"Ich habe damals in der Arbeit mit Skinhead-Gruppen angefangen - im Freien und ungeschützt. Mit 20 Jugendlichen. Es war am Anfang recht bedrohlich gewesen, aber es geht um die Haltung, es geht darum, wie man mit ihnen spricht. Ich möchte wissen, was mit euch los ist. Sie nicht abzuwerten. Das stellte dann doch recht schnell eine Atmosphäre her, dass die Jugendlichen auch auf einen neugierig geworden sind - und darauf kommt es an: Dass man wieder miteinander reden kann."
Als Thomas Mücke vor 25 Jahren als Sozialpädagoge anfing, ging es überwiegend um die Bedrohung durch rechtsextremistische Jugendliche. Heute ist der 58-Jährige einer der bekanntesten Sozialarbeiter Deutschlands, er tritt in Schulen auf, er ist Buchautor und ein gefragter Diskussionspartner in Talkshows. Mehrere Hundert Jugendliche - Mücke nennt sie auch Klienten - hat er seitdem betreut. Und in Berlin, seiner Heimatstadt, ist er heute Geschäftsführer von Violence Prevention Network, einem Verbund von Experten, die seit 2001 in der Extremismus-Prävention arbeiten.
Erweitertes Klientel
Das "Klientel" hat sich in den vergangenen Jahren erweitert. Mücke und sein Team beraten beispielsweise Eltern, deren Kinder in den radikalen Islamismus abdriften könnten. Ebenso gehört die Arbeit mit bereits Radikalisierten dazu. Jugendliche, die bereit sind, sich etwa dem IS, dem sogenannten Islamischen Staat, anzuschließen. Oder schon in deren Einflussgebiet waren und inzwischen zurückgekehrt sind.
Es ist eine Arbeit, die ohne Vertrauen und Vertraulichkeit nicht funktionieren würde, sagt Thomas Mücke. Eine Gratwanderung:
"Auch wir haben eine Schweigepflicht, aber - natürlich - wenn es die Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung gibt, dann tun wir natürlich alles, damit nicht irgendeine Person zu Schaden kommt. An diesem Punkt sind wir nicht mehr an die Schweigepflicht gebunden. Das sagen wir auch den Menschen, mit denen wir arbeiten. Neben dem Vertrauen ist die Ehrlichkeit das zweite wichtige Prinzip."
Die Schweigepflicht ist die rechtliche Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen, ihnen Anvertrautes nicht unbefugt an Dritte weiterzugeben. Am bekanntesten ist sicherlich die Schweigepflicht für Ärzte. Sie gilt aber auch für staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen.
In Folge der gegenwärtigen Sicherheitsdiskussionen zur Terrorabwehr ist die Schweigepflicht in die Diskussion geraten, Berufsgruppen fühlen sich unter Druck gesetzt.
Eine nicht nachvollziehbare Debatte
Für Thomas Mücke ist die Debatte nicht nachvollziehbar und auch die Bundesärztekammer wies eine Aufweichung der Schweigepflicht vehement zurück. Namhafte Juristen unterstützen dies. Beispielsweise Hans Lilie. Er ist Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Medizin, Ethik und Recht an der Universität Halle-Wittenberg. Ein viel gefragter Experte in diesen Tagen, einen, den man nur am Telefon erreicht. Er sagt, Ärzte und auch andere Berufsgruppen, die der Schweigepflicht unterliegen, müssten diese sogar in bestimmten Fällen brechen. Nämlich dann, wenn geplante Tötungs-, Gewalt- oder inzwischen auch Sprengstoffdelikte, nicht angezeigt würden. Der Paragraf 138 des Strafgesetzbuches sei hier eindeutig, so Hans Lilie:
"In der Norm lautet die Formulierung so, dass der, der von dem Vorhaben oder der Ausführung der im Katalog aufgeführten Straftaten Kenntnis erlangt, und dies in einer Zeit, in der die Ausführung noch abgewendet werden kann und die Behörden nicht unterrichtet, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. Daraus wird ganz deutlich, dass es sich bei diesen Fällen um eine Anzeigepflicht handelt."
In den heute und morgen stattfindenden Gesprächen zwischen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und den Länderkollegen der Union wird auf Drängen der CSU die Lockerung der Schweigepflicht auf der Agenda stehen.
Im geplanten Sicherheits-Paket des Bundesinnenministers Thomas de Maizière taucht die Forderung allerdings nicht mehr auf. Doch die Debatte müsse weitergehen, so der Minister in der vergangenen Woche.
"Dass wir mit den Vertretern der Ärzteschaft in einen Dialog treten, wie man - unter Wahrung der Schweigepflicht - gemeinsam zu Lösungen kommen kann, um Gefährdungen für die Bürgerinnen und Bürger möglichst zu verringern."
Lediglich eine juristische Klarstellung
Was dies konkret bewirken soll, ist noch unklar. Wahrscheinlich lediglich eine juristische Klarstellung. Die Berufsverbände müssten dann ihren Mitgliedern die Sachlage - wenn noch nicht geschehen - verbindlich erörtern.
Viel Lärm also um Nichts? Sozialpädagoge Thomas Mücke ist nicht gänzlich beruhigt. Im Alltag seiner Arbeit lauern diverse juristische Fallstricke. Denn obwohl verschiedene Berufsgruppen eine Schweigepflicht haben, gibt es in einem Strafprozess Unterschiede. Ärzte können sich beispielsweise auf ein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht berufen, Sozialpädagogen hingegen nicht.
Thomas Mücke erinnert sich an einen konkreten, persönlichen Betreuungsfall, ein Jugendlicher hatte ihm Hintergründiges über die eigene Familie anvertraut. Trotzdem wurde er vorgeladen, um auch darüber Auskunft zu geben. Ein typischer Loyalitätskonflikt, in diesem Fall ging er gerade noch gut aus:
"Der Richter hat in dem Moment gemerkt - ich habe ja nur sehr allgemein formuliert gehabt - dass ich in dieser Konfliktsituation drin bin. Er hat dann nicht mehr intensiver nachgefragt, weil er es merkte. Aber da hatte ich einfach Glück gehabt, dass ich es mit einem sehr sensiblen und empathischen Richter zu tun hatte."
Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialpädagogen gefordert
Mücke fordert deshalb auch ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialpädagogen. Immerhin: In den vergangenen Jahren wurde die Gewalt-Präventionsarbeit in Deutschland ausgebaut. Auch wenn natürlich noch mehr möglich wäre, sagt Thomas Mücke. Dass seine Arbeit sinnvoll ist, daran hat er keinen Zweifel: Womit er wieder bei seine ersten Berufserfahrungen wäre: Damals vor 25 Jahren - als er mit der Betreuung rechtsextremer Jugendlicher begann.
"Zu denen habe ich teilweise immer noch Kontakt. Die haben ganz normale Jobs, die haben Familie und auch Kinder. Die schreiben heute noch, dass ihr Lebensweg nicht gut gelaufen wäre, wenn es damals diese Arbeit nicht gegeben hätte."