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Debatte über sexuelle Belästigung
"Keinerlei Notwendigkeit über Änderungen nachzudenken"

Nach dem Skandal um US-Produzenten Harvey Weinstein wird auch hierzulande über schärfere Gesetze gegen sexuelle Belästigung diskutiert. Dabei sei sexuelle Belästigung bereits strafbar, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Dlf. "Viel wichtiger ist die gesellschaftliche Debatte", so die frühere Bundesjustizministerin.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigt nach rechts.
    "Wir brauchen auch die Beteiligung der Männer in diesen Debatten": Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (dpa / Daniel Naupold)
    Jasper Barenberg: Geradezu ein Beben hat der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein in den USA ausgelöst - erst in der Filmbranche in Hollywood, danach im ganzen Land. Unter dem Schlagwort #MeToo haben im Netz inzwischen Millionen von Frauen Erfahrungen von sexueller Belästigung im Alltag geteilt. Die Wucht dieser Berichte erreicht inzwischen auch die Politik hier bei uns in Deutschland. Die scheidende Familienministerin Katarina Barley etwa fordert härtere Gesetze gegen sexuelle Gewalt, etwa bei körperlichen Übergriffen. - Am Telefon ist die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, früher Bundesjustizministerin. Zuletzt und zum zweiten Mal war das von 2009 bis 2013. Schönen guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, ich grüße Sie. Guten Morgen.
    "Das kann Strafrecht nicht leisten"
    Barenberg: Seit knapp einem Jahr gibt es ja einen neuen Tatbestand im Strafgesetzbuch: den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Er ahndet körperliche Übergriffe mit bis zu zwei Jahren Gefängnis. Frauenfeindliche Sprüche sind als Beleidigung oft strafbar, möglicherweise jedenfalls. Müssen die Gesetze jetzt im Licht der Debatte um Sexismus im Alltag noch einmal verschärft werden?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Ich sehe keinerlei Notwendigkeit, jetzt über Änderungen im Strafrecht nachzudenken. Denn Sie haben ja schon die Bestimmungen erwähnt. Sexuelle Belästigung, vielleicht ein bisschen alltagssprachlich bezeichnet, Grapschen, Busen anfassen, in den Schritt greifen, all das ist strafbar. Es gibt erste Urteile dazu. - Debatten in der Gesellschaft, auch über gesellschaftliche Missstände, die können doch nicht immer und zu allererst mit dem Instrument des Strafrechts begegnet werden.
    Barenberg: Warum nicht?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Weil Strafrecht natürlich verbotenes Verhalten ahnden soll. Aber wenn ich schon strafrechtliche Grenzen habe - Sie haben ja auch Beleidigung hier genannt -, dann kann ich jetzt nicht anfangen, vielleicht noch einen Strafenkatalog aufzumachen, wo ich versuche, jede einzelne Äußerung aufzuführen, die nicht erlaubt sein soll. Das kann Strafrecht nicht leisten und von daher ist die gesellschaftliche Debatte notwendig, auch über Machtstellungen von Frauen und Männern, auch darüber, wie man Frauen möglichst viel Selbstbewusstsein vermittelt, aber nicht meinen, jetzt könne man alles dann letztendlich der Justiz zuschieben.
    "Die gesellschaftliche Debatte ist wichtiger"
    Barenberg: Da liefert ja auch die SPD-Politikerin Barley, die noch amtierende Familienministerin, weitere Stichworte: Das gescheiterte Gesetz der SPD gegen sexistische Werbung nennt sie, fehlende Lohngerechtigkeit, der Frauenanteil in Parlamenten und in Führungspositionen in der Wirtschaft. Aus Sicht jedenfalls der SPD-Politikerin Barley gibt es viel zu tun für den nächsten Bundestag.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Den Anteil von Frauen im Bundestag möglichst auf 50 Prozent zu bringen, ja, das finde ich auch absolut gut und richtig. Aber das ist doch jetzt nicht die Debatte, machen wir jetzt ein Gesetz über die angemessene Vertretung von Frauen in verschiedenen Gremien. Wir haben das Anti-Diskriminierungsgesetz, wir haben Gesetze auch über Frauenförderung, Frauenquote. Ich glaube, viel wichtiger ist die gesellschaftliche Debatte, auch nicht das Wegschieben nach dem Motto, die im Bundestag werden das schon richten, weil es ja in alle Bereiche der Gesellschaft hineingeht und wir wirklich darüber debattieren müssen. Dieser Diskurs ist richtig, wie geht man mit Anzüglichkeiten um, wie ist das Selbstverständnis von Männern gegenüber Frauen nach dem Motto, darf man überall eine flapsige Bemerkung machen. Ja, da müssen Frauen auch darin gestärkt werden zu sagen: 'Hör auf, hier ist eine Grenze erreicht!' Das alles ist wichtig zu tun. Aber das Strafrecht jetzt wieder zu nehmen, das birgt auch die Gefahr, dass dann wieder die Debatte abgeschoben wird nach dem Motto, wir machen was an Gesetzen und dann wird sich schon alles richten. Dem möchte ich gerne entgegentreten. Das ist nicht der richtige Ansatz.
