New York, Brooklyn, Anfang des 21. Jahrhunderts. In einer Familie leiden sieben von neun Kindern an Mukoviszidose. Das ist auffällig und fordert medizinisches Eingreifen. Nicht, um die unheilbare Erkrankung der Kinder zu lindern, sondern um weitere Fälle in anderen Familien des Stadtteils Williamsburg zu vermeiden. Seltsam! Ist Mukoviszidose nicht eine Erbkrankheit?
"Als ich 15 war, kamen Ärzte in weißen Laborkitteln in unser Klassenzimmer und packten ihre Ausrüstung auf den schäbigen Tischen aus, während wir Schlange standen, um ihre Röhrchen mit unserem Blut zu füllen. Eine nach der anderen rollten wir unsere Ärmel hoch, bissen die Zähne zusammen, wenn die Nadel die Haut durchstach, und versuchten, einander keine Schwäche zu zeigen. (...) Uns allen war klar, dass wir gerade volljährig geworden waren: Im nächsten Jahr würde man beginnen, uns unter die Haube zu bringen, aber bevor das geschehen konnte, mussten sie unser genetisches Profil analysieren. Dor Yeshorim hieß das Programm: die aufrechte Generation."
Dass Deborah Feldman, 1986 in Williamsburg geboren, mal einer aufrechten Generation zugerechnet wurde, wirkt vor dem Hintergrund ihrer späteren Biografie bitter ironisch. Aus Sicht derjenigen, die 15-Jährige als heiratsfähig erachten, ist Feldman ein Musterbeispiel der Verworfenheit. Mit 23 verlässt sie zusammen mit ihrem kleinen Sohn ihre jüdische Herkunftssekte der Satmarer, um den individuell aufrechten Gang zu praktizieren. Eine Häresie! Aufrechte im Sinne der Sekte verhalten sich genau umgekehrt: Sie fügen sich, Jungen wie Mädchen, ins vorbestimmte zwangseheliche Fortpflanzungsprogramm.
Deborah Feldman will ihr Jüdischsein für sich erträglich machen
Bei den Satmarern wird quasi eine Zuchtwahl betrieben, die einerseits den Genpool rein halten, andererseits aber Gendefekte vermeiden soll. Das Bild dahinter – nämlich das eines genuin jüdischen Blutes – ist rassistisch und wurde Juden in genau dieser Form immer wieder zum Verhängnis. Dennoch kann sich auch Deborah Feldman nicht von dieser auf ihr lastenden Zuschreibung befreien:
"Wenn mein Blut jüdisch ist, ist es meine Seele auch. Deshalb will ich Bescheid wissen. Ich will verstehen, wie genau das Jüdischsein mir eingeprägt ist. Was genau ist es, das ich geerbt habe? Wie kann ich die Vorstellung davon in etwas Greifbares zwingen? Die Frage, die allen Fragen vorausgeht, lautet aber: Wie kann ich mein Jüdischsein für mich erträglich machen?"
"Überbitten", die Fortschreibung von "Unorthodox", setzt bei der Ankunft der Autorin im säkularen Manhattan ein und lässt uns an jenem Prozess teilhaben, der unweigerlich folgen muss: der Suche nach einer neuen Identität.
Das ist schnell dahingesprochen: Welcher junge Mensch sucht nicht nach Identität? Doch bei Feldman handelt es sich um einen wahrhaft existenziellen Vorgang. Folgsame Sektenmitglieder sind komplett von rigiden Regeln eingerahmt. Das hält sie, stützt sie, schließt alle Zweifel an einem Ich, das mit dem kollektiven Wir beinahe identisch ist, vollkommen aus. Fallen diese Stützwände weg, ist da zunächst einmal nichts – kein Wir mehr und kein Ich. Erst allmählich begreift die Autorin, wie man in einer freien Gesellschaft sein Leben selbst in die Hand nehmen muss:
"Ich hatte, seit ich fortgegangen war, damit begonnen, das Leben als ein gewaltiges Koordinatennetz zu begreifen, ein Netzwerk aus menschlichen Verbindungen. (...) Wo auch immer ich hinblickte, ich sah die unsichtbaren Fäden, die die Menschen miteinander verbanden; jede einzelne Person schien das ihr zugehörige Koordinatennetz sicher im Griff zu haben. Ich fragte mich, wie lange ich wohl würde überleben können, ohne ein eigenes für mich zu haben, und ob es möglich wäre, sich eines von Null an zu errichten."
