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Debatte um Rundfunkgebühren
"Wir müssen den Kontakt und den Austausch suchen"

In der Schweiz wird nun über No-Billag entschieden und auch in Deutschland läuft eine hitzige Debatte über die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. "Wenn man nicht selbstkritisch auch immer wieder das eigene Tun hinterfragt, macht man etwas falsch", sagte Nathalie Wappler Hagen, Programmdirektorin des MDR, im Dlf.

Nathalie Wappler Hagen im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    MDR-Programmdirektorin Nathalie Wappler Hagen
    MDR-Programmdirektorin Nathalie Wappler Hagen (picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)
    Mario Dobovisek: Er steht in der Kritik, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, allerorts in Europa, für seine Gebühren. Kritiker nennen sie Zwangsgebühren für seine angebliche Nähe zur Politik und Arroganz. Die Schweizer haben bis morgen die Wahl, in ihrem Volksentscheid geht es um das Ende der Rundfunkgebühren, die jeder Schweizer Haushalt bezahlen muss, ähnlich wie in Deutschland, nur teurer, erheblich teurer im Verhältnis. Und die Billag ist jene Organisation, die diese Beiträge erhebt. "No Billag" lautet deshalb das Motto der Gegner, Gegner wie der konservative Publizist und Politiker Roger Köppel, mit dem wir am Mittwoch hier im Deutschlandfunk gesprochen haben.
    O-Ton Roger Köppel: Wir leben nicht mehr in Zeiten des Volksempfängers, der staatlich kontrollierten oder staatlich konzessionierten Medien, auch mit inhaltlichen Vorgaben, wie das in der Schweiz passiert, vermutlich in Deutschland auch, da kenne ich das System zu wenig, aber bei uns ist das so. Und da sage ich einfach: Ich bin überzeugter liberaler Marktwirtschaftler. Die Medien dem Markt überlassen, der Kunde soll selber entscheiden, was er bezahlen will, und nicht der Staat soll ihm das Geld aus dem Portmonee nehmen.
    Dobovisek: So weit also Roger Köppel, einer der Kritiker. Nathalie Wappler Hagen ist mir nun zugeschaltet, sie kommt aus der Schweiz, war dort lange für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF tätig, war dort auch Mitglied der Geschäftsleitung, ist heute Programmdirektorin des Mitteldeutschen Rundfunks in Halle. Guten Tag, Frau Wappler Hagen!
    Nathalie Wappler Hagen: Guten Tag!
    Genauso der Unabhängigkeit verpflichtet, wie auch in Deutschland
    Dobovisek: Gibt es in der Schweiz inhaltliche Vorgaben der Politik für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie es Herr Köppel und die No-Billag-Initiatoren ja behaupten?
    Wappler Hagen: Nein. Der öffentlich finanzierte Rundfunk ist in der Schweiz genauso der Unabhängigkeit verpflichtet, wie er das auch in Deutschland ist. Natürlich gibt es auch Vorgaben im Sinne der Ausgewogenheit der journalistischen Fairness, wir sollen bilden, unterhalten und informieren. Aber das halte ich jetzt nicht für eine Vorgabe der Politik in dem Sinne, wie Roger Köppel das, glaube ich, meint.
    Dobovisek: Im Verfassungsartikel 93 in der Schweiz heißt es etwa: Radio und Fernsehen berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Im Grunde ist das ja auch schon eine politische Vorgabe, die unter anderem dazu führt, dass derzeit über 150 festangestellte Mitarbeiter auf Rätoromanisch Programm für nicht einmal 60.000 Schweizer machen, die Rätoromanisch sprechen. Leistet sich die Schweiz damit einen inzwischen unbezahlbaren Luxus?
