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Debatte um Coronabonds
Müssen zu "neuen, innovativen Finanzinstrumenten kommen"

Es sei auch in deutschem Interesse, dass Europa aus der Coronakrise wieder herauskomme, sagte der CDU-Politiker Elmar Brok im Dlf. Ein deutscher Wiederaufschwung nach der Krise sei nur mit Europa möglich. Dazu sei es notwendig, in der nächsten Zeit zu neuen, innovativen Finanzinstrumenten zu greifen.

Elmar Brok im Gespräch mit Manfred Götzke |
Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing
Deutschlands Aufschwung nach der Krise sei auch von den anderen EU-Staaten abhängig, meint Elmar Brok (imago / Oryk Haist)
Manfred Götzke: Welches Zeichen setzen die Spitzenpolitiker mit ihrem Hilfspaket und dem vorläufigen Nein zu den Eurobonds und wie steht es überhaupt um den Rest europäischen Zusammenhalts in Zeiten von Corona? Darüber möchte ich mit Elmar Brok sprechen, langjähriger Abgeordneter im Europäischen Parlament und aktuell Vizepräsident der christlich-demokratischen Internationalen. Herr Brok, überlebt die EU die Coronakrise?
Brok: Ja, ich glaube ja, die Entscheidung der Finanzminister ist ein wichtiger Schritt, nachdem ja auch die Europäische Zentralbank schon die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, damit die europäische Solidarität deutlich wird, aber auch gleichzeitig deutlich wird, dass es auch im deutschen Interesse liegt, dass wir gemeinsam aus einer Krise, die niemand selbst verschuldet hat, herauskommen. Auch Deutschland wird einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung haben, wenn die Länder, in denen wir einen Großteil unserer Waren exportieren, auch funktionieren, wenn Lieferketten bestehen bleiben, wenn Wertschöpfungsketten bestehen bleiben. Ein deutscher Wiederaufschwung nach der Krise ist nur mit Europa möglich.
Es geht nicht "um Zahlungen, sondern um Garantien"
Götzke: Weiß das der deutsche Finanzminister auch?
Brok: Der weiß es, aber es ist schwierig zu erläutern in der Öffentlichkeit, weil ja in Deutschland kaum jemand weiß, dass Deutschland nicht alles bezahlt. Deutschland zahlt in Europa etwa 21 Prozent des Budgets oder auch der allgemeinen Leistungen für die 27 Länder, nicht mehr. Auch die Italiener und Portugiesen und Griechen zahlen den Teil, nämlich ihren Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union. Das ist eine sehr faire Verteilung. Im Rahmen Eurogruppe bezahlt Deutschland etwa 29 Prozent. Und hier geht es ja in vielen Bereichen gar nicht um Zahlungen, sondern um Garantien. Die Finanzkrise hat uns nicht in wirklichem Geld etwas gekostet. Und hier muss man deutlich machen: Der Nutzen ist unwiderlegbar da, wenn man alle gemeinsam zusammenbringt, um die Krise selbst zu bewältigen und die ökonomischen Konsequenzen danach.
Nötig: "ein Marshall-Plan, ein European Recovery Program"
Götzke: Feilschen, stur bleiben, um Coronabonds irgendwie zu verhindern – sieht so die europäische Solidarität momentan aus, in der größten Krise der Europäischen Union?
Brok: Nein, das reicht nicht aus, weil wir werden diese Diskussion in Deutschland weiter führen müssen. Ich sehe ja, dass wenn man Meinungsumfragen hört, in Deutschland sehr viel mehr Verständnis da vorhanden ist, dass es in offizieller Politik zum Ausdruck kommt. Aber jetzt erst mal das Programm mit gut 500 Milliarden Euro zu haben ist in diesen Tagen richtig und gut und damit sollten wir vorangehen. Und wir müssen sehen, dass die Europäische Zentralbank eine Marge von 750 Milliarden Euro eröffnet hat. Und ich glaube, dass man aber, wie damals nach dem Krieg, einen Marshall-Plan, ein European Recovery Program, Wiederholungsmaßnahmen ergreifen muss, und ob man das alleine aus dem europäischen Haushalt, der bisher nur ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, lösen kann, scheint mir schwierig zu sein. Und deswegen ist es notwendig, dass in den nächsten Wochen und Monaten wir auch zu neuen, innovativen Finanzinstrumenten kommen, nicht klassische Eurobonds, nicht dauerhafte Verschuldung, sondern für einen konkreten Anlass, wie es nach Artikel 125 [Name unverständlich, Anm. der Redaktion] zitiert hat, aber er muss auch den Punkt lesen, wo für einmalige systemische Fragen hier Sondermaßnahmen ergriffen werden können, wo auch Anleihen möglich sind.
