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Debütalbum von My Ugly Clementine
Zurück in die Neunziger

Gleich ihr erstes Konzert war ausverkauft - in Wien kennt man diese vier Frauen aus Bands wie Leyya oder 5kHD. Jetzt heißen sie My Ugly Clementine und klingen nach 90er-Powerpop: "Ich wollte diese Kombination aus Schwere und leichtem Dahinschweben", sagt Bandgründerin Sophie Lindinger.

My Ugly Clementine im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
Vier Frauen blicken freundlich in die Kamera. Sie tragen modische Kleidung.
Die Band My Ugly Clementine (Hanna Fasching)
Bernd Lechler: Schmieds Puls, Leyya, 5kHD - das sind lauter wohlklingende Bandnamen aus der Wiener Indieszene, und zwar aus den unterschiedlichsten Genres. Wenn sich vier Frauen aus solchen Bands zu einer neuen Formation zusammenschließen, dann ist das natürlich spannend - entsprechend war schon ihr erstes Konzert sofort ausverkauft. My Ugly Clementine nennen sich die vier, nächsten Freitag kommt nun auch ihr Debütalbum mit dem Titel "Vitamin C": Powerpop mit viel 90er-Jahre-Anklängen. Erste Frage an Bandgründerin, Sängerin und Bassistin Sophie Lindinger beim Corsogespräch mit ihr und der neu dazugestoßenen Gitarristin Nastasja Ronck: Wer mit einer ausverkauften Show einsteigt, geht mit ordentlich Selbstbewusstsein ins Studio, oder?
Sophie Lindinger: Vielleicht nicht unbedingt mit mehr Selbstbewusstsein, vielleicht eher sogar mit mehr Druck und mehr so einem: Okay, und jetzt müssen wir das auch liefern können! Oder wollen. Zumindest war unser Anspruch, auch das gutzumachen und gut zu spielen.
Lechler: Warum braucht man überhaupt mehrere Bands? Reicht nicht eine oder ist es nicht so, dass dann hier was passiert, was Energie und Zeit von anderen Band ab zieht?
Natasja Ronck: Ja, es ist schon eine logistische Herausforderung, das kann man jetzt nicht leugnen. Aber um das geht es nicht. Ich glaube, wir sind alle so vielfältig interessiert. Wir wollen uns auch in vielfältige Richtungen challengen und Dinge ausprobieren. Und deswegen sind die Projekte auch so unterschiedlich. Und ich glaube, ja, natürlich ist es eine Herausforderung. Aber es ist deswegen eine Herausforderung, weil einem alle Projekte wichtig sind. Und dann schafft man das auch irgendwie.
Lindinger: Ich glaube, wenn man jahrelang immer dasselbe Projekt hat und dieselbe Musikrichtung macht, dann macht es einfach extrem viel Spaß, eine neue Musikrichtung auszuprobieren. Und man lernt dann in diesen verschiedenen Projekten mit diesen unterschiedlichen Genres so viel für das andere Projekt. Das ist mir extrem wichtig. Ich glaube, wenn ich diesen Ausgleich nicht hätte, dann wäre mir schnell einfach langweilig. Aber nicht weil ich die Musik nicht gern mache, sondern weil ich so viel Interessen habe, musikalische, weil ich mir denke, ich hab auch vielleicht Talente, die noch in mir schlummern, die ich gerne rauslassen würde, wo ich mich gerne selbst ausprobieren würde.
Lechler: Und kannten sich alle vorher schon gut oder wussten alle nur voneinander?
Lindinger: Die einzige Person, mit der ich vorher schon befreundet war, war Mira. In der Musikszene in Wien trifft man sich irgendwo immer. Und wenn man sich lustigerweise dann auf einem Festival in Deutschland trifft, dann kennt man sich und weiß: Ey, du bist doch auch aus Wien. Barbara, die jetzt eben nicht mehr dabei ist, war eine Kindheitsfreundin von mir, die kenne ich schon, seit ich sieben bin. Barbara hab ich auf Instagram angeschrieben, und Nastasja ist dann über Kathrin in diese Gruppe integriert worden. Wir haben uns dann auch immer wieder mal getroffen, und dann war es ganz klar für uns. Auch als Barbara meinte, sie kann nicht mehr dabei sein, waren alle drei gleich so: Ja, Nastasia, klar.