    Wappler Hagen: Nein, das ist kein unbezahlbarer Luxus, sondern das gehört zur Schweiz. Weil, die Schweiz ist eine Willensnation. Und Sie haben vier offizielle Landessprachen, und wenn Sie diese vier offiziellen Landessprachen ernst nehmen, dann müssen Sie auch für diese – und sei es auch eine Minderheit – Programm machen. Und wir haben festgestellt, dass es auch wichtig ist für den Zusammenhalt in der Schweiz, diese Programme in diesen vier Landessprachen zu veranstalten. Und in der SRG gibt man sich auch immer sehr Mühe damit, jeweils auch diese anderen Sprachregionen zu Gehör zu bringen, und aber auch zu verstehen. Und ich finde, eine journalistische Tugend ist ja auch, sich die Mühe zu machen, dem anderen zuzuhören, ihn zu verstehen und vielleicht auch seine Argumente mit in die eigene Weltsicht mitaufzunehmen. Und in dieser ganzen Diskussion stellen wir immer wieder fest, dass … Die Gegner kommen ja vor allem aus der Deutsch-Schweiz, Sie haben gerade Roger Köppel gehört. Und ich finde, er lässt da einen solidarischen Aspekt außer Acht und stellt ihn einfach so unter Generalverdacht und sagt, der Markt kann das alles selber regeln. Die Schweiz ist zu klein, als dass das der Markt selber regeln kann.
    Auf Augenhöhe mit dem Publikum begeben
    Dobovisek: Ist es aber vor allem die Mehrsprachigkeit, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Schweiz zwar einzigartig, aber eben auch teuer macht – die Gegner sagen: ineffizient?
    Wappler Hagen: Ja, natürlich ist es teuer. Sie können nicht einfach mal einen Beitrag eben rüberschieben und sagen, den kann man da noch wiederholen, sondern Sie müssen sich immer wieder die Mühe machen, den anzupassen, Sie müssen die Sprachen übersetzen. Aber vergessen Sie nicht, man lernt dabei auch eine ganze Menge über andere Befindlichkeiten. Und eben auch, wenn Sie über den Röstigraben rübergucken, sehen Sie einfach auch, dass aus Genf heraus die Schweiz auch noch mal anders aussieht als aus Zürich. Und das ist eine Anstrengung, Herr Köppel sagt, das ist ein Luxus, ein ineffizienter Luxus. Ich glaube, es ist eine gesellschaftspolitische Anstrengung, und ich finde, das macht die SRG gut.
    Dobovisek: Nicht neutral, von der Politik abhängig, marktverzerrend, durch Zwangsgebühren finanziert, arrogant zu guter Letzt, all das sind ja Vorwürfe, die wir auch aus Deutschland kennen. Sie kamen vor fast anderthalb Jahren aus der Schweiz zum MDR nach Halle als Programmdirektorin dort. Das ist, sagen wir, innerhalb der ARD eher ungewöhnlich, ein ungewöhnlicher Weg. Wie erleben Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hier wie dort? Auch schon mal als arrogant?
    Wappler Hagen: Ach, ich glaube, wenn man nicht selbstkritisch auch immer wieder das eigene Tun hinterfragt, macht man glaube ich auch etwas falsch. Und in der SRG gerade, das ist ein kleines Land, an der einen und anderen Stelle hat man vielleicht zu wenig gut zugehört, wenn diese Argumente vorgetragen wurden. Aber ich glaube, wir müssen uns natürlich auch auf Augenhöhe begeben mit unserem Publikum und müssen den Kontakt und den Austausch suchen.
    Dobovisek: Und wir befinden uns nicht auf Augenhöhe, sagen Sie?
    Wappler Hagen: Doch, ich glaube, dass wir in ganz vielen unserer Programme absolut auf Augenhöhe sind. Wir sind im Dialog mit unserem Publikum, ich glaube, dass wir eine hohe Bindung zu unserem Publikum haben. Und ich glaube, dass diese Arroganz manchmal auch ins Feld geführt wird, um, wie soll ich das sagen, einfach auch mal polemisch etwas zu setzen. Ich glaube, dass es allen Kolleginnen und Kollegen, die im öffentlich-rechtlichen System arbeiten, sehr daran gelegen ist, diese Augenhöhe zu halten, zu wahren und auch immer wieder im Kontakt zu sein.