    "Strafnormen müssen mit Leben gefüllt werden"
    Barenberg: Höre ich da auch ein wenig durch, dass die Strafgesetze, die wir nun mal haben, als Beispiel diesen neuen Tatbestand der sexuellen Belästigung, dass der gar nicht die Erwartungen erfüllen kann, die viele möglicherweise da reinsetzen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird ja eine sehr große Erwartung in diesen Paragraphen gesetzt, die man natürlich vor dem Hintergrund der Silvester-Nacht 2015 sehen muss. Das war ja dann der Anlass dafür. Er enthält, wie das eben so im Strafrecht ist, auch unbestimmte Begriffe. Wenn Menschen in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt werden, wird jemand mit bis zu zwei Jahren bestraft. Was das dann tatsächlich ist, ja das werden nach und nach die Gerichte jetzt in Einzelverfahren, Bewertung individuellen Verhaltens ermitteln. Es gibt jetzt erste Urteile, auch aus München eines, wo eine Freiheitsstrafe auf Bewährung verhängt wurde. Aber das werden wir noch sehen, wie sich natürlich immer mit dem Blick auch auf die tatsächliche Situation die Paragraphen bewähren. Man sollte nicht zu viel Erwartung in solche Paragraphen haben. Sie können abschreckende Wirkung entfalten, aber das passiert nur dann, wenn Täter oder potenzielle Täter auch davon wissen. Das ist aber in den allermeisten Fällen nicht gegeben. Von daher warne ich nur davor, zu viel zu erwarten von Strafnormen, die mit Leben gefüllt werden müssen, sondern nicht das als so eine Ersatzhandlung zu nehmen, an Gesetzen zu drehen.
    "Wir brauchen die Beteiligung der Männer in diesen Debatten"
    Barenberg: Sie haben ja schon gesagt, dass Sie die gesellschaftliche Debatte für noch wichtiger und für entscheidend halten. Nun ist das ja beileibe nicht das erste Mal, dass wir über sexuelle Belästigung sprechen. Ein paar Stichworte genügen: Rainer Brüderle, die #Aufschrei-Geschichte, die Kölner Silvester-Nacht - Sie haben sie erwähnt -, Donald Trump mit "Grab them by the Pussy". All das hat ja immer Debatten ausgelöst, die dann wieder irgendwie versandet sind, wenn es um den Kulturwandel geht, über den Sie ja auch sprechen. Ist jetzt mit dieser Bewegung #metoo, die ja Millionen von Geschichten ans Licht gefördert hat, irgendetwas anders?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, dass die Wucht doch schon eine andere ist, natürlich auch befördert durch soziale Medien und Netzwerke noch einmal zusätzlich. Ich denke, dass es auch so ist: Wir brauchen auch die Beteiligung der Männer in diesen Debatten. Warum sollen nur Frauen aufzeigen, wo sie ihre Grenzen sehen, und dann immer hier schreien. Sondern es geht doch darum, dass es eigentlich selbstverständlich ist, dass man respektvoll miteinander umgeht. Ich glaube, mit diesen vielen Einblicken in viele Bereiche, die wir jetzt lesen können, gedruckt, aber auch online, gibt es doch, finde ich, die Möglichkeit, dass wir eine verantwortungsbewusste Debatte führen und nicht nach dem Motto, warum regen sich die so auf oder warum übertreiben die so von der jeweiligen Sichtweise her. Ich glaube, das ist jetzt das Entscheidende. Da sehe ich wirklich eine Chance. Und die Chance wird nicht genutzt, wenn man wieder rein in diese Rituale der Strafrechtsveränderung geht, weil dann wird Verantwortung verschoben auf andere, die sich dann in irgendwelchen Ausschüssen mit jeder einzelnen Formulierung befassen, und das ist in meinen Augen falsch.
