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Debatte um Suizid-Assistenz
Bald Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen?

In den Kirchen scheinen manche vom bisherigen "Nein" zur Sterbehilfe abzurücken. Einige Theologen und Kirchenvertreterinnen können sich vorstellen, dass Patienten in kirchlichen Einrichtungen Zugang zu tödlichen Substanzen erhalten, sollte ein solches Gesetz erlassen werden.

Von Michael Hollenbach |
Zwei Hände greifen sich
In kirchlichen Kreisen wird um das Thema Sterbehilfe gerungen (chromorange / dpa)
Ein klares Nein zur Sterbehilfe fordert der Katholik Thomas Schüller. Gerade mit Blick auf die zunehmende Zahl an Fällen von Sterbehilfe in den Benelux-Ländern erklärt der Münsteraner Professor für Kirchenrecht:
"Ich glaube, das ist die einzige mögliche katholische Antwort, dass da die Kirche gefordert ist, die Front zu halten. Das heißt, gar keinen Millimeter abweicht, dass die Lehre der Kirche eindeutig ist, dass unbedingt jedes Leben zu retten und zu schützen ist."
Das Bundesverfassungsgericht hat den selbstbestimmten Willen der Menschen betont, ihrem eigenen Leben ein Ende setzen zu können. Für die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr aus Hannover, Mitglied im Deutschen Ethikrat, bedeutet das Urteil in Sachen Sterbehilfe einen Paradigmenwechsel:
"Was man merkt, ist, dass sich in diesen Diskussionen um die Sterbehilfe und auch den Suizid etwas verschoben hat, weil der Begriff der Selbstbestimmung und der Autonomie sehr zentral geworden ist."
Petra Bahr, evangelische Regionalbischöfin in Hannover
Petra Bahr, evangelische Regionalbischöfin in Hannover (privat)
Freie Entscheidung trotz Altersarmut?
Aber wie selbstbestimmt und autonom ist ein Mensch, wenn er an Suizid denkt? Das fragt sich Franz-Josef Bormann, Professor für katholische Moraltheologie an der Universität Tübingen:
"Wenn ich schlecht gepflegt werde und unter Altersarmut leide, dann sind das so massive Einflüsse auf die Willensbestimmung, dass man kaum von einer frei verantwortlichen Entscheidung sprechen könnte."
Paragraf 217 - "Es gibt auch einen Fetisch der Selbstbestimmung"
Aus den Kirchen kam deutliche Kritik an der Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Sterbehilfe. Ulrich Lilie, evangelischer Theologe und Präsident der Diakonie, will das Urteil nicht in Bausch und Bogen verdammen.
Und auch Martin Dutzmann warnt davor, die Selbstbestimmung absolut zu setzen. Dutzmann ist der Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber Bundesregierung und Bundestag:
"Unser Begriff von Selbstbestimmung und Freiheit, unser evangelischer Begriff, heißt immer, dass Freiheit verantwortete Freiheit ist. Also im Kontext mit anderen Menschen und zu anderen Menschen, in Beziehungen eben wahrzunehmen ist. Während beim Urteil des Bundesverfassungsgerichtes der Eindruck entsteht, als sei hier nur ein einzelner Mensch, der ganz alleine und ohne äußere Einflüsse für sich selber entscheidet. Das ist nicht unser Freiheitsverständnis."
Steigt durch Suizid-Angebote die Nachfrage?
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und einer neuen gesetzlichen Regelung sieht Franz-Josef Bormann zwar nicht die Gefahr eines viel beschworenen Dammbruchs, aber der katholische Theologe warnt vor einer "schiefen Ebene", auf die man geraten könne. Auch er verweist auf die Erfahrungen aus den Niederlanden und Belgien:
"Überall dort, wo man einen strukturierten Pfad zur Suizidassistenz geschaffen hat, steigen die Fallzahlen. Es zeigt, dass das Angebot der Suizidassistenz die Nachfrage generiert."
Sterbehilfe - (Un)Barmherzige Brüder
Dass Mediziner Hilfe zur Selbsttötung als ärztliche Leistung anbieten, ist in Deutschland verboten. Anders in Belgien. Dort erfüllt sogar ein katholischer Orden in Ausnahmefällen psychisch Kranken ihren Todeswunsch.
Zwar steigen die Fallzahlen in Belgien und den Niederlanden kontinuierlich. Aber der Belgier Axel Liegeois weist auf einen besonderen Aspekt hin. Liegeois ist Professor für Ethik und praktische Theologie an der Universität Löwen und Mitarbeiter des Ordens der Brüder der Nächstenliebe. In den belgischen Kliniken dieses katholischen Ordens wird ein assistierter Suizid für sterbewillige Patienten angeboten.
Liegeois: "Wir sehen, wenn wir ihren Wunsch ernst nehmen, dann hat das einen sehr positiven Effekt auf die Menschen. Sie fühlen sich wertgeschätzt in ihrer Person und ihrem Leiden. Und wir sehen, dass viele Patienten sagen: Jetzt brauche ich die Sterbehilfe nicht mehr. Das ist eine paradoxe Situation. In dem Moment, in dem sie hören, dass ihr Leiden wahrgenommen wird, können sie ihr Leiden offenbar besser ertragen. Sie sagen: Ich weiß nun, es gibt einen Ausweg, aber ich brauche ihn jetzt nicht."
"Situationen, aus denen man nicht unschuldig herauskommt"
In Deutschland betonen auch die Protestanten die Bedeutung der Suizidprävention. So wie Martin Dutzmann, der Berliner Repräsentant der EKD:

"Worauf es uns ankommt, ist das Wort 'multiprofessionell'. Also uns kommt es darauf an, dass, wenn Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, begleitet werden, dass sie eben aus verschiedenen Perspektiven begleitet werden. Also nicht nur ärztlich, nicht nur psychiatrisch, sondern zum Beispiel auch seelsorgerlich, und dass alle diese Perspektiven letztendlich zusammenkommen. Darum geht es uns."
Das Foto zeigt den Prälat und Bundestags-Seelsorger Martin Dutzmann.
Martin Dutzmann hält die Sterbehilfe in evangelischen Einrichtungen für nicht mehr ausgeschlossen (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
So würden Seelsorger Menschen nicht allein lassen, auch wenn man aus religiösen Gründen mit deren Entscheidung, ihrem Leben ein Ende bereiten zu wollen, nicht übereinstimme.

"Dieses ist ein Charakteristikum evangelischer Ethik, dass wir immer einmal um die theologischen Grundsätze, die ethischen Grundsätze wissen, aber gleichzeitig auch um das wirkliche Leben, und darum, dass es zwischen beiden immer auch zu Konflikten kommen kann. Und dass es eben im Leben Situationen gibt, aus denen man nicht unschuldig herauskommt oder nicht mit ethisch weißer Weste herauskommt."
"Auch in evangelischen Einrichtungen vorstellbar"
Für die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr heißt das auch:
"Dass es Grenzsituationen geben kann in seelsorgerlicher und medizinischer Begleitung, wo der Sterbeprozess so verkürzt werden kann, dass Menschen nicht mehr leiden als sie glauben, subjektiv ertragen zu wollen."

Für Martin Dutzmann bedeutet das in der Konsequenz, dass sich die evangelische Kirche der Sterbehilfe nicht grundsätzlich verweigern würde.
"Je nachdem, welches Verfahren der Gesetzgeber beschreibt, können wir uns selbstverständlich vorstellen, dass das auch in evangelischen Einrichtungen, Kliniken, Altenheimen geschieht. Es ist dann die Frage, wie."
"Das wird es bei uns nicht geben"
Heißt das, Mediziner in evangelischen Einrichtungen würden Menschen beim Suizidwunsch unterstützen?
Dutzmann: "Das halte ich nicht für ausgeschlossen."
Urteil zur Sterbehilfe - "Entscheidung ist Ausdruck einer grundsätzlichen Liberalität"
Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Paragrafen 217. Einen Dammbruch befürchte sie nicht, sagte sie im Dlf.
Eine Position, die in der evangelischen Kirche durchaus umstritten ist. Petra Bahr spricht sich dagegen aus, in evangelischen Häuser Sterbehilfe zu leisten:
"Ich würde eher sagen: Es bräuchte in einer Gesellschaft wie unserer, die so plural ist, und auch weltanschaulich so plural ist, Orte, in denen das ausgeschlossen werden darf. Man könnte auch sagen: safe places. Also Orte, die aufgrund ihrer weltanschaulichen Rahmenbedingungen, ihres Menschenbildes sagen: Das wird es bei uns nicht geben."
"Zugang zu tödlichen Substanzen"
In katholischen Häusern sei ein assistierter Suizid nicht denkbar, betont der Moraltheologe Franz-Josef Bormann. Wie Petra Bahr ist auch Bormann Mitglied im Deutschen Ethikrat. Zugleich räumt der Katholik aber ein:
"Wenn ein Patient tatsächlich an das Ende des Ertragens einer Krankheitssymptomatik kommt und wenn er die Mittel der Palliativmedizin nicht wählen will, dann kann man sich immer noch vorstellen, dass er dann Zugang zu tödlichen Substanzen bekommt."
In beiden Kirchen wird also noch gerungen um eine klare Position zur Sterbehilfe.