    Eine in vielen Teilen konstruktive Diskussion
    Dobovisek: Warum gelingt es uns auch in Deutschland zum Beispiel nicht, das dann auch so rüberzubringen? Wir, weil wir im Deutschlandfunk ja auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk angehören, genauso wie Sie beim Mitteldeutschen Rundfunk.
    Wappler Hagen: Ich würde jetzt andersrum fragen: Gelingt es uns nicht? Ich glaube, wir haben wirklich eine hohe Reichweite, ich glaube, wir genießen auch ein hohes Vertrauen. Die Leute hören uns zu, sie schreiben uns, sie nutzen uns. Von daher glaube ich, wir haben eine starke Glaubwürdigkeit und eine hohe Bindung.
    Dobovisek: Was lernen wir dann aus der Debatte, die gerade in der Schweiz geführt wird, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch in Deutschland, für die ARD, für das ZDF und auch den Deutschlandfunk?
    Wappler Hagen: Ich glaube, was wir lernen können, ist, dass wir immer wieder diskutieren müssen. Man hat in der Schweiz gesehen, dass man am Anfang ja sehr … Aufgeladen ist es immer noch, aber dadurch, dass jetzt auch weitere Interessensverbände sagen, wir wollen uns auch diesen öffentlich-rechtlichen oder diesen öffentlich finanzierten Rundfunk nicht wegnehmen lassen, ist eine sehr in vielen Teilen auch konstruktive Diskussion entstanden, die auch noch mal das Bewusstsein dafür geschärft hat, was denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch leistet, also auch für diese Gemeinschaft leistet: dass sie Plattform ist für einen Meinungsaustausch. Und wissen Sie, immer wenn es dann so heißt, die öffentlich-rechtlichen Medien werden infrage gestellt, wird auf der anderen Seite nie angezweifelt, in welcher Abhängigkeit private Medienhäuser von Mäzenen, Sponsoren und Inserenten sind. Und ich glaube, wir müssen an der Stelle auch zuversichtlich sein und vor allem im Gespräch bleiben auch mit unseren Nutzern und Hörern und Zuschauerinnen. Und ich glaube, das hat in der Schweiz in der letzten Zeit diese Diskussion auch gezeigt, dass die Leute sich auch für den öffentlichen Rundfunk, den gemeinschaftlich finanzierten Rundfunk starkmachen. Das Argument, ich nutze nur das, was ich bezahle, oder ich bezahle nur für das, was ich nutze, kann eben auch bedeuten: Ich nehme mir die Freiheit, genau das zu finanzieren.
    Finanzierung über Abonnenten?
    Dobovisek: Jetzt prüfen die Spitzen des Schweizer Rundfunks derzeit offenbar auch andere Finanzierungsmodelle, auch fernab der Gebühr. Wie könnten verlässliche Alternativen auch in Deutschland aussehen?
    Wappler Hagen: Ich glaube, das ist eine sehr komplizierte Diskussion und da …
    Dobovisek: Fragen wir anders: Gute Programme könnten ja auch den Mut aufbringen, sich von Abonnenten finanzieren zu lassen statt von Beitragszahlern, die das dann als Zwang empfinden.
    Wappler Hagen: Ich glaube, gutes Informationsprogramm ist einfach teuer, genau wie auch Kultur- und Unterhaltungsprogramme. Das einfach über Abonnenten in einer Nachhaltigkeit finanzieren zu lassen, laufen Sie immer Gefahr, dass Sie dann eben auch diese Nachhaltigkeit gar nicht garantieren können. Wenn ich jeden Tag darauf gucken muss, habe ich jetzt genügend Abonnenten, dass ich die Tagesschau machen kann, dann können Sie nicht gewährleisten, dass die Kolleginnen und Kollegen auch in tiefgreifende Recherchen gehen können. Und ich halte es an der Stelle für absolut wichtig, dass wir uns darauf verständigen, dass wir einen gemeinschaftlich finanzierten Rundfunk brauchen, haben wollen und ihn auch unterstützen.
    Dobovisek: Nathalie Wappler Hagen ist Programmdirektorin des MDR in Halle und war viele Jahre beim Schweizer Radio und Fernsehen Mitglied der Geschäftsleitung. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.