Im modernen Amerika ist die junge Frau eine Exotin
Es gilt also, sich selbst mit der Umwelt zu verbinden, doch das ist nicht so einfach, wo auf dem College selbst Vertreter anderer Minderheiten ihr als weißer Jüdin das Recht absprechen, sich unterdrückt zu fühlen. So wie Deborah Feldman das normale amerikanische Leben aus vielerlei Gründen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – wie durch Panzerglas getrennt erlebt, so kommt sie ihren Kommilitonen wiederum wie ein exotisches Tier vor, mit dem diese wenig verbindet.
Bei einem Besuch in tiefster Provinz, wo Feldman eine Mitstudentin in deren evangelikaler Heimatgemeinde besucht, ist man voyeuristisch fasziniert von diesem durch und durch unerfahrenen Wesen. Eine Frau schlägt ein kulinarische Experiment vor: Garnelen – im früheren Leben als unkoscher verboten – soll die Jüdin kosten!
"Ihre Augen waren vor Erwartung weit aufgerissen, und sie neigte sich vor, um einen Blick auf meinen ersten Biss zu erhaschen. Die anderen Damen neigten sich mir ebenfalls leicht zu, und es herrschte eine dramatische Pause in der Konversation, da sie meine Reaktion abwarteten. Ich führte die aufgespießte Garnele langsam in Richtung meines Mundes, fühlte mich unbehaglich, da dieser kalte, feuchte Meereskäfer drohend vor mir sichtbar wurde, und taumelte dann vorwärts für einen raschen Biss. Es folgte spontanes Beifallrufen und Händeklatschen, als ich langsam kaute und versuchte, die gummiartige Konsistenz zugunsten eines möglicherweise verborgenen Genusses zu vergessen. Die Gesichter um mich herum waren so voller Hoffnung, dass ich gar nicht anders konnte, als verlegen zu lächeln und zu nicken. ‚Gut‘, sagte ich, aber es klang mehr nach einer Frage als nach einem Statement. Zufrieden verteilte sich die Menge."
Solche anschaulichen, mit leicht sarkastischem Unterton geschriebene Szenen lockern den Text immer wieder auf. Tatsächlich aber ist "Überbitten", anders als das voran gegangene "Unorthodox", weniger eine Schilderung als eine intellektuell-reflexive Auseinandersetzung mit der individuellen und kollektiven jüdischen Identität in der zweiten Generation nach dem Holocaust.
Der Holocaust ist eine Konstante ihrer ersten 23 Lebensjahre
Doch wie kann das sein, zweite Generation bei einer 1986 geborenen Autorin? Die wichtigste Bezugsperson Deborah Feldmans ist ihre Großmutter väterlicherseits; bei ihr wuchs sie auf. Als junges Mädchen überlebte diese aus Ungarn stammende Jüdin Auschwitz und zog aus ihrer Leidensgeschichte einen rigorosen Schluss, der sie in die postapokalyptische Sekte der Satmarer trieb:
"Entweder man leugnete Gott, da die Shoah selbst seine Nichtexistenz, wenn nicht sogar seine Irrelevanz bewiesen hatte, oder aber man folgte der Vorstellung, Gott sei wutentbrannt, und schickte sich an, ihn durch vollkommene Selbstaufopferung auf dem Altar der rituellen Anbetung zu besänftigen."
Für die junge Autorin ist der Holocaust also nicht bloß Überlieferung, sondern eine wirkungsmächtige Konstante ihrer ersten 23 Lebensjahre, denn auf Deborah Feldman lastet eine aus deutscher Sicht nachgerade obszöne Schuld-Verfluchung. Nach Meinung der Satmarer war die Vernichtungspolitik der Nazis ein göttlicher Racheplan, um assimilierte Juden für die Abkehr vom orthodoxen Weg zu bestrafen. Und wer nach der Shoah kein rigide orthodoxes Leben führt, taumelt womöglich in die nächste gottgewollte Katastrophe hinein.
