Uli Blumenthal: Laut IQWIG versprechen die Biomarker-Tests mehr, als sie halten können, doch diese Einschätzung wird nicht von allen Brustkrebsspezialisten geteilt. Mein Kollege Volkart Wildermuth hat sich eingearbeitet, zuerst einmal: Was hat das IQWIG denn gesagt?
Volkart Wildermuth: Das IQWIG hält diese Biomarker für nicht besonders sinnvoll. Es geht ja um Frauen mit einer aggressiven Form der Brustkrebs. Da ist der Tumor besonders schnell gewachsen, war am Ende besonders groß, da sind auch schon die Lymphknoten befallen. Und da gehen die Ärzte von einem hohen Rückfallrisiko aus und empfehlen eine Chemotherapie.
Das betrifft jedes Jahr rund 20.000 Patientinnen in Deutschland. Aber alle wissen, die meisten dieser Frauen werden gar keinen Rückfall bekommen, die halten die Nebenwirkungen sozusagen umsonst aus. Nur weiß man vorher halt nicht, um welche Frauen es sich handelt.
Die neuen Biomarker-Tests sollen jetzt klarer bestimmen, welche Frauen wirklich eine Chemotherapie benötigen und welche nicht. Aber, so sagt das IQWIG, die Vorhersagen sind auf diesem Weg noch nicht verlässlich genug.
Blumenthal: Wie funktionieren die Biomarker-Tests?
Wildermuth: Man nimmt die Krebszellen von der Operation, friert die ganz schnell ein und misst dann später die Aktivität von ganzen Gengruppen, je nach Test sind das zwischen einem Dutzend und 70 Genen. Es gibt eine ganze Reihe solcher Tests, in Deutschland werden vor allem EndoPredict, OncotypeDX oder MammaPrint eingesetzt.
Und sie alle versprechen deutlich besser vorherzusagen, welche Frau tatsächlich einen Rückfall erleiden wird und welche nicht. Allerdings liefern die verschiedenen Tests nicht immer übereinstimmende Ergebnisse.
Blumenthal: Warum?
Wildermuth: Bei der Entwicklung der Test sind zum Teil andere Gruppen von Patientinnen untersucht worden, bei denen offenbar andere Gene wichtig waren. Es ist eben nicht so, dass nur weil man die Aktivität von Genen objektiv messen kann, dass man dann eine genauso objektive Prognose für die Patientin erhält. Auch da bleibt ein gehöriges Maß von Unsicherheit.
In Deutschland bezahlen einige Krankenkassen diese Tests, andere entscheiden im Einzelfall. Hier wollte der Gemeinsame Bundesausschuss, der für solche Finanzierungsfragen zuständig ist, Klarheit schaffen und hat das IQWIG beauftragt, die Studienlage zusammenzufassen.
"Es gibt kaum aussagekräftige Studien"
Blumenthal: Und was ist dabei herausgekommen?
Wildermuth: Erst einmal, dass es kaum aussagekräftige Studien gibt. Am besten untersucht ist der Test MammaPrint.
In der MINDACT-Studie hat man bei 7 000 Brustkrebspatientinnen verglichen, was sagt dieser Test und wie lautete die klassische klinische Einschätzung. Das stimmte häufig nicht überein. In der Hälfte der Fälle, in denen die Ärzte eigentlich zur Chemo geraten hätten, ergab MammaPrint ein geringes Risiko.
Dann wurde in der Studie gelost, die Hälfte der Frauen erhielt eine Chemotherapie, die andere nicht. Nach fünf Jahren hatten 56 von tausend Frauen ohne Chemotherapie einen Rückfall erlitten, in der Gruppe mit Chemotherapie waren es 41, also ein Unterschied von 15 Rückfällen bei tausend Patientinnen.
Die Autoren schließen daraus: Der zusätzliche Nutzen der Chemotherapie ist bei diesen Patientinnen gering im Vergleich zu den Nebenwirkungen. Deshalb wäre es sinnvoll, sich auf das Ergebnis von MammaPrint zu verlassen.
Blumenthal: Das IQWIG sieht das aber offenbar anders. Warum?
Wildermuth: Das IQWIG sieht vor allem zwei Probleme. Das erste ist die Studienlaufzeit. Beim Brustkrebs ist es leider so, dass auch nach vielen Jahren gefährliche Rückfälle auftreten können. Deshalb wird meist zehn Jahre gewartet, bevor man eine belastbare Aussage trifft.
Die Ergebnisse von MINDACT sind deshalb vorläufig, die Studie wird noch weiter laufen und es kann gut sein, dass der Nutzen der Chemotherapie mit den Jahren eher zunimmt. Hier kann man nur Abwarten.
Der andre Kritikpunkt betrifft aber die Einschätzung der Ergebnisse. Und das ist letztlich keine wissenschaftliche Frage, sondern eine Frage nach dem persönlichen Sicherheitsbedürfnis der Frauen. Wenn man sich die Ergebnisse ansieht, dann ist es so, dass die Chemotherapie ja durchaus einen kleinen Vorteil gebracht hat, statistisch eben bei 15 von tausend Frauen. Das IQWIG verweist darauf, dass viele Frauen schon ein kleines Rückfallrisiko als sehr bedrohlich erleben und deshalb bereit sind, die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu akzeptieren.
Von daher, sagt das IQWIG, ist der MammaPrint-Test eben noch nicht verlässlich genug. Unter deutschen Brustkrebsspezialisten ist die Meinung geteilt. Die einen folgen eher dem IQWIG, wollen lieber das Risiko so klein wie möglich halten. Die anderen sehen die große Zahl der umsonst behandelten Patientinnen und setzten weiter auf die Biomarker um die Chemotherapie gezielte einzusetzen.
"Bei großer Angst vor einem Rückfall macht die Chemotherapie Sinn, Gentest hin oder her."
Blumenthal: Wie geht es jetzt weiter?
Wildermuth: Langsam. Und das auf mehreren Ebenen. Es wird noch Jahre dauern, bis wirklich verlässliche Studien vorliegen werden. In der Zeit werden diese Biomarker Tests natürlich weiterhin eingesetzt.
Als nächstes wird sich der gemeinsame Bundesausschuss die IQWIG-Einschätzung ansehen und beraten, ob diese Tests in Zukunft Kassenleistung werden sollen. Das dauert auch mindestens ein Jahr, wenn nicht noch länger. Da war man in den USA und in England schneller, wohl auch weil die Kosten für die Tests mit zwischen 1.700 und 3.000 Euro zwar hoch sind, die Kosten für eine Chemotherapie aber noch viel höher. So dass die Tests unterm Strich wohl Geld sparen helfen, aber eben vielleicht mit dem Risiko einer leichten Erhöhung der Rückfallraten.
Derzeit können die Ärzte und Patientinnen Einzelanträge an die Kassen stellen. Das macht aber nur Sinn, wenn vorher genau darüber gesprochen wird, dass auch ein Gentest keine Sicherheit bringt und dass es im Grunde vor allem darauf ankommt, welches Risiko eine Brustkrebs-Patientin bereit ist einzugehen. Wenn sie große Angst vor einem Rückfall hat, dann macht die Chemotherapie Sinn, Gentest hin oder her.