7. Februar 1964. Vier englische Pilzköpfe verlassen auf dem New Yorker JFK Flughafen die Maschine, begleitet von einem ungefähr 3.000 Stimmen starken Kreischchor.
"Ich habe immer die Szene nachgespielt, wie die Beatles in Amerika aus dem Flugzeug gestiegen sind. Berühmtsein und gewürdigt zu werden war in meiner Kindheit eine Zeit lang das Wichtigste."
Mit leuchtenden Augen erzählt Brian D'Addario von einem Moment, den er selbst nie erlebt hat. Er ist einfach zu spät geboren worden. Der 19-Jährige schiebt aber schnell hinterher, dass ihn später natürlich nicht nur der Ruhm faszinierte, sondern auch die Musik selber. Dasselbe gilt für seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Michael. Eine Begeisterung mit Folgen: Schon früh gründeten die beiden eine Band.
"Wir haben schon als kleine Kinder in einer Band mit vier Leuten gespielt und an den Talentwettbewerben unserer Grundschule teilgenommen. Wir mochten es immer schon, vor Publikum zu spielen. Unsere Eltern haben uns dabei andauernd gefilmt."
Vater Ronnie D’Addario ist - wie die Brüder behaupten - ein erfolgloser Singer-Songwriter. Die Mutter hat ihre Versuche als Sängerin irgendwann aufgegeben. Sie arbeitet jetzt als Psychologin. Beide haben ihre Söhne immer wieder beim Musikmachen unterstützt. Auch die große Plattensammlung im Wohnzimmer der Eltern half dabei. Michael lernte Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug. Brian kann darüber hinaus noch Streichinstrumente und Bläser spielen.
Die Lemon Twigs mögen das extrovertierte Auftreten
"Meistens geht es um unser eigenes Leben. Das Stück "Those Days Is Coming Soon" ist aber genauso eine erfundene Geschichte wie "A Great Snake". In all den anderen Songs dreht es sich immer um dasselbe Thema: Ich hatte eine Freundin und wir haben uns getrennt. Es geht um Gefühle. Aber davon handeln ja generell die meisten Pop-Songs."
Die Melodien der Lemon Twigs erinnern natürlich an die Beatles. Andere Referenzen sind: Todd Rundgren, Big Star oder die Bay City Rollers. Bands, die Anfang der 70er zu dem aufkommenden Genre Power-Pop oder Power-Rock zählten. Die 70er haben auch auf den Klamotten-Geschmack der D’Addario-Brüder abgefärbt. Die Amerikaner mögen das extrovertierte Auftreten: Brian sieht mit seinen topfartig geschnittenen Haaren aus wie ein Rocker, während Vokuhila-Träger Michael eher Glam mag - bauchfreies Hemdchen inklusive. Die Lemon Twigs fallen auf. Sie suchen das Rampenlicht - eben so wie ihre Helden von damals.
"Man kann anfangen, sich wie jemand anzuziehen, dessen Musik man mag. Aber als Person muss man ihn nicht unbedingt cool finden. Was der dran trägt, ist aber cool, wie zum Beispiel Harry Nilsson. Er ist ein bisschen pummelig. Wer weiß, vielleicht wäre es für mich dann ok, pummelig zu sein, weil Harry Nilsson pummelig war."
Ein weiteres großes Idol ist Brian Wilson. Der Beach-Boys-Kopf taucht immer wieder in Tweets des offiziellen Lemon-Twigs-Profils auf. Die Band ist dabei nicht nur von den musikalischen Fähigkeiten beeindruckt, sondern auch von seiner bipolaren Persönlichkeit. Diese Bewunderung hat sie sogar dazu bewegt, den berühmten Songwriter aufzuspüren - zusammen mit ihrem Freund Jonathan Rado, Mitglied der Band Foxygen und auch Produzent des Albums, warteten sie vor einem Restaurant in Los Angeles.
Verkörperung der 60er- und 70er-Jahre
"Wir sind zu dem Beverly Glen Deli gefahren und haben ein bisschen auf ihn gewartet. Er kam raus. Unser Freund Rado schrie: "Brian, können wir ein Foto zusammen machen?" Er sagte nur: "Nein, ich muss weiter." Er fuhr fort und das hat uns alle überrascht. Es war aber cool. Selbst das war so süß. Er wirkt einfach so unschuldig."
Dass Rado mit den Lemon Twigs rumhängt, ist kein Zufall: Auch Foxygen lieben den psychedelischen Rock aus vergangenen Tagen. Ihre Shows sind exzentrisch und ausufernd. So wie bei den Lemon Twigs. Live wechseln sie immerzu die Instrumente.
"Do Hollywood" ist ein Album voll jugendlicher Energie geworden. Die Songs wirken schroff, roh, überschwänglich, hedonistisch und glamourös. Es ist erstaunlich, mit welcher nostalgischen Präzision die beiden Brüder die Stücke zusammen mit den anderen zwei Mitgliedern der Band eingespielt haben. The Lemon Twigs verkörpern die 60er- und 70er-Jahre so gut, dass man sich wünscht, sie niemals mit einem Smartphone oder Computer rumlaufen zu sehen. Irgendwie passen sie nicht in unsere Zeit. Und gerade das ist aufregend.