Im übrigen habe Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) mit seinem Vorstoß für eine laxere Handhabung des Eurostabilitätspakts etwas ausgesprochen, was "grundsätzlich richtig sei". Für falsch dagegen hält Giegold Gabriels Vorschlag, Investitionen nicht mehr bei den staatlichen Defiziten zu berücksichtigen. Damit würden die Defizitzahlen in gewisser Weise manipuliert.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Mein Kollege Jürgen Zurheide hat gestern mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold über die neue Stabilitätsdebatte gesprochen. Und der hat bestritten, dass der Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form das Wirtschaftswachstum behindert.
Sven Giegold: Es geht ja gar nicht darum, dass der Stabilitätspakt jetzt systematisch verändert werden müsste, sondern schon bisher ermöglicht der Stabilitätspakt eben, dass man nicht in der Krise ein Land noch weiter zum Sparen zwingen muss. Das wäre auch in der Tat kontraproduktiv.
Jürgen Zurheide: Das heißt - wenn man jetzt noch mal nachfragt, bei der Krisenbewältigung, zumindest wenn man einige Länder sieht, kann man ja feststellen, dass da dramatische soziale Folgen zum Teil sind –, das heißt, Sie sagen, wenn es diese Folgen gibt, hat das nicht mit der Fehlkonstruktion des Stabilitätspakts zu tun?
Giegold: Der zentrale Punkt ist der: Der Stabilitätspakt verpflichtet die Länder, relativ schnell wieder auf drei Prozent Defizit zu kommen und dann später dieses Defizit auch abzubauen und zu korrigieren. Das kann man natürlich machen, wenn man ein gesundes Wachstum hat. Wenn man aber kein Wachstum hat, sondern Stagnation, dann führt eine solche Politik letztlich noch tiefer in die Krise. Daher ist im Stabilitätspakt vorgesehen, dass man einem Land mehr Zeit geben kann, genau um solche Phasen von Schwäche zu überbrücken. Und genau das ist im Falle von Italien und Frankreich auch schon passiert. Und es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass das auch wieder geschieht. Das wird allerdings immer verknüpft damit, dass tatsächlich Reformen gemacht werden. Das ist in beiden Ländern auch durchaus notwendig.
Zurheide: Insofern hat Herr Gabriel in Toulouse eine völlige Selbstverständlichkeit ausgesprochen?
Giegold: Er hat etwas ausgesprochen, was grundsätzlich richtig ist, man sollte ein Land in der Krise nicht zum Sparen zwingen. Aber er hat gleichzeitig etwas aufgemacht, was ich persönlich für falsch halte, nämlich dass man sagt, dass Investitionen nicht bei den staatlichen Defiziten berücksichtigt werden. Warum halte ich das für falsch? Weil man damit die Defizitzahlen in gewisser Weise manipuliert. Die sind jetzt schon an etlichen Stellen nicht richtig aussagefähig. Und jetzt dort Daten auszugeben, die nicht richtig korrekt sind, damit würde man jeglicher Transparenz einen Bärendienst erweisen. Vor allem deshalb, weil die Gefahr immer besteht, dass man dann eine Investitionsdefinition zugrunde legt, die völlig eng ist. Also, wenn man Straßen baut, wenn man neue Gebäude errichtet und dergleichen, dann wird das als Investition gezählt. Aber aus heutiger Sicht wissen wir doch genauso, dass Bildung, Forschung und Entwicklung mindestens genauso wichtige Investitionen sind. Und wenn man die mit einbeziehen würde, dann kann man bald große Teile des staatlichen Budgets praktisch bei den Defiziten ausnehmen. Das macht keinen Sinn.
"Wir müssen gezielte Zukunftsinvestitionen in Gang setzen"
Zurheide: Auf der anderen Seite haben Sie gerade einen anderen wichtigen Punkt angesprochen und genau das fehlt ja: Wir haben in Europa nicht genügend Wachstum, da ist das eigentliche Problem. Wer muss da was tun, damit wir mehr Wachstum haben, und - Klammer auf, ich frage das einen Grünen! - vielleicht auch das richtige Wachstum?
Giegold: Ja, genau. Wir vertreten ja entschieden einen sogenannten grünen New Deal. Das bedeutet, wir wollen nicht irgendein Wachstum, wir brauchen dringend wirtschaftliche Dynamik, damit wir schneller von der Arbeitslosigkeit herunterkommen. Es droht auch, dass wir in eine lange Phase von Stagnation mit langfristig auch sinkenden Preisen - Stichwort japanische Krankheit - hineinrutschen. Was muss dafür getan werden? Wir müssen gezielt Zukunftsinvestitionen in den Bereichen in Gang setzen, die uns auch ökologisch nachhaltiger machen. Und dafür gibt es die erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, aber auch Bildung, Ressourceneffizienz. Das ist ein großes Investitionsprogramm, was wir brauchen, um unsere Art von Wirtschaft nachhaltig zu machen. Die Frage stellt sich natürlich sofort: Wer soll das bezahlen? Und da ...
Zurheide: Wollte ich gerade sagen, wie muss das finanziert werden?
Giegold: Ja, und da gibt es zwei Dinge. Erstens, der größte Teil dieser Investitionen soll natürlich nicht getätigt werden von der öffentlichen Hand, sondern das sind Privatunternehmen und Haushalte. Und die Zinsen für Kredite sind im Moment sehr niedrig. Das heißt, jetzt ist die richtige Zeit, solche Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Dafür kann man zum Beispiel Regeln anpassen, statt beim Klimaschutz nachzulassen, sollte man vielmehr jetzt die Gelegenheit nutzen, die Zukunftsinvestition in Gang zu setzen durch entsprechende Regeln, die Unternehmen und Haushalte letztlich anreizen, jetzt genau in Energieeffizienz und Erneuerbare zu investieren. Und im Übrigen gibt es bei dieser ganzen Diskussion, und das stört mich auch bei Herrn Gabriel und noch mehr bei Herrn Schäuble: Es gibt einen Elefanten im Raum und dieser Elefant, das sind Steuerhinterziehung und Steuerflucht und Steuerwettbewerb. Da hat Europa bisher kaum etwas Wirksames auf die Reihe bekommen und wir könnten uns die Staatsdefizite alle sparen, wenn wir endlich europaweit gegen den Steuerwettbewerb vorgehen würden!
Kapern: Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide.
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