    "Ein Armutszeugnis für Männer"
    Barenberg: Wenn ich meinen Eindruck einmal schildern kann? Auf der einen Seite gibt es die Frauen, die jetzt oft wieder sagen, wir haben nach wie vor ein strukturelles Problem, es hat sich eigentlich nichts geändert. Und es gibt die Männer, die reflexhaft sagen, ja wieso, Gleichberechtigung von Frauen ist doch schon längst Wirklichkeit, dürfen wir jetzt kein Kompliment mehr aussprechen. Wie schwierig ist das, diese Grenze überhaupt zu definieren?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Diese Grenze kann - und das ist ja schon in Ihren Worten deutlich geworden - mit Sicherheit nicht durch einen jetzt entwickelten Leitfaden gezogen werden, wo man genau auf Verhaltensweisen, auf Situationen, auf Wortwahlen sich kapriziert und sagt, da ist jetzt die Grenze. Deshalb ist ja wirklich das Entscheidende, respektvoll den anderen achten, aber sehr wohl natürlich auch Komplimente in angemessener Form machen das Richtige. Eine Debatte, die da jetzt von Männern geführt wird, wir fahren nie mehr mit Frauen alleine im Aufzug, wir können ja überhaupt kein Kompliment mehr machen, ist doch ein Armutszeugnis für Männer.
    Barenberg: Was sollten die Männer stattdessen tun?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Sie sollten ganz klar Frauen, was das Selbstverständlichste ist, als die Gleichberechtigten in unserer Gesellschaft in jeder Beziehung achten. Natürlich gibt es die sexuellen Unterschiede. Es gibt Liebe, es gibt Erotik, es gibt Emotionen. Das will doch auch kein Mensch jetzt irgendwo verdrängen oder am liebsten wieder aus der Öffentlichkeit herausschaffen. Aber einfach Männern respektvollen Umgang als selbstverständlich so früh wie möglich auch jungen beibringen, dass man über niemanden, über Frauen nicht, über andere nicht abfällig redet, weil die nicht auf derselben Ebene stünden wie man selbst. Dieses Anspruchsdenken, stärker zu sein, Macht ausüben zu können, vielleicht auch nur, weil es körperliche Macht ist, das gilt es doch, auch in der Erziehung, in der Bewusstseinsbildung klarzumachen - das ist kein Ansatz für einen Umgang miteinander.
    "Es hat sich schon einiges verändert"
    Barenberg: Aber ist nicht Teil des Problems, dass die Spielregeln dieses Spiels zwischen den Geschlechtern eigentlich allen klar sind?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Die Spielregeln sollten allen klar sein und ich finde es zum Beispiel sehr gut, dass inzwischen Unternehmen - denn natürlich findet auch das, über was wir jetzt reden, am Arbeitsplatz statt -, dass Unternehmen wie zum Beispiel Siemens sich einen klaren Kodex gegeben haben, klare Leitlinien gegeben haben, dort Frau Kugel, die verantwortlich ist für Personal im Vorstand, Unglaubliches bewirkt und sich da auch eine andere Kultur auch am Arbeitsplatz ergeben hat. Das genau ist es doch, was gemacht werden muss in vielen Unternehmen, auch in kleineren, nur um mal diesen Bereich der Arbeitswelt, der ja nun viele Menschen täglich zusammenbringt, in den Blick zu nehmen. Das sind gute Beispiele und das muss befördert werden. Das müssen andere auch machen.
    Barenberg: Haben denn hunderte von Gleichstellungsbeauftragten und Frauenbeauftragten in Unternehmen, in Behörden, in Ländern, im Bund gar keinen Unterschied gemacht?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Doch, es hat sich schon einiges verändert. Ich glaube, man kann nicht sagen, dass die Debatten der letzten Jahrzehnte einfach spurlos geblieben sind. Das mit Sicherheit nicht. Es zeigt nur, es ist ein langer Prozess. Er geht nicht von selbst und es muss immer wieder daran gearbeitet werden, weil es immer wieder auch gerade jüngere Menschen gibt, die das nicht als so selbstverständlich ansehen. Aber ich finde, wir haben schon deutlich auch die Strukturen in Deutschland verbessert.
    "Verantwortungsbewusst mit Macht umgehen
    Barenberg: Wird es am Ende, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, so sein: Je mehr Frauen auch in Machtpositionen, in verantwortliche Positionen kommen, umso mehr ist das auch ein Thema, mit dem sich Frauen beschäftigen, wenn wir ernst nehmen, was ja viele sagen, dass es um Macht geht und nicht um Sex in aller Regel?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht darum, dass man verantwortungsbewusst mit Macht umgeht, dass auch Frauen natürlich Macht wollen sollen. Das ist ja etwas, was man Frauen eher mal vorwirft, dass sie nicht machtbewusst genug sind. Ich finde, Frauen sollen auch verantwortungsvolle Posten haben wollen, um dann gestalten zu können. Aber dann natürlich damit auch genauso respektvoll und den anderen achten, wie er ist, umzugehen. Aber ich glaube nicht, dass automatisch damit einhergeht, dass jetzt dann die Frauen künftig in den nächsten Jahrzehnten das Problem haben mit sexueller Belästigung gegenüber den Männern.
    Barenberg: … sagt die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Danke für das Gespräch!
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich sehr herzlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.