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Debatte um Parité-Gesetz
"Der weibliche Blick fehlt"

Frauen machen die Hälfte der deutschen Bevölkerung aus. Die Parteien müssten deshalb für eine gleichberechtigte Teilhabe sorgen, sagte die Juristin Silke Laskowski von der Universität Kassel im Dlf. Ansonsten vernachlässige der Gesetzgeber ihre Interessen, weil sie ihn nicht betreffen.

Silke Laskowski im Gespräch mit Philipp May |
    Die Parlamentarier in Potsdam beraten auf der Landtagssitzung im Plenarsaal.
    Brandenburg hat das erste Parité-Gesetz verabschiedet, die Parteien müssen ab 2024 gleich viele Männer und Frauen zur Wahl aufstellen. (dpa/Patrick Pleul)
    Das neu verabschiedete Parité-Gesetz in Brandenburg, das die Parteien verpflichtet, gleich viele Männer und Frauen aufzustellen, sei keine Sonderbehandlung, so Silke Laskowski im Dlf. "Das Problem ist die fehlende Chancengleichheit von Kandidatinnen. Wenn Frauen nicht nominiert werden, können sie auch nicht gewählt werden."
    Der Maßstab sei auch nicht der Frauenanteil in der jeweiligen Partei, sondern der Anteil der Frauen in der deutschen Bevölkerung. "Parteien erfüllen keinen Selbstzweck", so Laskowski. Sie seien keine privaten Unternehmen, sondern dienten der Demokratie und müssten die Souveränität des Volkes sicherstellen. Es gehe um eine gleichberechtigte Teilhabe von Wählerinnen und Wählern.
    Vorbild Frankreich
    Die Parteien müssten sich darum kümmern, dass genug Frauen vertreten seien. In Frankreich habe es dasselbe Problem gegeben. Nach Verabschiedung des Parité-Gesetzes hätten sich die Parteien um mehr Kandidatinnen bemüht – mit Erfolg. "Gesetze sind das Steuerungsinstrument der Demokratie, dafür muss man sich nicht entschuldigen", so Silke Laskowski von der Universität Kassel.
    In der Politik fehle der oft der weibliche Blick. "Frauen und Männer betrachten die Welt unterschiedlich und haben auch unterschiedliche Interessen, beispielsweise im Hinblick auf die Entgeltdiskriminierung", sagte Laskowski. Darum habe sich der Gesetzgeber bisher nicht gekümmert, weil es ihn nicht betreffe.

    Philipp May: Trotz Kanzlerin, trotz der SPD- und CDU-Chefinnen Nahles und Kramp-Karrenbauer – Frauen sind in deutschen Parlamenten massiv unterrepräsentiert. Der Anteil von Frauen im Bundestag ist in der neuen Legislaturperiode sogar gesunken, und zwar deutlich: von 36 auf nur 31,3 Prozent. Dagegen machen jetzt immer mehr Frauen mobil. 100 Jahre nach der Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts ist Brandenburg als erstes Bundesland einen Schritt weitergegangen und hat das sogenannte Parité-Gesetz verabschiedet – mit den Stimmen von rot, rot und grün gegen die Stimmen von CDU, FDP und AfD.
    Das heißt, ab der nächsten Wahl oder beziehungsweise ab der übernächsten Wahl, dieses Jahr wird ja schon gewählt, 2024, müssen die Wahllisten der Parteien paritätisch besetzt sein – immer abwechselnd mit Mann und Frau. Maßgeblich vorangetrieben hat dieses Gesetz die Parité-Bewegung für mehr Frauen in öffentlichen Ämtern. Deren Kopf ist Silke Laskowski, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Kassel. Sie ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Silke Laskowski: Guten Morgen!
    May: Frau Laskowski, eine Sonderbehandlung für Frauen per Gesetz, ist das nicht das Gegenteil von Gleichheit?
    Laskowski: Nein, wir müssen ja erst mal dafür sorgen, dass Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer, nominiert werden zu können – das ist doch das Problem: die fehlende Chancengleichheit von Kandidatinnen. Wenn wir uns die Zahlen angucken, also die Nominiertenzahlen von Frauen bei der letzten Bundestagswahl, dann finden wir bundesweit 29 Prozent Frauen. Ja, das ist ein Wunder, dass dann überhaupt 30,7 Prozent Frauen in den Bundestag einziehen konnten, denn ist ja klar, wenn Frauen nicht nominiert werden, können sie vom Volk, von der Wählerin und dem Wähler auch nicht gewählt werden.
