Ich habe irgendwann angefangen, fremden Leuten ungefragt Mails zu schreiben. Meistens sind das Menschen, die auch journalistisch arbeiten, es waren aber auch schon Pfarrer oder Buchverlage dabei. Wann das angefangen hat, weiß ich nicht mehr so genau. Ich weiß aber, dass mich das Beispiel Heide Sommers beeindruckt hat. Heide Sommer ist Übersetzerin und Autorin, berühmter aber fast noch als Sekretärin bei "Zeit", "Spiegel" und bekannten Männern wie Fritz J. Raddatz und Helmut Schmidt.
Denn Frau Sommer hat die schöne Angewohnheit, anderen Leuten eine Nachricht zu schicken, wenn ihr gefallen hat, was diese Leute geschrieben oder veröffentlicht haben. Das ist ein gutes Gefühl. Und das hat mich dann bestärkt, selbst solche Rückmeldungen an andere zu senden, wenn mir etwas aufgefallen ist – weil ich ja wusste, wie aufmunternd das ist, Resonanz zu kriegen, während man einsam vor dem Rechner sitzt und in Texten rumsteht, die nicht fertig werden wollen.
Nennen Sie es Redigiersucht
Ehrlicherweise muss ich allerdings gestehen, dass ich anderen Leuten nicht nur schreibe, wenn mir etwas gefällt. Bevor Sie mich für einen Voll-Troll halten: Ich verbringe nicht den ganzen Tag damit, die Welt mit Mails zu bombardieren. Ich mache das unregelmäßig, nach Lust und Laune, und manchmal auch monatelang nicht. Und wenn ich auf etwas hinweise, das ich eher kritisch sehe, dann bemühe ich mich um Höflichkeit und Freundlichkeit, um höchste Sensibilität.
Die Erfahrungen, die ich dabei gesammelt habe, taugen nicht zu wissenschaftlicher Empirie, sind aber doch interessant. Etwa, aber das ist wenig überraschend: Lob bewirkt freudigere Reaktionen als Kritik. Oder: Kritik wird in der Regel dankbar aufgenommen, wenn sie sich auf Rechtschreibfehler oder falsche Namen bezieht. Ja, auch wegen solcher Dinge schreibe ich manchmal Mails, nennen Sie es Redigiersucht oder déformation professionelle, aber eine Zahnärztin erkennt das Diastema doch auch dann noch, wenn die Sprechstunde vorüber ist und sie sich durch Madonnas Instagram-Account scrollt.
Etwas weniger freudig kann es werden, wenn man sich an Kollegen wendet, um etwa auf rassistischen Sprachgebrauch hinzuweisen. Muss es aber nicht, auch hier habe ich schon andere, gute, respektvolle Reaktionen erhalten.
Sprechverbote: Wer erklärt mir das, wenn mir keiner antwortet?
Rätselhaft bleibt mir daher eigentlich nur ein Bereich meiner ungefragten Kommunkationsversuche. Manchmal schreibe ich Leuten, die darüber klagen, dass man nichts mehr sagen dürfe, oder in deren Beiträgen Leute vorkamen, die das beklagten, dass nicht mehr gestritten werde und so weiter. Aber dann kommt merkwürdigerweise entweder gar keine Antwort oder eine aufschiebende; von wegen jetzt sei keine Zeit, man melde sich später, ohne das dann je zu tun.
Nun besteht natürlich keine Verpflichtung, einem Kollegen wie mir auf ungefragt eingesandte Wortmeldungen zu antworten. Aber auffällig ist es schon, dass meine Mails am konsequentesten da keine Antwort auslösen, wo zuvor Sprechverbote beklagt wurden. Weil sich doch annehmen ließe, dass Menschen, die die Sorge vor so was wie Sprechverboten umtreibt, Interesse an einem Austausch hätten, an Auseinandersetzung, an Reibung, an dem Streit in der Sache, den sie gefährdet sehen.
Man könnte das einen Widerspruch nennen. Und die eigentlich interessante Frage wäre dann: Sehen diese Kollegen den nicht oder geht es Ihnen in Wirklichkeit gar nicht darum sich auseinanderzusetzen, sondern einfach nur zu klagen? Das Problem ist nur: Wer erklärt mir das, wenn mir keiner antwortet?