Eine solche Ideologie lässt sich auch nach der Flucht aus der Sekte nicht einfach abstreifen. Sie bleibt eine Last, die zur Auseinandersetzung mit Gott einerseits und Deutschland andererseits führt. Dass die Autorin nach längerem Aufenthalt in Berlin schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und erhält, ist allerdings eine vorderhand kaum erwartbare Wendung.
Deutsche Formulare kennen keine jüdische Religion
Zuvor durchläuft sie ein Wechselbad der Gefühle, wie viel Nazi-Erbgut wohl noch in gleichaltrigen Deutschen rumore? Dieser Strang des Buches ist aufschlussreich, denn hier trifft die individuelle Herkunfts- und Identitätssuche auf eine kollektive deutsche Unsicherheit. Man hat ja kaum mit Juden zu tun, ja sie sind nicht einmal auf Formblättern vorgesehen. Die Meldeprozedur in einem Berliner Bezirksamt demonstriert die herrschenden Verhältnisse:
"Ihre Religion. Sie müssen diese dem Staat bekannt geben."
"Oh, nun gut. Also, ich bin Jüdin."
Sie schürzte die Lippen. "Hmmhm, es tut mir leid, aber das ist hier keine Option."
"Was?", fragte ich und dachte, es wäre ein Witz.
"Es steht nicht auf der Liste." Sie dreht mir den Bildschirm zu. Da war eine Liste mit unterschiedlichen Religionen, darunter auch diverse Zweige des Christentums, der Islam, Buddhismus und sogar Zoroastrismus und Atheismus. Aber nirgends auf der Liste für Berlin tauchte irgendeine Option für Jüdisch auf. Ich kicherte verlegen. "Hm, ist schon irgendwie ironisch, dass dem so ist, finden Sie nicht? Ich meine, ich werde jetzt nicht irgendeine Religion annehmen, weil das gelogen wäre, und ich weiß auch nicht wirklich, was Sie von mir wollen. Ich bin zu hundert Prozent Jüdin, das ist die einzige Option, die ich anbieten kann, tut mir leid."
"Gut, dann gebe ich Atheist an", sagte die Frau, und ihre Finger liefen schon über die Tastatur.
Das nun könnte den langen Glaubenskonflikt der Autorin auf bizarre Weise beenden, indem Gott einfach mittels Behördenstempel aus dem Leben getilgt wird, doch würde es dem komplizierten religiösen Abnabelungsprozess keinesfalls gerecht. Tatsächlich kann Deborah Feldman den Gott ihrer Kindheit nicht einfach über Bord werfen. In einer Phase tiefster Verzweiflung stellt Glauben eindeutig die bessere Alternative dar – zum Suizid nämlich:
"Ich denke, Suizid zu begehen hat eine dem Beten, wie ich es erfahren habe, gemeinsame Voraussetzung. Im höchst spirituellen Gebet wie auch beim Sprung ins Nichts gibt es für den Menschen das Empfinden, ja die Überzeugung, dass er, indem er die Macht über sein eigenes Wesen völlig dem Gebet oder dem Tod überantwortet, nichts zu verlieren habe. Ich entschied, zu beten."
Was eben keine irreversiblen Folgen zeitigt wie ein Suizid und irgendwann in eine hilfreiche Erkenntnis mündet:
"Gott gleicht einer Krücke, die du liegen lässt, um schließlich herauszufinden, dass deine Beine schon die ganze Zeit über gehen konnten."
"Überbitten" ist auch eine Geschichte der körperlichen Befreiung
Auf einem anderen Feld, dem dritten erkennbaren Strang von "Überbitten", bewegt sich die Autorin schon ziemlich früh ohne Krücken: Das Buch ist auch die Geschichte einer körperlichen Befreiung. Als Deborah Feldman den amerikanischen Maler Richard T. Scott kennenlernt, dient sie ihm nicht nur als normales, sondern als menstruierendes Aktmodell. Eine doppelte Überwindung angesichts des extrem körperfeindlichen Milieus, dem sie entstammt, sollte man meinen:
"Es schien für mich gar keinen Unterschied zu machen, ob ich nun nackt Modell saß oder nackt und menstruierend Modell saß. Ich nehme an, dass Nacktheit in all ihren Formen für mich immer schon anstößig und unanständig war."
