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Debattencamp der SPD
Selfies, Bierchen und Chillout-Area

Auf ihrem sogenannten Debattencamp hat die angeschlagene SPD über ihre Neuausrichtung debattiert. Hipp und modern präsentierte sich die Partei - und sprach besonders ihren jungen Mitgliedern Mut zu. Die Themen reichten von Umweltschutz über Hartz IV bis hin zu sozialer Gerechtigkeit.

Von Frank Capellan |
    11.11.2018, Berlin: Teilnehmer des SPD-Debattencamp laufen vor einem SPD-Logo (Aufnahme mit Langzeitbelichtung).
    Beim SPD-Debattencamp sprach sich die Partei selbst Mut zu (picture-alliance / dpa / Christoph Soeder)
    Die SPD erfindet sich neu. Keine Spur mehr von der guten alten Tante. Hipp und modern kommt die Partei daher – tief im Osten Berlins. Der Rundfunk der DDR war hier zu Hause, wo jetzt über die Zukunft diskutiert wird. Alte Hallen, unverputzte Wände, morbider Charme, ausgerechnet an diesem Ort versammeln sich Genossen, die gerade ums Überleben kämpfen:
    "Wir freuen uns auf Euch! Wir freuen uns auf das Morgen!"
    Die SPD freut sich auf das Morgen und spricht damit gerade die Jungen an. Es gibt 60 Sessions, es gibt zehn Stages und die 90 Redner sind natürlich Speaker. Hashtag SPDDC.
    "Wenn man sich hier umguckt, sind zwar sehr viele junge Leute, aber nicht nur, also ja, es ist ein Format, das nicht jede Altersgruppe anspricht, aber eigentlich ist es ein Format, in dem sich jede Altersgruppe angesprochen fühlen könnte."
    Jusos auf Innovationsmesse in der Mehrzahl
    Dietmar Nietan ist der Schatzmeister der klammen SPD. Einige Hundert Tausend Euro lässt sich die Partei diese Innovationsmesse kosten. Jusos dürften in der Mehrzahl sein, aber auch die Spitze ist fast komplett vertreten, und Ehemalige -wie Ex-Finanzminister Hans Eichel. Es ist gut, dass wir was Neues probieren, meint der 76jährige
    "Das ist hohe Zeit, genauso wie die Rede. Soweit ich sie gehört habe, war sie sehr offensiv. Nur müssen wir erst bei 14 Prozent sein, damit die Reden so offensiv werden."
    Ja, Andrea Nahles redet kämpferisch. Wie auf einem normalen Parteitag. Aber sie ist schwer zu verstehen, nicht nur für Hans Eichel. Ausgerechnet die Frau mit dem durchaus kräftigen Stimmorgan hat erst einmal Probleme sich Gehör zu verschaffen.
    "Mikro auf!" ruft einer, doch es hilft nichts, die Beschallung ist von gestern. Die Lautsprecheranlage überfordert, um alle 3.400 Gäste zu erreichen. Zum Glück gilt das nur für die Hauptbühne. In der "Loggia", im "Catwalk", in den "Meetups" – so nennen sich die Nebenpodien - ist alles gut, auch in der Werkstatt, wo sich Europas Linke versammelt hat.
    "Liebe Genossen und Genossinnen, ich freue mich, hier mit Euch zu sein!"
    Antonio Costa rockt den Saal. Nicht nur, weil Portugals Premier immer wieder etwas Deutsch spricht. Als Costa über den gescheiterten Kanzlerkandidaten spricht, kennt der Jubel kaum Grenzen:
    "And allow me to express a heartful 'Thank you' to another great European: Martin Schulz!"
    Sehnsucht nach dem Messias
    Da scheint sie wieder lebendig zu werden, die Sehnsucht nach dem Messias, der die SPD aus dem Dunkeln führt. Jetzt ist zu spüren, wie jung das Publikum im Saal ist, das auch Alexis Tsipras, den griechischen Premier, überaus herzlich empfängt.
    "And I want to thank you for your solidarity all this difficult years for Greece"
    Dann beschwört Antonio Costa die europäische Linke, die allein den Populismus bekämpfen könne.
    "Zusammen schaffen wir es. Links und erfolgreich für ein und solidarisches starkes Europa. Freundschaft! Vielen Dank!"
