Martin Zagatta: Wenn jetzt über die Einführung eines neuen Pflichtdienstes für Schulabgänger debattiert wird, dann stellt sich schon die Frage, ob die Aussetzung des Wehrdienstes vor sieben Jahren ein Fehler war. Vor allem der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg tritt vehement für die Rückkehr zum Dienst an der Waffe ein. Deshalb an ihn die Frage: Warum meinen Sie, dass der Wehrdienst wieder so dringend gebraucht wird?
Patrick Sensburg: Ich glaube, die sicherheits- und verteidigungspolitische Lage hat sich in den letzten Jahren geändert. Nachdem wir die Wehrpflicht ausgesetzt haben 2011, hat sich viel in der Welt getan. Wir haben die Aggression in der Ukraine erlebt, auf der Krim, auch in der Ost-Ukraine. Wir sehen, dass die USA nicht mehr der verlässliche Partner innerhalb der NATO ist und erleben beispielsweise, dass wir in den baltischen Staaten für mehr Sicherheit uns einsetzen müssen und da fällt mir die Landesverteidigung etwas unter den Tisch. Ich glaube, dass wir die Wehrpflicht im Kern für die Landesverteidigung brauchen.
Zagatta: Aber ist das so, eine moderne Armee setzt doch eigentlich auf gut ausgebildete Spezialisten. Ist da die Wehrpflicht nicht gerade der falsche Weg – also auf Leute zu setzen, die einmal nur dann ganz kurz bei der Bundeswehr sind?
Sensburg: Ich glaube, wir brauchen sowohl als auch. Die Kernaufgabe jeder Armee, eines jeden Landes sollte Landesverteidigung sein, dass wir unsere Grenzen sichern können. Das wird sich nur sich eine Wehrpflicht-Armee auf Dauer ermöglich lassen. Für die vielen Auslandseinsätze, da wird es sicherlich Berufs- und Zeitsoldaten geben oder auch Wehrdienstleistende, die freiwillig in die Einsätze gehen. Für Wehrdienstleistende kommt das nicht in Betracht.
"Die Welt hat sich verändert"
Zagatta: War das ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen?
Sensburg: Ich glaube, zur damaligen Zeit, war es kein Fehler. Man hat gedacht, man ist nur noch von Freunden umgeben, die NATO sichert den Frieden, Russland ist Partner - da hat sich die Welt verändert. Wir erleben, dass wir heute mit der Bundeswehr weder ausreichende Landesverteidigung leisten können noch, dass die Welt so friedlich geblieben ist wie im Sommer 2011.
Zagatta: Wenn Sie die Wehrpflicht jetzt wieder neu einführen wollen, das gilt dann auch für Frauen?
Sensburg: Ich glaube, erste Voraussetzung ist, dass wir sie aus sicherheits- und verteidigungspolitische Gründen brauchen. Und dann plädiere ich für ein allgemeines, gesellschaftliches Jahr, dass man sich aussuchen kann, gehe ich zur Bundeswehr oder mache ich andere Aufgaben und das auch für Männer und Frauen gleich.
Zagatta: Das würde dann für jeden Schulabgänger gelten. Der müsste sich im Prinzip entscheiden, gehe ich zur Bundeswehr oder mache ich was anderes, also ein soziales Jahr oder was Ähnliches.
Sensburg: Genau. Vielleicht Entwicklungshilfe, soziales Jahr - all das was möglich ist, einmal ein Jahr für die Gesellschaft. Ich glaube, viele würden sich auch dann für die Bundeswehr entscheiden.
Zagatta: Die Forderung nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht, die ist ja nicht ganz neu. Da war ihre Parteiführung an der CDU Spitze immer sehr zurückhaltend in der vergangenen Zeit. Was hat sich da jetzt geändert?
Sensburg: Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir in vielen Veranstaltungen wahrgenommen haben, dass die Menschen für die Wehrpflicht sind. Dass sie auch für ein gesellschaftliches Jahr sind, einmal etwas für die Gesellschaft getan zu haben und das hat unsere Generalsekretärin in sehr vielen Veranstaltung mitbekommen. Und ich erlebe das auch bei vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, da ist man sehr positiv gegenüber der Wehrpflicht, anders als das vielleicht das eine oder andere Mal in der Berichterstattung erscheint.
Zagatta: Und vielleicht auch in der Politik. Da gibt es auch Widerstand. Sind Sie sicher, dass Sie dafür eine Mehrheit finden?
Sensburg: Ich glaube, es bedarf erst einmal einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. So etwas sollte man nicht vom einen auf den anderen Tag machen und ich glaube, es ist ganz wichtig dass wir hier mal eine Debatte von unten nach oben führen. Was erwartet die Gesellschaft, wie soll sich unsere Gesellschaft entwickeln und was brauchen wir verteidigungs- und sicherheitspolitisch. Ich glaube, erst mal eine Diskussion, dann eine Entscheidung.
Zagatta: So ein allgemeiner Dienst wie er Ihnen vorschwebt, das wäre ja eine Art Zwangsarbeit und die ist nach dem Grundgesetz verboten, sagt zum Beispiel der Wehrbeauftragte. Müsste dafür das Grundgesetz tatsächlich geändert werden?
Sensburg: Also der Ausgangspunkt, habe ich auch gesagt, ist die sicherheits- und verteidigungspolitische Situation. Wir brauchen die Wehrpflicht, um die Landesverteidigung vornehmen zu können. So sieht es auch das Grundgesetz bisher vor. Deswegen haben wir die Wehrpflicht auch nicht abgeschafft, sondern sie ausgesetzt.
"Ersatzdienst ist auch vor dem Grundgesetz kein Problem"
Zagatta: Wehrpflicht ist nicht das Problem, Herr Sensburg. Sondern so ein allgemeiner Dienst, da ist der Wehrbeauftragte skeptisch, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, weil das wäre ja eine Art Zwangsarbeit.
Sensburg: Die Wehrpflicht ist nicht das Problem, das ist richtig. Und der Ersatzdienst für diejenigen, die keine Wehrpflicht leisten wollen, aus unterschiedlichen Gründen, ist auch vor dem Grundgesetz kein Problem. Ein allgemeiner Zwangsdienst ist das Problem – den fordert aber auch keiner.
Zagatta: Dann noch mal zu unserem Ausgangspunkt: Um mehr jüngere Leute zur Bundeswehr zu bringen, da steht ja auch der Vorschlag im Raum, die deutsche Armee für EU-Ausländer zu öffnen. Kommt das für Sie infrage?
Sensburg: Also ich halte das nur in minimalen Grenze für möglich und würde auch keine signifikante Veränderung an den Zahlen bringen. Wir müssen uns ja mal vorstellen, wen meinen wird denn damit: den Franzosen, der ohnehin schon in seiner Armee auch international dient. Vielleicht auch in Mali, mit deutschen Kameraden Hand in Hand. Den Briten, der vielleicht aus der EU raus geht durch den Brexit. Den Spanier, den Portugiesen – also wen meinen wir da überhaupt. Ich glaube, dass sich da keine signifikante Zahl gewinnen lassen würde. Und wir kriegen natürlich im Rahmen der Landesverteidigung auch Loyalitätsprobleme. Ich halte das also für keinen guten Schritt.
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