Deborah Feldman sucht eine Beziehung zum eigenen Körper, die nicht von Schuld und Scham belastet ist, den Körper aber zugleich auch nicht als Werkzeug missbraucht.
Diese Gefahr besteht allerdings. In einer tragischen und erschütternden Episode greift die junge Frau aus wirtschaftlicher Verzweiflung auf den eigenen Leib wie auf ein Produktionsgerät zurück. Nein, keine Prostitution. Aber was sich hinter dem harmlosen Terminus "Eizellenspende" verbirgt, ist weniger ein gut dotierter Job als eine mit 10.000 Dollar entlohnte Schinderei:
"Am vielleicht vierten Nachmittag begann ich vage eine Anschwellung in meinem Beckenraum zu empfinden. (...) Einige Tage später hatte sich die Empfindung (...) in eine unmissverständliche Dichte verkehrt, als würde ich in meinem Unterleib schwere Steine tragen. Am zehnten Tag waren die Steine groß und hart; ihr Gewicht zog mich nach vorn, sodass es schwierig wurde, aufrecht zu stehen. (...) Mir wurde aber mitgeteilt, dass dies so üblich sei: (...) ‚Üblicherweise überschreiten menschliche Eierstöcke im Leben einer Frau niemals die Größe von Walnüssen. Bei den Ihren dürfen wir nun davon ausgehen, dass sie die Größe von – sagen wir – einer Orange annehmen werden.‘"
Der künstlich angestoßene Prozess gerät außer Kontrolle, und die Autorin schleppt sich in ein Krankenhaus:
"Im Ultraschallraum drückte der medizinische Assistent an meinem Unterleib herum und verhielt sich konfus, bis ihm schließlich klar wurde, dass diese grapefruitgroßen Kugeln meine Eierstöcke waren, und er kundtat, dass er sich nie zuvor in einer ähnlichen Situation befunden habe und also auch nicht wisse, was zu tun sei, dass dies aber möglicherweise für meinen Körper nicht unbedingt förderlich sei. Ich hörte die feine Schicht der Verurteilung aus seiner Stimme heraus, konzentrierte mich aber noch immer auf das Wort ‚Grapefruit‘. War eine Grapefruit nicht größer als eine Orange? Hatte die Frau nicht von Orangen gesprochen?"
Der Erfolg rettet sie wirtschaftlich
Aus Not geriet Deborah Feldman in die zynische Reproduktionsmedizin-Industrie hinein, und man kann sich mit wenig Fantasie einen weiteren Armutsabstieg vorstellen, der den Raubbau an der Ressource Körper vorantreibt. Flucht und Scheidung sind teuer, und sie besitzt nichts außer einem Talent und einer Lebensgeschichte. Beide zusammen führen dann zum amerikanischen Wunder, dass sich aus einem Blog ein Buch, und aus dem Buch ein Bestseller entwickelt. Mit Hilfe des Fernsehens geht das so schnell, dass der Ruhm über Nacht der jungen Autorin den Atem nimmt:
"Keine der Eingrenzungen, die ich zuvor erlebt hatte, nicht eine der Formen, in denen ich mich eingesperrt oder gefangen gefühlt hatte, hätte ich je als dieses allumfassende psychologische Netz denken können, in dem ich mich nun wie ein sich windender Fisch verhedderte und für eine öffentliche Beschauung hochgehalten wurde, um als Mahlzeit zu enden."
Immerhin, die materielle Not ist gebannt, ja die Honorare erlauben ihr nun Reisen im eigenen Land und nach Übersee. In Europa schließt sich der biografische Kreis, denn die Satmarer gingen als religiöse Bewegung erst nach 1945 nach New York, und die Autorin stößt nicht nur auf Spuren der ungarischstämmigen Großmutter väterlicherseits, sondern entdeckt auch, dass es in der mütterlichen Linie deutsche Ahnen gibt. Mit Akribie erforscht sie diese Wurzeln, und ihr Entschluss, in Berlin zu bleiben, wirkt wie eine Mischung aus Heimatfindung und Heimaterfindung. Den Ort ihrer Ankunft beschreibt sie wie eine Liebende:
"Mir wurde klar, dass der beharrliche und hellwache Aktivismus, den ich in Berlin angetroffen hatte, etwas Einzigartiges war, etwas, das ich möglicherweise nirgendwo sonst erfahren würde, und dass Berlin für mich unter den europäischen Städten als etwas weit über seinem eigenen Entwurf Stehendes herausragte, als etwas, das zugleich gar nicht so sehr europäisch war und doch in seiner umfassenden Erscheinung so etwas wie eine paneuropäische Grundidee darstellte."