Götzke: Das sind dann Eurobonds oder Coronabonds, die dann aber einfach kreativer, anders ausgestaltet werden, oder wie verstehe ich Sie da?
Brok: Nein, sie sind für einen bestimmten Zweck, und sie sind für eine begrenzte Zeit, und sie sind auch nicht eine Vergemeinschaftung von Altschulden, sondern überschaubarer Punkt. Die Eurobonds sind da, dass die gesamten Schulden vergemeinschaftet werden und in Zukunft vergemeinschaftet sind und dies ohne Begrenzung stattfindet. Und dies ist es nicht, es ist eine einmalige Maßnahme für einen begrenzten Zweck, um hier etwas zu erreichen, so wie das auch der Marshall-Plan damals war. Und hier müssen wir beispielsweise auch überlegen, ob diese Gelder an die Staaten gegeben werden, sondern auch Institutionen wie auch an Firmen geben können und zum Teil auch als einen revolvierenden Fonds, damit die Firmen oder diejenigen, die die Anträge stellen, auch dann später zurückzahlen können, um auf diese Art und Weise das nicht nur als Geldgeschenke zu sehen. Und wir müssen vor allen Dingen auch sehen, das ist ja nicht ein Abgreifen durch andere Staaten. Wer weiß denn in Deutschland beispielsweise, dass Italien ein Nettozahler innerhalb der Europäischen Union ist? Wer weiß denn, dass Frankreich ein Nettozahler in der Europäischen Union ist? In Deutschland ist ja der Eindruck, dass wir das alles selbst bezahlen, allein bezahlen. Das ist einfach Unsinn und da müssen wir mal die Zusammenhänge sehen. Bei der Finanzkrise vor zwölf Jahren war Italien nicht dabei, weil die italienischen Banken im Gegensatz zu den deutschen sich nicht an dieser Rallye beteiligt hatten. Sie haben kein Geld damals gefordert daraus. Italien und Frankreich haben keine europäischen Hilfen bekommen. Auch dieses muss man doch mal sich in Erinnerung rufen.
"Renationalisierung ist gegen den Wertekanon" der EU
Götzke: Herr Brok, nun geht es derzeit, wenn wir über europäischen Zusammenhalt sprechen, nicht nur um Geld. Die Krise scheint ja den Nationalismus in der EU noch mal zu verstärken, manche freuen sich über Grenzschließungen, andere nutzen Corona, um sich noch weiter vom europäischen Wertekonsens zu entfernen. Wie gehen wir damit um?
Brok: Ich glaube, das ist eine schlimme Sache, dass man [Ton unverständlich, Anmerkung der Redaktion] sieht und sagt, wir müssen uns allein national retten und daraus versucht, Dinge zu ziehen. Ob man in Polen oder Ungarn die Chance nutzt, dass man vom Rechtsstaatlichen ein Stückchen weiter weg geht, oder ob man meint, jetzt hier eine Renationalisierung durchzuführen – dieses ist gegen den Wertekanon, das ist gegen europäische Solidarität und es ist auch gegen eigenes Interesse, wie ich vorhin dargestellt habe. Alleine kommen wir da mal nicht heraus. Und das bedeutet auch, dass wir nicht nur die europäischen Werte verkaufen, unsere Zukunft verkaufen, sondern dass wir auch dabei sehen müssen, dass Wirtschaft demnächst in der Tat voll und ganz in den Händen der Vereinigten Staaten und China sind, wenn wir nicht den europäischen Binnenmarkt in dieser Frage retten.
Götzke: Sie haben das ja gerade so ein bisschen euphemistisch beschrieben, Ungarn ist ja auf dem besten Weg in eine Diktatur momentan. Kann Ungarn unter solchen Bedingungen Mitglied der Europäischen Union bleiben?
Brok: Also erstens ist das jetzt nicht das Hauptproblem, Diktatur ist noch ein weiter Weg, dass da Sondermaßnahmen gemacht werden im Rahmen der Corona-Bekämpfung ist klar, aber es können nicht Maßnahmen sein, die sie beschlossen haben, die die Medienfreiheit auflösen. Auch in der Corona-Krise muss es das Recht sein jedes Journalisten, die eigene Regierung zu kritisieren. Und wenn man das dann verhindern will und die [Ton unverständlich, Anmerkung der Redaktion] und sogar mit Strafmaßnahmen bedroht, ist das nicht hinnehmbar. Wenn Ungarn, das sich bei der Antragsstellung zur Europäischen Union so verhalten hätte, wie es das jetzt tut, wäre nicht Mitglied der Europäischen Union geworden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.