Ja, auch ich habe gelitten, als ich die jüngsten Pressekonferenzen von Donald Trump bei der NATO und in Helsinki verfolgt habe. Mir ist bekannt, wie oft der Mann öffentlich lügt. Dennoch ist selbst Trump es nicht wert, die Trennung von Nachricht und Kommentar aufzugeben. Genauso wenig wie wir in Bedrohungslagen die Nerven verlieren und den Rechtsstaat aufgeben dürfen, selbst wenn manche das dann jedes Mal wieder fordern.
Nachrichten sollten nicht auf die emotionale Ebene gehen
Meinung hat ihren wichtigen Platz in den Medien. In den Nachrichten wäre sie aber nutzlos und gefährlich. Denn wenn die Nachrichten von der sachlichen auf die emotionale Ebene gehen, dann werden sie ein Akteur, zu einem unter vielen im Getümmel. Warum sollte man ihnen noch vertrauen, wenn sie Partei sind? Es hat keinen Sinn, um der Auseinandersetzung mit Trump willen selbst zu "Fox News" zu werden.
Als Erwiderung höre ich oft, es gehe doch gar nicht um die Vermischung von Nachricht und Meinung. Man wolle eben nur Haltung. Wenn ich dann darum bitte, mir das Modewort zu erklären, höre ich dann zum Beispiel "Arbeit auf Grundlage demokratischer Werte", "eine Grundeinstellung im Sinne von Liberalität und Menschenwürde".
Da bin ich selbstverständlich mit dabei, aber es lässt die Forderung ins Leere laufen. Denn natürlich gilt für Nachrichtenjournalisten das Grundgesetz und natürlich sind öffentlich-rechtliche Redaktionen wie wir zusätzlich dem staatsvertraglichen Auftrag verpflichtet. Diese Art der Haltung ist längst grundlegende Einstellungsvoraussetzung.
Sicher, Trump bringt die Informationsmedien an ihre Grenzen
Und doch ist es wahr: Donald Trump bringt die Informationsmedien an ihre Grenzen, als egomanischer Präsident, als notorischer Lügner und als erratischer Akteur. Was also tun? Die Frage wird in ähnlicher Weise gestellt für die Berichterstattung über die AfD oder die Regierung in Italien, sie wird diskutiert für Themen wie Flüchtlinge und Erderwärmung. Auch da erhoffen sich viele den Journalisten als Aktivisten.
Zunächst ein wenig Abstand, bitte. Donald Trump ist kein Einzelfall. Demokratie und Medien haben schon anderes überstanden. Madonna mia, der US-Präsident ist zwar viel mächtiger als ein italienischer Regierungschef. Aber Silvio Berlusconi war auf dem Höhepunkt seiner Erfolge schon einen Schritt weiter: Er spielte nicht nur mit den Medien, sie gehörten ihm.
Nicht unwichtig: Trump strahlt das, was er ist, aus allen Poren aus. Er ist ein Wolf im Wolfspelz. Er macht überdeutlich, wer er ist, und warnt so vor sich selbst. Aber wissen wir eigentlich, wie es sich bei anderen verhält? Bei Putin sind sich die westlichen Medien noch recht einig. Aber lügt Emmanuel Macron nie? Warum genießt Justin Trudeau Kultstatus und bekommt immer wieder Fanjournalismus?
"Nachrichten werden gehackt"
Sascha Lobo hat natürlich Recht, wenn er in seiner Spiegel-Online-Kolumne schreibt: "Trump hackt die Nachrichten, und die Nachrichten lassen sich hacken." Allein, gehackt werden die Nachrichten nicht nur von Trump.
Allenthalben trifft man sie an, die Halbwahrheit, die zugespitzte Aussage, die bewusste Auswahl bestimmter Tatsachen – und das Weglassen anderer. Das kommt - bleiben wir in Deutschland - bei der Bundesregierung vor wie bei der Opposition, bei DGB und Kirchen. Es gilt für Wirtschaft, Kultur und Sport, ebenso wie für Stellungnahmen von Greenpeace oder Amnesty. Oft ist eine kleine subtile Halbwahrheit, die in das allgemeine Bewusstsein einsickert, gefährlicher als eine offensichtliche Lüge Trumpscher Dimension.