Für deutsche Leser enthält dieser längste Teil des Buches in seinen Beobachtungen eben soviel Aufschlussreiches wie zugleich auch etliche Banalitäten, doch sind es wieder Szenen der Verstörung, die über den zuweilen trägen Erzählfluss hinweg tragen. Die Affäre mit einem Deutschen namens Markus bezieht ihren Sinn etwa aus dessen Status als Nazi-Enkel. Dass zwischen den Liebenden ein Streit darüber entbrennt, ob man dumme Tauben und pfiffige Spatzen zusammen oder nur letztere alleine füttern darf, was dann wiederum der KZ-Selektion der Nazis gleiche, würde in einem Roman überzogen wirken. Hier, in der autobiografischen Prosa, merkt man dieser Stelle das Wahrnehmungs- und Bewertungskorsett an, von dem sich die Autorin erst langsam zu befreien lernt.
Versöhnung mit der jüdischen Identität
Natürlich, sie muss auf der Hut sein im Land der Täter und Töter, aber diese helfen ihr zugleich dabei, sich selbst zu definieren. Feldmann gibt das unumwunden zu:
"Meine Erinnerungen an all die Beziehungen, die ich während der Jahre des Übergangs eingegangen bin, sind von Schuld eingefärbt, denn ich kann die Zuneigung, die ich für diese Menschen gefühlt habe, nicht von dem primären Interesse trennen, mit dem ich sie benutzt habe, um meine persönliche Entwicklung voranzutreiben, als hätte ich auf beiden Seiten eines Schachbretts zugleich gespielt."
Kann Deborah Feldman denn – um ihre eigene Eingangsfrage wieder aufzunehmen – ihr Jüdischsein ausgerechnet in Deutschland für sich erträglich machen? Darauf gibt es zwei Antworten: In Konfrontation mit einem notorischen Nazi, der stolz ein Auschwitz-Tattoo im Freibad präsentiert, erlebt sie letztlich den Sieg des Rechtsstaats und spürt Erleichterung.
Privat erfährt sie, dass mit dem Urgroßvater mütterlicherseits durch einen Seitensprung ein nichtjüdischer Strang in die Familie gekommen ist – womit das unselige Konzept des "rein jüdischen Blutes" noch einmal ad absurdum geführt wird. Jüdischer Herkunft und aus freier Entscheidung Deutsche zu sein, enthält für Deborah Feldman die Verpflichtung zum Humanismus jenseits von religiösem Fanatismus. Und in einer entspannten Liebesszene mit einem ganz normalen Nicht-oder-vielleicht-doch-Nazi-Nachfahren kommt der Autorin das "Überbitten" des Buchtitels als Versöhnungsritual in den Sinn:
"Ich hatte ihn nicht genötigt, Buße zu tun für die Geschichte seines Landes oder die Entscheidungen und Handlungen seiner Vorfahren. Wir hatten dies alles einfach übersprungen und waren auf eine nachgeordnete Ebene gehechtet, und es war nicht etwa so, als hätte diese Auslassung über unseren Köpfen gehangen, sondern eher so, als wäre dieser Prozess, ganz ähnlich dem Brauch des Iberbetn, durch ein symbolisches Ritual schon vorweggenommen worden."
Naturgemäß verläuft jede Ich-Suche ich-zentriert, doch das bestimmt die Atmosphäre des Buches nicht zu seinem Nachteil. Man folgt Deborah Feldman gerne, weil sie eine kluge, wache und skeptische Autorin ist, und es bleibt nur ein kleiner Zweifel, ob sie im dritten Buch ein neues Zielobjekt finden wird. Dann wäre die Identität als Schriftstellerin endgültig gefestigt.
Deborah Feldman: "Überbitten"
Aus dem Englischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag, 702 Seiten, 28,00 Euro
Aus dem Englischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag, 702 Seiten, 28,00 Euro