Martin Zagatta: Lange haben die US-Demokraten mit sich gerungen, ob sie ein Impeachment-, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump auf den Weg bringen sollen. Das – so haben sie in der Nacht entschieden – versuchen sie nun.
Die Erfolgsaussichten eines solchen Verfahrens zur Amtsenthebung sind gering, so
Thilo Kößler, unser Korrespondent aus Washington
. Ob er das auch so sieht, das kann ich jetzt Rüdiger Lentz fragen, den Direktor des Berliner Aspen-Instituts. – Herr Lentz, wenn die Chancen da so schlecht stehen, warum machen die Demokraten das jetzt?
Rüdiger Lentz: Gute Frage. Ich glaube, die Frage hat sich Frau Pelosi lange Zeit gestellt und sie hat sie lange Zeit beantwortet, dass dies eine große Gefahr für die demokratische Partei in sich birgt, und sie war deshalb kein Freund des Impeachment und hat auch ihre Partei bis gestern zusammenhalten können. Aber der Druck ist gewachsen, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen glauben die überwiegende Anzahl der Demokraten jetzt, mit diesem Telefonat und dem möglichen Erpressungsversuch des ukrainischen Präsidenten, damit die Einflussnahme einer fremden Macht auf die Wahlen von 2020, jetzt eine Handhabe zu haben, die ihm möglicherweise ein Vergehen, möglicherweise sogar ein kriminelles Verbrechen nachweisen kann. Und genau dies wäre die Voraussetzung für ein Impeachment.
Sie hat dem Druck einerseits der Basis nachgegeben, andererseits in der Hoffnung, dass vielleicht doch jetzt Material zusammenkommt - und man darf auf den Mitschnitt des Telefonats sehr gespannt sein -, das ausreicht, um ein justiziables Verfahren gegen den Präsidenten einzuleiten, und dies würde zunächst einmal im Justizausschuss des Kongresses landen, der dann offiziell ein solches Verfahren an die Mehrheit des Kongresses übergibt beziehungsweise an den Floor, wie es so schön heißt, und dort müsste dann erneut abgestimmt werden, ob dieses Verfahren offiziell eröffnet wird.
"Mögliches erstes Abrücken von der Parteilinie der Republikaner"
Zagatta: Aber letztendlich entscheidet ja die republikanische Mehrheit im Senat. Halten Sie das für überhaupt möglich, dass dort Trumps Parteifreunde von ihm abrücken? Das müsste ja dann mit Zwei-Drittel-Mehrheit geschehen.
Lentz: Herr Zagatta, das ist, glaube ich, die Frage, die im Moment in Washington niemand beantworten kann. Es gibt allerdings Hinweise, dass einige moderate Republikaner sehr vorsichtig auf die Erklärung von Frau Pelosi reagiert haben – mit dem Hinweis, sie würden jetzt erst einmal die Untersuchung des Kongresses abwarten. Ich würde dies auch durchaus als ein mögliches erstes Abrücken von der Parteilinie der Republikaner interpretieren wollen.
Selbstverständlich kam vom Wahlkampf-Team des Präsidenten eine sehr klare Absage an Pelosis Vorgehen. Dort hat man darauf hingewiesen, dass das eher den Demokraten schaden würde. Das ist Wahlkampf in reinster Form, der im Moment bereits als Parallelveranstaltung stattfindet. Gleichzeitig muss man aber jetzt das Verfahren in allen seinen Verästelungen und in dem Weg, den es jetzt gehen muss, um verfassungsmäßig zu sein, beobachten, und da ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.
Zagatta: Aber selbst wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass Trump die ukrainische Regierung, den neuen Präsidenten irgendwie unter Druck gesetzt hat, wie schätzen Sie das ein in der amerikanischen Öffentlichkeit? Kippt da die Stimmung, wenn ein Präsident sich so etwas leistet, oder würden seine Anhänger erst recht gestärkt und sagen, toller Mann?
Lentz: Sie stellen die zweite offene Frage, aber ich versuche, darauf eine Antwort zu geben. Wir haben hier schon bei den Midterm elections festgestellt, dass zum Beispiel viele weiße Wähler in den Vorstädten, vor allen Dingen unter den Frauen, sich durch den Stil von Trump so abgestoßen gefühlt haben, dass sie zu den Demokraten übergelaufen sind. Das hat ja den Demokraten die Mehrheit im Kongress beschert. Und genau diese Hoffnung haben die Demokraten jetzt wieder, dass die sogenannten Indepence, diejenigen, die auch in der Wahl 2020 das entscheidende Moment sein werden, sich durch dieses Verfahren möglicherweise bemüßigt fühlen, sich als Demokraten in die Wählerliste einzutragen und dann letztlich entscheidend sind, dass Trump abgewählt wird.