Überall werden PR und ergebnisorientierte Kommunikation geschult, gerne mit einem Schwerpunkt auf die Sozialen Medien. Jede Partei und jeder Verband, jede Nichtregierungsorganisation und jede Hochschule – sie alle verfügen mehr oder weniger über das Wissen von oder über die Unterstützung durch PR-Agenturen.
Jede Lüge muss kenntlich gemacht werden
Es gibt keine spezielle Nachrichtenfibel für den Umgang mit Trump, der AfD oder wem auch immer. Alle Akteure müssen kritisch begleitet werden. Jede Lüge muss kenntlich gemacht werden, wenn wir es können. Niemandem darf das Verdrehen von Fakten erlaubt werden. Alle Nachrichtenmedien sollten ablassen von der überzogenen Personalisierung und Skandalisierung. Sie müssen die gesellschaftlich wichtigen Themen anpacken und dürfen sich keine Scheinthemen aufdrängen lassen.
Wir sollten das allgegenwärtige Pingpong der Statements herunterfahren. Und wenn der eine sagt, die Erde sei eine Scheibe, und der zweite behauptet, sie wäre rund, dann darf man nie von einer "umstrittenen Frage" sprechen. Das gilt vor, während und nach Donald Trump.
Nachrichtenregeln konsequent anwenden und modernisieren
Die Regeln des Nachrichtenhandwerks sind nicht wertlos geworden, sie müssen wieder konsequenter angewendet werden. Das ist allerdings auch eine Ressourcenfrage. Hier liegt eine Wurzel der Misere. Eine andere hat mit dem aufmerksamkeitsheischenden Wettbewerb auf dem Medienmarkt zu tun.
Und wir müssen unser Handwerk immer wieder verfeinern und anpassen. In unserer Redaktion versuchen wir, den Faktencheck in die Meldungen einzubauen. Falsche Tatsachenbehauptungen werden direkt kenntlich gemacht und nicht erst, wenn es eine Reaktion gibt.
Gerade diskutieren wir darüber, ob wir dem Beispiel amerikanischer Medien folgen sollen und den Faktencheck wenn nötig schon in die Überschrift und in den ersten Satz der Meldung, den heiligen Leadsatz, integrieren. "US-Präsident Trump hat wahrheitswidrig behauptet, dass…" Das wäre ungewohnt für uns, aber es wäre kein Kommentar, sondern eine Änderung im Handwerk, die möglicherweise gut zu den Bedingungen in den Sozialen Medien passt.
Alles steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit
Neutralität und Objektivität sind immer schon Schimären gewesen. Doch das redliche Streben danach gehört nicht nur zur Würde des Nachrichtenberufs, es begründet auch die Glaubwürdigkeit. Und die ist wiederum Voraussetzung dafür, dass der Informationsjournalismus seine gesellschaftliche Rolle erfüllen kann.
Das ist für mich die politische Haltung des freien Journalismus, der die liberale Demokratie stärken und ihrer heute teils verzagten Politikerkaste Beine machen kann. Diese Haltung gilt aber völlig unabhängig von dem Schicksal, dass uns mit der Präsidentschaft von Donald Trump auferlegt wurde.
Darüber würden wir natürlich gerne mit Sascha Lobo diskutieren. Als wir heute seine Kolumne in der Redaktion besprachen, gab es Zustimmung und Kritik. Und es gab die Frage eines Kollegen, ob sich der Kolumnist wohl vorstellen könne, wie es ist, jede halbe Stunde auf Sendung zu sein und dazwischen Ordnung in widersprüchliche Eilmeldungen bringen zu müssen. Sascha Lobo ist also herzlich nach Köln in die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion eingeladen.