Widerspruch oder Zustimmung, da gibt es ein Für und ein Wider, das ist ganz klar. Ich glaube auch, dass man eine Zustimmungslösung so organisieren könnte, dass sie vom Ergebnis her ganz ähnlich aussieht, nämlich wenn man den Leuten vorbringt, dass sie sich entscheiden müssen, wenn man beispielsweise ein Herz auf einen Ausweis aufklebt und das abgefragt wird jeweils, ob man das tun möchte oder nicht, –
Rohde: Wie meinen Sie das?
Nüßlein: – dann kriegt man die 38 Prozent, und dann, wenn man einen Ausweis ausstellt oder einen Führerschein ausstellt, so etwas abzufragen, muss denkbar sein. Dann hätten wir diese 38 Prozent, jedenfalls mal sauber nachgewiesen. Momentan weiß man gar nicht genau, wer einen Organspendeausweis in der Tasche hat. Ich habe einen. Haben Sie auch einen?
Rohde: Ich habe auch einen, ja.
Nüßlein: Sehr schön!
Rohde: Herr Nüßlein, aber diese Debatte führen wir ja jetzt schon seit sehr vielen Jahren. Warum ist das, was Sie gerade vorgeschlagen haben, nicht schon längst passiert? Die Union ist ja schon lange im Gesundheitsministerium.
Nüßlein: Weil man sich das letzte Mal mehrheitlich für etwas anderes entschieden hat. Das ist ja keine Frage nur des Ministers oder der Regierung, sondern das ist etwas, was der Deutsche Bundestag so zu entscheiden hat, und beim letzten Mal gab es im Jahr 2012 eine heftige Diskussion über die ganze Geschichte, und man hat sich für diese Lösung jetzt entschieden. Ich kann, jedenfalls von der Tendenz her, erkennen, dass diese Lösung nicht funktioniert.
Rohde: Jens Spahn, der Gesundheitsminister, der hat sich ja noch nicht festgelegt, ob er diese Widerspruchslösung will oder nicht. Spahn sieht sich ja gerne als Vordenker. Warum denkt er in diesem Punkt nicht vor?
Nüßlein: Vordenken heißt ja nicht, dass man irgendwie versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern vordenken heißt, er muss eine Lösung entwickeln, die am Schluss auch eine Mehrheit findet und die funktioniert. Und darum geht es …
Rohde: Erfüllt Spahn … ja? Bitte.
Erwartungen der Kanzlerin
Nüßlein: Sagen Sie.
Rohde: Erfüllt Spahn denn die Erwartungen der Kanzlerin, wenn er in solchen essenziellen Fragen, die ja wirklich viele Bürger bewegen, keine Haltung hat?
Nüßlein: Ich weiß nicht, ob er wirklich keine Haltung hat dazu. Das würde mich jetzt überraschen, aber …
Rohde: Na ja, er hat gesagt, er ist unentschieden. Er muss darüber nachdenken.
Nüßlein: Die Haltung des Gesundheitsministers ist in dem Punkt nun nicht entscheidend. Entscheidend ist am Schluss, finden wir etwas, was im Deutschen Bundestag mehrheitsfähig ist und was gesellschaftlich akzeptiert ist. Nur dann funktioniert es.
Rohde: Und die Leute fragen sich ja, wann wird das endlich so sein. Wir debattieren schon so lange.
Nüßlein: Na ja, wenn wir im Herbst sicher was entwickeln, wie gesagt, ich bin für eine erweiterte Widerspruchslösung. Ich sehe aber auch, dass die Zahl der Bedenkenträger jeden Tag wächst. Das ist ungewöhnlich, aber das ist typisch deutsch.
Rohde: Das heißt, Sie rechnen nicht damit, dass es im Herbst eine Lösung gibt.
Nüßlein: Nein, ich rechne damit, dass es jedenfalls im Herbst eine Lösung gibt, die am Schluss zu mehr Organen führt. Ich habe vorhin schon gesagt, es hängt von vielen organisatorischen Dingen ab, bis hin zur Honorierung dieser Krankenhäuser, die Organentnahmen machen. Die Frage, wie ist es organisiert, wie erkenne ich denn tatsächlich, dass jemand Organspenden will. In Unfallsituationen suchen die wenigsten nach Organspendeausweisen, da schaut man maximal auf den Ausweis, wer ist das. Also die Dinge, die da eine Rolle spielen, muss man auf jeden Fall ändern. Das ist unstrittig. Und dann kommt hinzu, müssen wir uns Gedanken darüber machen, ob es eine Variante gibt, die jedenfalls besser als die derzeitige Zustimmungslösung ist. Auch da bin ich dafür. Ob man das jetzt im Rahmen einer gezielten Abfrage macht und die Leute soweit bringt, dass sie sich entscheiden müssen oder ob man eine Widerspruchslösung einführt, wo sie einfach passiv bleiben können oder dann eben widersprechen müssen, wenn sie es nicht wollen, das muss man diskutieren, das ist aber ethisch nicht ganz so einfach, wie man das vielleicht meint.
Rohde: So die Einschätzungen von Georg Nüßlein von der CSU. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen!
Nüßlein: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.