Das ist eine Hoffnung im Moment, mehr nicht. Denn bis vor Kurzem, noch im Juli hat eine Umfrage unter Bürgern der USA über ein mögliches Impeachment-Verfahren eine eindeutige Mehrheit unter den Unabhängigen, den Indepence herbeigeführt, die gegen ein Impeachment-Verfahren waren. Hier ist es jetzt eine neue Qualität und wie die von den Unabhängigen gesehen wird und ob sie tatsächlich zu einer Meinungsänderung führen, das wissen die Wahlforscher erst im Nachhinein, wenn sich dann herausstellt, dass sie tatsächlich zu den Demokraten übergelaufen sind.
"Es zeigt durchaus, dass Trump Biden als Gegner ernst nimmt"
Zagatta: Ist dieses ganze Vorgehen, dieser Vorgang jetzt um die Ukraine und diese möglichen Erpressungsversuche im Zusammenhang mit Joe Biden, ein Beleg dafür, dass die Republikaner, dass Trump den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, dass man den als den gefährlichsten Gegner ansieht?
Lentz: So muss man das wohl sehen. Er führt nach wie vor unter den Meinungsumfragen und wenn er nicht große Fehler macht, könnte man davon ausgehen, dass er letztendlich in der Schlussrunde auch als der Kandidat der Demokraten mit einem dann noch zu wählenden Running Mate, also Vizepräsidentschaftskandidaten oder Kandidatin aus diesem Rennen hervorgeht. Insofern zeigt das durchaus, dass Trump Biden als Gegner ernst nimmt. Der Versuch, ihn jetzt aus dem Wahlrennen herauszulösen, indem er in dieser Schmutzkampagne, wie man sie wohl nennen muss, versucht, seinem Sohn und damit auch ihm Dreck an den Stecken irgendwie zu hexen, zeigt, dass er betroffen ist.
Zagatta: Hilft das jetzt Joe Biden? Ist der jetzt durch diese Affäre, durch diese Vorwürfe der Favorit bei den Demokraten geworden? Die waren ja auch bisher relativ uneinig. Er war ja nicht so ganz der eindeutige Favorit.
Lentz: Das ist er immer auch noch nicht, und die Frage wird jetzt sein, inwieweit er damals – er hat ja damals die Absetzung des Generalstaatsanwalts in der Ukraine gefordert, allerdings aus anderen Gründen, weil der nicht genügend gegen die Korruption im Land vorging. Er ist involviert in der Vergangenheit. Wie weit und in welchem Ausmaß und mit welchen Beweggründen, wird sich möglicherweise jetzt in dieser ganzen Debatte noch zeigen. Ganz ungeschoren geht er aus dieser Debatte auch nicht hervor, als Saubermann auch nicht, und insofern ist er auch noch nicht der Spitzenkandidat der Demokraten.
"Für uns alle ein großer Schaden"
Zagatta: Lässt sich das im Moment irgendwie vergleichen? Haben wir da eine ähnliche Situation wie in Großbritannien, dass der Regierungschef, in dem Fall Trump, davon profitiert, dass die Opposition, dass die US-Demokraten dort im Moment so zerstritten oder so schwach erscheinen?
Lentz: Ich würde sagen, es ist nicht spiegelbildlich, aber viele Parallelen lassen sich da durchaus ableiten. Die Radikalisierung der Parteibasis, die man hinter sich bringt, das infrage stellen der Gesetzmäßigkeit von Opposition, das infrage stellen von Verfahren, die eingeleitet werden, das alles deutet darauf hin, dass, ich glaube, Boris Johnson durchaus vom Drehbuch Trump gelernt hat und beide versuchen, die Gewichte innerhalb einer Demokratie zu ihren Ungunsten, das heißt auf der einen Seite zum Premier in Großbritannien und auf der anderen Seite zur Präsidentschaft und zum Präsidenten Trump hin zu verschieben. Ich glaube, das ist das, was uns allen im Westen Sorgen machen muss, dass dieser Machtkampf möglicherweise dann zugunsten des Präsidenten entschieden wird.
Zagatta: Herr Lentz, Sie haben schon von einer Schlammschlacht gesprochen. Ist es jetzt das, was wir erwarten dürfen, wenn im nächsten Jahr gewählt wird, was im Wahlkampf jetzt zu erwarten ist?
Lentz: Ich muss Sie enttäuschen: Es kommt noch sehr viel mehr. Ich glaube, das wird ein Wahlkampf sein, der mit harten Bandagen geführt wird, eine Schmutzkampagne noch nie da gewesenen Ausmaßes lostreten wird, und ich glaube, dass man schon jetzt leider feststellen muss, dass das, was zu allererst darunter leidet, die Demokratie und der zivile Diskurs ist, das zivile Verhalten von Bürgern untereinander nicht nur schon darunter gelitten hat, sondern noch weiter darunter leiden wird. Und das ist, wenn wir uns Amerika als Vorbild einer westlichen Demokratie ansehen, für uns alle bedauerlich und auch für uns alle ein großer Schaden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.