Hofmann verlangt, die Digitalisierung dürfe nicht zu mehr Kontrolle der Beschäftigten führen. Genauso wenig könne man zulassen, dass aus der beinahe ständigen digitalen Erreichbarkeit unbezahlte Mehrarbeit werde. Der IG-Metall-Vize warb dafür, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Das "Home Office" komme vielen Arbeitnehmern entgegen. Arbeit zuhause könne Pendler entlasten und den Berufsverkehr entzerren. Im Gegenzug müsse aber das Motto "Wer nicht da ist, macht keine Karriere" fallen.
Das Interview in voller Länge:
Benedikt Schulz: Die deutschen Arbeitgeberverbände wollen den Acht-Stunden-Tag kippen – zu starr für die Zukunft der Arbeit, die flexible Arbeitnehmer braucht, denn der Arbeitsalltag, der wandelt sich, sowohl die Arbeitsplätze, die ja immer stärker digitalisiert und auch technisiert werden, als auch die Situation der Arbeitnehmer, die ja nicht mehr nur den Familienvater im 40-Stunden-Dienst und die Hausfrau zu Hause kennen, sondern auch zwei gleichberechtigte Elternteile mit Teilzeitjob und Homeoffice. Also hinter der Frage, ob der Acht-Stunden-Tag zeitgemäß ist, steckt natürlich die viel größere Frage, wie werden wir arbeiten in Zukunft? Und da der Mensch ja gerne Sachen vereinfacht, hat man für diese große Frage den ziemlich unscharfen Begriff Arbeit 4.0 erfunden – vielleicht damit das Ganze irgendwie nach Zukunft und Aufbruch klingt. Sprechen wir also über den Aufbruch in die Zukunft, und zwar mit Jörg Hofmann, zweiter Vorsitzender der IG Metall. Ich grüße Sie!
Jörg Hofmann: Guten Tag!
Schulz: Fangen wir doch mit einer einfachen Frage an: Ist der Acht-Stunden-Tag ein Auslaufmodell?
Hofmann: Der Acht-Stunden-Tag ist kein Auslaufmodell als Bezugsgröße für Arbeitszeiten, er ist aber längst nicht mehr die Realität, die die Arbeitszeitwirklichkeiten der Menschen in Betrieben bestimmt. Wir haben heut hochflexible Arbeitszeiten, wobei der Acht-Stunden-Tag immer noch ein Schutzwall ist gegen eine unendliche Ausuferung von Arbeitszeiten, Entgrenzung von Arbeitszeit.
Schulz: Die Arbeitgeber reden natürlich nicht von Ausweitung, sondern von Flexibilisierung, klingt ja auch besser, und der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, der meint, flexible Arbeitszeiten, die würden angesichts von Digitalisierung und der Notwendigkeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Ist das so einfach – Acht-Stunden-Tag weg, Flexibilisierung da?
"Flexibilität kann keine Einbahnstraße von Unternehmen sein"
Hofmann: Wir sind jetzt seit Jahren bemüht, mit den Arbeitgebern zu flexiblen Arbeitszeitregelungen zu kommen, wo genau auf einerseits die Flexibilitätsbedürfnisse der Betriebe, aber auf der anderen Seite auch die Balance von Arbeit und Leben zum Ausgleich gebracht wird. Ich stelle fest, es tut sich am Verhandlungstisch, bei allen Bemühungen, nichts. Ich finde, wir brauchen eine neue Balance zwischen Arbeit und Leben und Flexibilität. Flexibilität kann keine Einbahnstraße von Unternehmen sein, und daran werden wir und wollen wir auch arbeiten.
Schulz: In den Niederlanden gilt seit Anfang Juli, also seit Anfang des Monats, so eine Art bedingtes Grundrecht auf Homeoffice. In Deutschland geht das flexible Arbeiten von zu Hause aus sogar noch zurück. Warum ist das so? Ist die deutsche Arbeitswelt zu starr?
Hofmann: Ich glaube, wir haben eine Arbeitszeitkultur, die immer noch sehr stark auf Präsenz setzt. Klar, wir haben natürlich auch Arbeitsaufgaben, die sich nicht von zu Hause erledigen lassen, immer dort, wo sie Dienstleistungen an Menschen erbringen, wo sie Material bewegen, aber dort, wo es möglich ist, den Menschen mehr Freiräume einzuräumen, auch mal eine Arbeit von zu Hause zu machen – das ist ein großer Wunsch, großes Bedürfnis. Nicht immer und nicht überall – die Menschen wollen das Kollektiv des Arbeitsplatzes auch erleben, aber sie möchten doch mehr Bewegungsmöglichkeiten haben, wo und wann sie welche Arbeitsaufgaben erledigen. Dagegen steht eben noch eine ganz harte Präsenzkultur: Auf der einen Seite, wer nicht da ist, macht keine Karriere, Punkt. Und zum zweiten, natürlich auch nicht die Bereitschaft, das Vertrauen in die Menschen, die Kolleginnen und Kollegen, dass, wenn sie von zu Hause arbeiten und die Arbeitszeit sich dann auch gutschreiben, die dann auch erfasst und vergütet wird. Oft stellt sich Homearbeit heute als das Verdrängen von Arbeit in die unentgeltliche Arbeit zu Hause dar.