    May: Gut, aber auf der anderen Seite, wenn wir jetzt in die Parteien schauen, zum Beispiel die CDU, da liegt der Frauenanteil auch nur bei 26 Prozent. Das fände ich jetzt als Mann ziemlich ungerecht, wenn jetzt verordnet wird, dass die 26 Prozent Frauen in meiner Partei 50 Prozent der Listenplätze bekommen sollten.
    Laskowski: Ja, das ist aber nicht der Maßstab. Der Maßstab ist der Anteil der Frauen im Volk. Wenn Sie sich also das Volk, den Souverän, angucken, dann erkennen Sie, dass wir etwa 50/50 Prozent Frauen und Männer finden. Es geht also um die Wählerinnen und die Wähler. Und dann müssen sich die Parteien natürlich fragen lassen, warum sind bei euch so wenig Frauen, warum seid ihr so unattraktiv für Frauen. Und da kommen wir ganz klar wieder auf die Strukturen zu sprechen, die männlich dominierten Strukturen, die dafür sorgen, dass vor allen Dingen Männer durch ihre Seilschaften, sag ich mal, nach oben gezogen werden und dann auf den Positionen sitzen, wo man sie heute findet, und eben keine Frauen. Das findet sich auch im Nominierungsverfahren wieder. Wir können da erkennen, dass auf den richtigen Posten die Männer sitzen.
    May: Aber müssten Sie nicht da ansetzen, das heißt an den Strukturen ansetzen oder vielleicht auch einfach mehr Werbung dafür machen, dass Frauen in die Parteien gehen. Frauen, die sind ja sogar leicht in der Überzahl, ich glaube, 51 Prozent der Bevölkerung, der Wahlberechtigten. Sie könnten sich die Plätze ja im Prinzip einfach holen.
    "Die Parteien müssen sich auf die Hinterbeine stellen und Frauen suchen"
    Laskowski: Ja, aber das setzt voraus, dass alle Frauen bereit sind, sich in diese Männerstrukturen zu begeben. Und wissen Sie, dann müssen wir einmal zu sprechen kommen auf die Aufgabe von Parteien. Parteien erfüllen in unseren demokratischen Systemen keinen Selbstzweck, das sind auch keine privaten Unternehmen – Parteien dienen der Demokratie. So, und was bedeutet das? Demokratie bedeutet die Souveränität des Volkes, die Selbstbestimmung sicherzustellen. Wir haben einen Anspruch auf Demokratie, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, und das bedeutet, wenn wir uns jetzt das Wahlvolk angucken, einen Anspruch auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe von Wählerinnen und Wählern. Und dafür müssen die Parteien sorgen mithilfe ihrer innerparteilichen Strukturen, und im Idealfall finden sie dann auch genug Frauen. Das ist auch kein Problem, wenn wir uns die Parteien angucken, denn die Zahlen sind nicht so, dass überhaupt keine Frauen zu finden sind. Aber sollten wirklich zu wenig da sein, ja, dann müssen sich die Parteien auf die Hinterbeine stellen und Frauen suchen und finden. Und das werden sie auch.
    May: Ich komme noch mal drauf zurück: Sollten die Parteien das nicht erst mal herausfinden, ob wirklich genug Frauen da sind?
    Laskowski: Schauen Sie sich die Parteien an, aber gucken wir uns lieber Frankreich an: Da gab es ja dasselbe Problem, als das Parité-Gesetz eingeführt wurde im Jahre 2001. Alle Parteien jammerten: keine Frauen. Als das Gesetz in der Welt war, war klar, wenn sie an den Wahlen teilnehmen müssen, müssen sie die Listen paritätisch besetzen und auch die Wahlkreise halbiert mit Frauen und Männern, also Frauen und Männer nominieren. So, und was machen die Parteien? Sie machten sich auf die Suche und wandten sich an die Frauenorganisationen und sagten, helft uns. Und was machten die Frauenorganisationen? Sie sagten, schaut her, wir haben schon mal eine Liste für euch vorbereitet, an die Frauen könnt ihr euch wenden. Und zack, waren die Frauen gefunden.
    "Gesetze sind das vornehmste Instrument der Demokratie"
    May: Aber dennoch gibt es auch in Frankreich immer noch keine Parität, Schweden dagegen hat Parität, aber sie haben kein Quotengesetz, da ist es gesellschaftlich gewollt. Kämpfen Sie nicht möglicherweise für ja ohne Frage berechtigtes Anliegen da einfach auf der falschen Ebene?
