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Debattenkultur
"Meinungsfreiheit immer stärker unter Druck"

Findet in der Gesellschaft zu wenig harte Auseinandersetzung über Sachthemen statt, weil zu schnell moralisiert wird? Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Ackermann fordert eine offenere öffentliche Diskussionskultur. Es sei zu einer "Verengung des Mainstreams" gekommen, sagte sie im Dlf.

Ulrike Ackermann im Gespräch mit Jörg Biesler |
Zeitungstitel zum Thema "Meinungsfreiheit": Die "Süddeutsche Zeitung" vom 25.10.2019, "Die Zeit" vom 30.10.2019, "Der Spiegel" vom 02.11.2019 und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 03.11.2019
Viele große deutsche Zeitungen haben in den vergangenen Wochen das Thema "Meinungsfreiheit" auf ihre Titel gehoben. (Deutschlandradio / Isabelle Klein)
"Das wird man wird ja wohl noch sagen dürfen!" Oder eben gerade nicht? Ist die Meinungsfreiheit tatsächlich durch selbsternannte Moralwächter eingeschränkt, wie viele zur Zeit behaupten? Oder ist es gut, dass manche Dinge "unsagbar" sind und bleiben?
"Die Meinungsfreiheit ist seit einigen Jahren unter immer stärkeren Druck geraten", fasst Ulrike Ackermann, Gründerin des "John Stuart Mill Instituts", die Situation aus ihrer Sicht im Deutschlandfunk zusammen:
"Wir haben einige Jahre den 'Freiheitsindex' erhoben. Daraus ist ganz deutlich hervorgegangen, dass eine immer größere Kluft entstanden ist zwischen veröffentlichter Meinung und der Meinung der Bevölkerung. Und das ist natürlich ein Riesenproblem."
Viel Meinung, wenig direkter Dialog
Im Internet könne jeder "losbrüllen" oder auch "kluge Sagen sagen"; allerdings entstünden dort "Blasen und Echoräume", so Ackermann. Ein breiter Diskurs sei im klassischen öffentlichen Raum, in der Debatte von Angesicht zu Angesicht, aber immer schmaler geworden. So sei es zu einer "Verengung des Mainstreams" gekommen, wie es Bernhard Schlink in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgedrückt habe.
Wenn die Bevölkerung den Eindruck habe, sie "könne öffentlich bestimmte Dinge nicht mehr sagen, [...] dann werden die Ränder rechts und links immer stärker, und in der Mitte findet kein offener, kontroverser, kluger Diskurs statt", sagte Ackermann in "Kultur heute".
Zu schnell mit dem moralischen Urteil
Eines der Hauptprobleme seit einigen Jahren sei, dass an Stelle einer harten Auseinandersetzung in der Sache zu schnell moralisiert und politisch verordnet werde. Wenn Äußerungen über das erlaubt Sagbare hinausgingen - wie zum Beispiel bei einer Leugnung des Holocausts - müsse aber natürlich der Rechtsstaat einschreiten.
Besonders kompliziert sei das Thema mit Blick auf den Osten Deutschlands, so Ulrike Ackermann: Die Bundesländer dort hätten zwei Diktaturen hinter sich - erst die der Nationalsozialisten, dann die der SED. Neue Formen der lebendigen Auseinandersetzung müsse man dort deshalb erst lernen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.