Schulz: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sprechen wir mal über das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt – das könnte ja ein großer Schritt in Richtung Homeoffice werden. Dort ist viel die Rede von Arbeit 4.0. Ich habe schon gesagt, das ist eigentlich ein ziemlich unscharfer Begriff. Was heißt das? Wie wird sich – was glauben Sie –, wie wird sich Digitalisierung auf die Arbeitswelt auswirken?
Hofmann: Es gibt zwei Optionen: Entweder Digitalisierung heißt noch mehr Kontrolle, noch mehr Unterordnung der Beschäftigten unter Vorgaben, die nicht mehr sozusagen eigene Gestaltungs-, keine Handlungsspielräume zulassen. Es könnte aber auch anders heißen, mehr Selbstbestimmung am Arbeitsplatz, mehr Freiheitsgrade, mehr Verantwortung. Das ist ein Entscheidungsprozess, wo wir als Betriebsräte, als Gewerkschaft uns die nächsten Jahre aktiv einmischen müssen. Digitalisierung alleine gibt keinen Weg vor – es ergeben sich Chancen, es ergeben sich Risiken, und die zu gestalten im Sinne von mehr selbstbestimmter Arbeit, ist eine Riesenherausforderung.
Chance der Digitalisierung: Unnütze Reisezeiten vermeiden
Schulz: Ja, also der SPD-Politiker Klaus Barthel hat heute sozusagen den Ist-Zustand beschrieben, der seiner Meinung nach der ist, dass Digitalisierung jetzt eher zu mehr Stress führt. Wie kann man das Ganze denn nicht als Bedrohung – und das würde ich jetzt gerne konkret wissen –, als Chance konstruktiv gestalten, Digitalisierung?
Hofmann: Nehmen wir das Beispiel des Arbeitens von zu Hause: Natürlich macht es Sinn, statt, dass sich die Menschen in die Pendlerströme, in den Verkehr täglich stürzen, dort, wo es möglich ist, auch mal Arbeiten von zu Hause erledigen zu können. Da kann Digitalisierung beitragen. Digitalisierung kann auch beitragen, starre Arbeitszeit, wie Schichtsysteme zumindest etwas zu flexibilisieren im Sinne der Kolleginnen und Kollegen, dass in Absprache mit der Gruppe, auch Arbeitszeiten individuell neu arrangiert werden können – das ist heute über Smartphone-Apps schon möglich, wird kaum genutzt. Oder ein drittes Beispiel, wenn man mal im Kontext der Arbeitszeit bleiben will: Wer sagt uns denn, dass wir zwingend in der Arbeitszeitkultur weiter darauf beharren müssen, dass Meetings vor Ort stattfinden, verbunden mit oft quälenden Dienstreisen? Natürlich kann Digitalisierung hier deutlich mehr beitragen, auch eine Kommunikation und Online-Realtime zu ermöglichen, und unnütze Reisezeiten zu vermeiden.
Schulz: Noch ein letzter Blick in die Zukunft: Ende 2016 will das Arbeitsministerium unter Andrea Nahles eine Art Diskussionspapier – ein Weißbuch nennen die das – vorlegen zur Zukunft der Arbeit. Was erhoffen Sie sich eigentlich von der Initiative der Ministerin?
Hofmann: Zunächst mal finde ich es sehr gut, dass wir das Thema Digitalisierung im Kontext von Arbeit und Veränderung von Arbeitsgesellschaft debattieren. Natürlich stellt sich dann auch die Frage, was heißt das für die Tarifpartner, was heißt das für die Mitbestimmung, was heißt das auch für die Gesetzgebung? Ich mache das an einem Beispiel deutlich: Wann beginnt eigentlich ein Betriebsunfall? Zu Hause, wenn man den Ordner aus dem Regal zieht und von der Treppe fällt, was ist das? Ist das Freizeit, ist das Betrieb? Da gibt es viel Regulationsnotwendigkeit, einfach um auch Sicherheiten herzustellen, sowohl für die Betriebe, wie für die Beschäftigten. Wie gehe ich mit dieser neuen Form von selbstbestimmter ortsunabhängiger Arbeit um?
Schulz: Herr Hofmann, arbeiten Sie heute von zu Hause aus?
Hofmann: Nein, heute arbeite ich von der Dienstreise aus.
Schulz: Jörg Hofmann, zweiter Vorsitzender der IG Metall über die Zukunft der Arbeit. Ganz herzlichen Dank!
Hofmann: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.