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Debatte um Gauck-Äußerung
"Leitlinie der Außenpolitik sind unsere nationalen Interessen"

Der Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat kein Verständnis für die Kritik an Bundespräsident Joachim Gauck. Von Deutschland werde seit Jahren erwartet, mehr Verantwortung in der NATO und der EU zu übernehmen. Gauck werde zudem etwas unterstellt, was er nicht gesagt habe, kritisierte Kujat im DLF.

Harald Kujat im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr ( picture alliance / ZB)
    "Das ist nicht nur nicht in Ordnung, sondern das, finde ich, ist infam und das entspricht auch nicht der üblichen Hygiene in der Politik, die man eigentlich von Politikern erwarten muss, " sagte Kujat.
    Das große Problem bei den jetzigen Einsätzen sei die Dauer, die oft nicht absehbar sei. Notwendig sei von Anfang an eine Strategie, die das politische Ziel, die Ausrüstung und die Dauer festlege.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Klare Worte des Bundespräsidenten an diesem Wochenende. Joachim Gauck fordert, dass die Deutschen mehr Verantwortung international übernehmen und eben auch militärisch, wenn es sein muss. Mein Kollege Jürgen Liminski hat darüber mit Ex-NATO-General Harald Kujat gesprochen.
    Jürgen Liminski: Herr Kujat, wie empfinden Sie als General diese Diskussion um die Äußerung von Bundespräsident Gauck?
    Harald Kujat: Nun, es wird dem Bundespräsidenten etwas unterstellt, was er nicht gesagt hat, und es wird in seine Worte etwas hineininterpretiert, was er nicht gemeint hat. Das ist nicht nur nicht in Ordnung, sondern das, finde ich, ist infam und das entspricht auch nicht der üblichen Hygiene in der Politik, die man eigentlich von Politikern erwarten muss.
    Liminski: Der Bundespräsident hat eine politische Selbstverständlichkeit ausgesprochen. Wird das nicht auch von unseren Partnern erwartet?
    Kujat: Ja. Es wird seit Jahren erwartet, dass wir in den Bündnissen, in denen wir sind, in der NATO, aber auch in der Europäischen Union, Verantwortung übernehmen, die der Größe unseres Landes und dem wirtschaftlichen und politischen Gewicht unseres Landes entspricht. Wir sind immerhin in der NATO nach den Vereinigten Staaten das zweitgrößte Land, das wirtschaftlich sehr stark ist, auch das zweitstärkste wirtschaftliche Land, und es ist eine Selbstverständlichkeit eigentlich, dass man auch nach dem Prinzip der Solidarität - das ist ja einer der Grundpfeiler in Bündnissen -, nach dem Prinzip der Solidarität die Lasten teilt, und zwar angemessen unter den Verbündeten teilt.
    Liminski: Aber haben Sie nicht auch ein bisschen Verständnis für die Positionen etwa der Grünen, die wie Ströbele nur das Kriterium der Menschenrechte gelten lassen wollen – Stichwort Saudi-Arabien, Katar und so weiter?
    Kujat: Nein, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Leitlinien für unsere Außen- und Sicherheitspolitik sind unsere nationalen Interessen. Dabei kommt natürlich auch der Frage der Menschenrechte große Bedeutung zu. Aber im Vordergrund stehen unsere nationalen sicherheitspolitischen Interessen. Die Sicherheit und das Wohlergehen unseres Landes, unsere Bündnisfähigkeit, das ist entscheidend. Und selbstverständlich müssen wir bei Konflikten, bei Krisen einen Beitrag immer dann leisten, wenn es auch um unsere Sicherheit, wenn es auch um unsere Interessen geht. Daran geht überhaupt kein Weg dran vorbei.
    Weitere Auslandseinsätze möglich
    Liminski: Zur Sache selbst, Herr Kujat. Wir sind militärisch in Afghanistan, im Kosovo, die Marine beteiligt sich bei der Piratenabwehr. Wäre die Bundeswehr denn nach heutigem Stand in der Lage, weitere Auslandseinsätze zu übernehmen?
    Kujat: Ja, dazu ist sie sicherlich in der Lage. Es hängt natürlich immer davon ab, in welchem Umfang wir gefordert sind, und auch vor allen Dingen – das ist ein Kriterium, das immer wichtiger wird für die Zukunft -, wie lange solche Einsätze dauern. Denn die Durchhaltefähigkeit, das ist ein großes Problem für uns, einfach aufgrund des reduzierten Umfanges der Streitkräfte und auch des Engagements in verschiedenen anderen Operationen. Aber ganz eindeutig ja, wir können, wenn es notwendig ist, wenn es unseren nationalen Interessen entspricht und mit unseren Bündnisverpflichtungen in Einklang ist, wir können sicherlich noch etwas leisten.
    Liminski: Aber gerade die Dauer ist heute eigentlich kaum absehbar. Niemand hat vor zwölf Jahren gedacht, dass wir so lange in Afghanistan bleiben würden.
    Kujat: Die Dauer ist exakt das Problem. Wir sind seit vielen, vielen Jahren auf dem Balkan im Einsatz, wir sind nun schon seit Ende 2001, Anfang 2002 in Afghanistan im Einsatz, und zwar in einem erheblichen Umfang, und das ist in der Tat eine ganz, ganz große Belastung. Das heißt aber auch, wir müssen daraus nicht nur Konsequenzen für die Streitkräfte selbst ziehen, strukturell, ausrüstungsmäßig und was den Umfang betrifft, sondern wir müssen von Anfang an auch eine Strategie entwickeln, die es uns erlaubt, einen Einsatz sobald wie möglich zu beenden. Das heißt, es muss am Anfang klar sein, welches politische Ziel wir erreichen wollen, wie wir es erreichen können und was dafür benötigt wird, sowohl an Kräften als auch an Zeit. Das muss am Anfang klar sein und das war in Afghanistan nicht so und das war auch auf dem Balkan nicht so.
    Liminski: Verstehen Sie die Äußerungen des Bundespräsidenten vielleicht deswegen auch so, dass man eine neue Strategie entwerfen muss?
    Kujat: Ich denke, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen sich heute schneller verändern, als das in der Vergangenheit der Fall war. In der Zeit des Kalten Krieges war die Situation sehr, sehr statisch – nicht nur über Jahre, sondern über Jahrzehnte. Jetzt ist die Situation, die sicherheitspolitische Situation sehr dynamisch geworden, und das Kriterium, die entscheidende Herausforderung ist eigentlich Unsicherheit: Unsicherheit über das, was kommt, Unsicherheit über das, was sich im Augenblick entwickelt. Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass sich eine Situation, wie wir sie heute in der Ukraine erleben, entwickeln würde? Wer hätte geglaubt, dass wir wieder eine Diskussion haben werden darüber, ob wir in der Lage sind, aktiv und mit einem erheblichen Beitrag auch an der Landes- und Bündnisverteidigung teilzunehmen? Das war alles im Grunde genommen abgeschrieben, das hatten wir mit dem Ende des Kalten Krieges hinter uns gelassen.
    Müller: Ex-NATO-General Harald Kujat im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.