Der Entwurf ist umstritten - und das nicht nur im Parlament. Einem Brandbrief gegen die Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht haben sich mehr als 50 Organisationen angeschlossen - postmigrantische und Flüchtlingsorganisationen, rechtliche und soziale Verbände. Sie teilen die Kritik, die am Rand der Anhörung des Innenausschusses auch Tarik Tabbara formuliert, Professor an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht.
"Insgesamt steht das eigentlich unter der Überschrift: Rückabwicklung des modernen, demokratischen Einbürgerungsrechts, eben zurück zur Zeit der Gastarbeiter."
Dabei sollte es ursprünglich nur um den Umgang mit Dschihadisten gehen. Wer für eine Terrororganisation wie den "Islamischen Staat" kämpft, soll die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Das geht nur, wenn der- oder diejenige noch Bürger oder Bürgerin eines anderen Landes ist, weil niemand in die Staatenlosigkeit geschickt werden darf. Und es geht nicht rückwirkend. Es gilt also nicht für all diejenigen, die jetzt schon in kurdischen Gefängnissen sitzen. Eine Kritik lautet deshalb: Es gehe um bloße Symbolik. Eine andere: Hier gehe es um eine Sanktion für Taten, die mit der Staatsangehörigkeit nichts zu tun hätten. Denn anders als beim Kampf für ein anderes Land, dessen Bürger man sei, gehe es hier nur um ein – wenn auch berechtigtes - Unwerturteil. Daniel Thym sieht das nicht so. Auch der Konstanzer Völkerrechtsprofessor warnt allerdings: Schule machen sollte ein solcher Verlust der Staatsangehörigkeit nicht.
"Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt: Reine Unwerturteile sind problematisch. Deswegen wäre es auch schwierig, wenn die Politik jetzt kriminellen Clan-Mitgliedern den Pass entzöge. Aber bei den Terrorkämpfern geht es um etwas anderes: Da geht es um Personen, die sich einem Terrorverband anschließen und an internationalen Konflikten teilnehmen. Und da kann genau derselbe Loyalitätskonflikt auch auftreten, der dem bestehenden Verlustgrund beim Eintritt in fremde Streitkräfte zugrunde liegt, weil nämlich das Völkerrecht heute anerkennt, dass man militärische Maßnahmen auch gegen Terroristen durchführen kann."
Einbürgerungen bei Mehrehen verhindern
An sich gehe es nur darum, die Leute loszuwerden, kritisieren andere. Dabei habe der deutsche Staat die Pflicht, Leute, die Verbrechen für den IS begangen hätten, vor Gericht zu stellen. So sieht es für den Deutschen Anwaltverein der Heidelberger Berthold Münch. Der die neue Norm außerdem für völlig unbestimmt hält.
"Wer gehört eigentlich dazu? Der Mensch, der Essen kocht, für eine kämpfende Miliz? Fällt der da drunter? Jemand, der spenden sammelt? Jemand, der Fahnen schwenkt?"
An sich hatte es bei dieser Änderung zu den Dschihadisten bleiben sollen bei diesem Gesetz, das die Koalition von Anfang an im Eiltempo durchs Parlament peitschen wollte. Dann aber wollten Unionspolitiker draufsatteln, Einbürgerungen bei Mehrehe verhindert sehen, die im Ausland unter Umständen legal geschlossen werden kann. Im Gesetz allerdings steht nun etwas anderes: Verlangt wird die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse. Ein Rückschritt, fürchten Grüne und Linke. Und - mit den vielen besorgten Organisationen - Tarik Tabbara.
"Das ist völlig klar, dass über den Anlass hinaus - die Vermeidung von Mehrehen bei der Einbürgerung - man so eine Art Kulturvorbehalt bei der Einbürgerung einführen möchte."
"Gefahr eines uferlosen Programms"
"Leitkultur-Paragraf" heißt das Schlagwort der Kritiker. Um dem Streit die Spitze zu nehmen, schrieb die Koalition nach der Anhörung einen weiteren Halbsatz in den Paragrafen: "Insbesondere" soll die Mehrehe gemeint sein. Der Anwalt Münch hat grundsätzlichere Bedenken:
"Wenn wir anfangen, gesellschaftlich Erwünschtes in den Anspruch auf Einbürgerung einzubauen, dann laufen wir Gefahr, dass das ein uferloses Programm wird. Das ist einigermaßen volatil, denke ich."
Die Formulierung mit der "Einordnung" gibt es auch an anderer Stelle im Gesetz. Der Völkerrechtler Thym findet die Aufregung deshalb übertrieben und er kritisiert den, wie er meint, polarisierenden Ton. Die Kritik bleibt, auch an anderen Verschärfungen: Längeren Fristen für den Widerruf etwa oder der gesetzlichen Forderung nach eindeutig geklärter Identität. Tatsächlich gibt es die - ungeschrieben - schon heute. Kritiker fürchten trotzdem, dass Flüchtlinge ohne Pass in Zukunft schlechtere Chancen haben. Stimmt der Bundestag heute zu, soll noch am Freitag der Bundesrat entscheiden.