    Laskowski: Nein, auf gar keinen Fall. Gesetze machen deutlich, wie die verbindlichen gesellschaftlichen Spielregeln aussehen. Wenn in Schweden die Dinge ohne Gesetze laufen, bitte schön, dann ist das gesellschaftliche Bewusstsein schon sehr viel stärker vorhanden. Dann hat es wahrscheinlich im Vorfeld andere Gesetze gegeben, die darauf hingewirkt haben. Aber Gesetze sind das Steuerungsinstrument der Demokratie, und zwar das vornehmste Instrument, dafür muss man sich nicht entschuldigen. Gesetze steuern und sagen, wie eine Gesellschaft oder in welchem Rahmen sich eine Gesellschaft bewegen soll und darf, und dafür brauchen wir sie. Es geht darum, die Strukturen zu knacken. Es ist kein individuelles Problem von Frauen, sondern ein strukturelles Problem der alten, verkrusteten, männlich dominierten Parteien.
    May: Frau Laskowski, es wird ja auch immer wieder geklagt, dass im Bundestag nicht nur zu wenig Frauen sitzen. Der soll alle Bevölkerungsschichten erfassen, aber es sind fast nur Juristen vertreten oder zu einem überproportional großen Teil. Warum keine Quoten zum Beispiel für weniger Juristen und mehr Handwerker beispielsweise?
    Laskowski: Ja, weil wir dafür keine Grundlage in der Verfassung finden. Also noch mal zurück zu Frauen und Männern: Das sind die Kernbestandteile der Gesellschaft, einer zukunftsorientierten Gesellschaft – überall. Wir finden hier den Anknüpfungspunkt im Gleichbehandlungs- oder Gleichberechtigungsgebot der Verfassung, Artikel 3 Absatz 2. Für Juristen oder Juristinnen finden wir da überhaupt nichts, auch nicht für andere berufliche Statusgruppen, das wird nicht als Problem gesehen. Aber das sind die Basics einer demokratischen Gesellschaft. Im Übrigen auch das noch: Diese Diskussion ist in Europa schon längst ausdiskutiert. Dass wir hier einen gleichmäßigen Anteil benötigen, das ist klar, das sind die Essentials der Demokratie. Wir führen hier eine sehr deutsche Diskussion.
    Unterschiedliche Prioritäten und Interessen
    May: Frau Laskowski, wo Sie das Thema Gleichbehandlung ansprechen: Ich bin ja in Schleswig-Holstein groß geworden, mit dem SSW, dem Südschleswigschen Wählerverband, dänische Minderheit, für die gilt keine Fünf-Prozent-Klausel, damit sie ihre eigene Minderheitsinteressen wahren können im Parlament. Leuchtet mir ein, aber Frauen, wie gesagt, sind ja keine Minderheit, und zweitens, welche Interessen sollten Frauen wie Männer in der Politik denn idealerweise haben und vertreten außer dem Allgemeinwohl?
    Laskowski: Es geht darum, dass in der jetzigen Politik, ich sag’s mal ein bisschen salopp, der weibliche Blick fehlt, also der, der durch Sozialisation dazu führt, dass Frauen und Männer die Welt unterschiedlich betrachten, unterschiedliche Prioritäten setzen und zum Teil auch unterschiedliche Interessen haben, Stichwort Entgeltdiskriminierung von Frauen. Das ist ein Thema, das seit 70 Jahren in der Bundesrepublik bekannt ist, um das sich der männlich zusammengesetzte Gesetzgeber – also mindestens 70, 80, in der Vergangenheit sogar 90 Prozent Männer –, um das sich der Gesetzgeber nicht gekümmert hat, weil es ihn nicht interessiert, weil es ihn nicht betrifft. Sie können erkennen, wenn dieser Blick fehlt, diese Betroffenheit, dann ist die Politik an dieser Stelle defizitär. Und diesen Blick brauchen wir.
    May: Frau Laskowski, wir müssen leider zum Ende kommen …
    Laskowski: Wie schade.
    May: Ja, wirklich schade, ich hätte wirklich gerne mit Ihnen noch weitergeredet.
    Laskowski: Ja, ich hätte Ihnen auch noch gerne was erzählt.
    May: Die Nachrichten warten. Silke Laskowski, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Kassel war das. Vielen Dank für das Gespräch und schönes Wochenende!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.