    Dafür hat auch Klaus Staeck etwas übrig, gerade 80 geworden, Sozialdemokrat mit Leib und Seele, der nicht wahrhaben will, dass seine Partei denselben Weg gehen könnte wie die französischen Sozialisten.
    "Es wird ja uns so ein bisschen schon unterstellt, als würden die Geier schon über der SPD kreisen. Nein, wir müssen daran erinnern, dass die Demokratie ein sehr fragiles Gebäude ist und ohne die Sozialdemokraten wünsche ich aber eine gute Reise."
    "Ja, ich bin von der Naturfreundejugend. Wir versuchen, ein wenig den Naturschutz mehr in die SPD zu treiben."
    Thema Klimaschutz wurde bisher eher verschlafen
    Jana von der Naturfreundejugend spricht an, was einst Klaus Staeck mit seinen Plakaten thematisierte: Wir haben nur einen Planeten. Freundin Elisabeth nickt, und ist sauer über das, was sie gerade auf dem Podium zu hören bekam.
    "Es kann nicht sein, dass wir in diesem Klimaschutz-Panel sitzen und einfach nur diesen ´Elephant in the room´ vermeiden und nicht über den Ausstieg reden, dass wir Subventionen streichen für Kohleabbau zum Beispiel."
    Dass die SPD beim Klimaschutz einiges verschlafen hat und sich gerade von den Grünen verdrängen lässt, das räumt selbst ein Hans Eichel ein.
    "Willy Brandt mit dem bekannten Slogan 'Der blaue Himmel über der Ruhr', der hat das ja schon aufgegriffen, wir sind da zu kleinteilig, also müssen wir im Klimaschutz ganz vorne sein, radikal sein, was den Klimaschutz betrifft."
    Nebenan muss sich gerade Außenminister Heiko Maas für seine Russland-Politik beschimpfen lassen, Andrea Nahles hingegen fliegen in einer anderen Ecke des Camps die Herzen zu, als sie eine Versprechung macht.
    "Die Menschen brauchen einen freundlichen, einen zugewandten, einen echten Sozialstaat. Wir werden Hartz IV hinter uns lassen!"
    Für alle, denen die Köpfe rauchen, gibt es Gott sei Dank eine Chillout-Area. Ein geschlossener Raum mit roten Sitzsäcken. Es ist dunkel und neblig, aber warm, und die meditative Musik soll die Sozis auf neue Gedanken bringen. Ein junger Mann lümmelt sich aufs Kissen, checkt seine Mails. Vor der Tür wird weiter diskutiert.
    "Weißt Du, es geht um eine moderne Gesellschaft, um das soziale in der SPD" – "Ja, ein vereintes Europa, was sozial gerecht ist und die Themen der Zukunft angeht!" - "Weißt Du, ich meine, wir sehen das ja, wir haben an einigen Stellen eine Gefahr für die Demokratie, und wir sind aber doch die Partei, die immer dafür gestanden hat, die Demokratie auch zu verteidigen!" – "Schauen wir, dass wir vorankommen, und dann wenden wir das Blatt!" – "Ja mit Zuversicht und nicht unterkriegen lassen, na denn, mach´s gut. Hat mich gefreut."
    Selfies mit Franziska Giffey
    Dann schnell ein Selfie mit Franziska Giffey, der Familienministerin, Politiker zum Anfassen, der 16jährige Florian Isowitsch aus Bad Tölz ist begeistert
    "Ja ist super, macht super viel Spaß. Man merkt die Erneuerung, dass sich etwas bewegt!"
    Franziska Giffey steht am Stand neben "Meetup 4" ,schaut auf eine Fotowand, das Projekt "SPD am Küchentisch":
    "Dieser Tisch tourt durchs ganze Land und trifft Menschen, die unterschiedlichster Auffassung sind, bringt die an einen Tisch, drumrum sitzen ganz viele Gäste wie zu Hause, lass uns mal drüber reden, was ansteht, das ist genial, das ist konkrete anfassbare Politik!"
    SPD erneuern, verspricht Lars Klingbeil, das machen wir und wir werden dabei so fröhlich wie die Grünen sein.
    "Ich habe heute Nacht Beschwerden bekommen, drei Stück, weil mir irgendwann um 23:30 Uhr gesagt wurde, was ist das für eine Party? Das Bier ist alle! Trotzdem waren es 3.324 Biere, die getrunken wurden."
    Nächstes Mal, sichert der Generalsekretär zu, dürfen es noch ein paar mehr sein.