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Debatte um Dickmacher

Ernährungswissenschaftler machen Limonade mit verantwortlich für das grassierende Übergewicht bei Jugendlichen und Kindern. Sie fordern: Kinder sollten vor allem Wasser trinken.

Von Verena Kemna |
    In Deutschland sind etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche übergewichtig oder gar fettleibig. Beinahe jedes sechste Kind zeigt Symptome einer Essstörung. Was Kinder und Jugendliche essen und trinken ist oft zu fett, zu salzig und vor allem zu süß. Im Fokus der Wissenschaftler stehen immer wieder Softdrinks. Bislang fehlte jedoch der Beweis, dass zuckerhaltige Getränke eine der Hauptursachen für Übergewicht sind. Drei Studien, veröffentlicht im "New England Journal of Medicine", weisen nach, dass ein Verzicht auf süße Getränke vor Übergewicht schützt. Gerhard Schillinger, Geschäftsführer für den Bereich Medizin beim AOK Bundesverband:

    "Dass die Softdrinks viele Kalorien haben und möglicherweise dick machen, vermutet man ja schon sehr lange. Man hat viel diskutiert ob es das Essverhalten ist oder ob es an den Softdrinks liegt. Erstmalig hat man jetzt hier belastbare Studien, die ein sehr gutes experimentelles Design haben und die tatsächlich zeigen können, dass der Konsum von diesen Softdrinks zu einer Gewichtszunahme führt."

    So hatten Kinder, die eineinhalb Jahre lang täglich einen viertel Liter mit Zucker gesüßten Softdrink getrunken haben, deutlich mehr Gewicht zugenommen als diejenigen, die auf Softdrinks verzichtet haben. Die Nationale Verzehrstudie untersucht regelmäßig, wie sich die Menschen in Deutschland ernähren. Demnach trinken vor allem Jugendliche und junge Erwachsene täglich bis zu einem halben Liter gesüßte Getränke. Gefährlich seien nicht nur Softdrinks, sondern auch süße Getränke wie Fruchtsäfte, Fruchtnektare und Eistee, meint der Kinderarzt Martin Wabitsch von der Universitätsklinik Ulm. Seit Jahren erforscht er die Ursachen von Übergewicht und rät davon ab, dass Kinder und Jugendliche überhaupt süße Getränke zu sich nehmen.

    "Die jetzt publizierten Ergebnisse haben die Besonderheit, dass sie nicht von der Zuckerindustrie unterstützt wurden und es gab Kontrollgruppen und die Kinder wussten nicht, ob Zucker in den Getränken war oder Süßstoff. Man konnte damit zeigen, dass der Zucker der Stoff war, der schließlich zur Gewichtszunahme geführt hat."

    Der Wissenschaftler vermutet außerdem, dass der vermehrte Zuckerkonsum über Getränke, schon bei Jugendlichen das Diabetesrisiko erhöht. Sein Appell, Kinder sollten vor allem Wasser trinken.

    "Also diese klassische Vorstellung, ich esse viel Zucker und bekomme die Zuckerkrankheit, diese Vorstellung ist nicht weit her geholt. Da gibt es diesen Zusammenhang, auch bei jungen Menschen schon."

    Trotz vieler Informationskampagnen, wie etwa dem Aktionsplan In Form der Bundesregierung, habe sich das Ernährungsverhalten in den vergangenen Jahren nicht positiv geändert. Dabei beginnt der Teufelskreis einer falschen Ernährung schon in den ersten Lebensjahren. Gerade Kinder gewöhnen sich schnell an den süßen Geschmack, meint Wabitsch. Seiner Ansicht nach reichen freiwillige Maßnahmen nicht aus.

    "Verbot ist in unserem Land immer schwierig. Aber man könnte Anreize schaffen, dass die gesunden Verhaltensweisen gefördert werden und die nicht so gesunden etwas eingeschränkt werden. Das Verbot wäre aus kinderärztlicher Sicht natürlich das Richtige."

    Das Verbraucherschutzministerium setzt weiterhin auf bundesweite Informationskampagnen und zahlreiche Projekte vor allem an Schulen. Verbraucherschützer dagegen fordern längst den Verzicht auf Lebensmittelwerbung für Kinder unter zwölf Jahren. Bisher ohne Erfolg.