Das Gefühl der Neunziger
Lechler: Bei den Besprechungen, die man liest über Ihre Musik, da fällt meistens an irgendeiner Stelle dann das Wort "Neunziger". Meine Assoziationen wären auch gewesen: My Bloody Valentine natürlich, schon vom Namen her, bis hin zum Songwriting von Aimee Mann. Aber das ist auch Neunziger. Ist das ein Zufall? Oder wie bewusst beziehen sie sich auf solche älteren Sachen?
Ronck: Ich denke, wir sind alle Kinder der späten Achtziger, Neunziger, und da spielt halt die musikalische Sozialisation eine Rolle. Und nämlich die in den Kindheits-, Teenager-Jahren.
Lindinger: Ich glaube, ich wollte mit jedem Song oder mit diesem Album auch ein bisschen das Gefühl der Neunziger wieder wecken. Aber nicht von wegen "Ich will ein Neunziger-Album machen", sondern: Ich will ein Gefühl erwecken, dass ich damals hatte, als ich diese Musik der Neunziger gehört habe.
Lechler: Was ist das für ein Gefühl?
Lindinger: Ich weiß auch nicht, so ein Gefühl von Schwere, aber auch Leichtigkeit. Also diese schweren Gitarren, mit einer Melodie, die man dann aber trotzdem einfach so raussingen will. Diese Kombination, dieses schwere, aber trotzdem leichte Dahinschweben.
Lechler: Dass Sie vier Frauen sind, sollte eigentlich gar kein Thema sein, aber weil es sehr selten ist, fällt es natürlich trotzdem auf. Soll man ein Statement darin sehen?
Lindinger: Ich glaube, viele Leute lesen ein Statement. Grundsätzlich ging es mir aber nur darum, mit Leuten zu arbeiten, mit denen ich noch nie gearbeitet habe, ein anderes Umfeld zu haben als in meinen anderen Bands. Und grundsätzlich geht es um die Musik und nicht um unser Geschlecht.
Lechler: Aber es ist in den Songs zum Teil ja auch Thema. Also, in "Playground" geht es darum: "Ich kann das Gleiche wie meine männlichen Freunde." Oder in "The Good, The Bad And The Ugly" geht es darum, dass man als Frau vielleicht mehr kämpfen muss, als man das als Mann muss - wenn man tun will, was man tun will. Habe ich das richtig verstanden?
Lindinger: Es ist absolut richtig, das ist auch wichtig, dass man das vielleicht auch noch mal thematisiert. Das Ding ist: Ich schreibe in meinen Texten Dinge, die mich betreffen, die mir regelmäßig unterkommen, die mich belasten. Also, das ist alles so ein Ding, dass das da wirklich noch immer… das uns immer noch passiert. Und natürlich muss ich das dann auch verarbeiten. Und dann verarbeite ich das in Songtexten. Deswegen kommen solche Dinge auch in den Songtexten vor. Das heißt natürlich nicht, dass ich die Band auf das eben reduzieren will, sondern es geht trotzdem um die Musik. Wie man dann auch vielleicht von politischen Dingen schreibt oder von anderen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt - naja, dann schreibe ich davon, weil, das betrifft mich und und belastet mich
Lechler: Wenn sie sagen, man erlebt das immer noch - sagen Sie das auch als Musikerin? Also gibt es auch in der Szene, in dem Business so eine gläserne Decke, an die man immer wieder mal stößt?
Ronck: Also prinzipiell natürlich. Wir sind eher im alternativen Bereich. Das heißt, man merkt halt schon, dass in gewissen Szenen mehr Vielfalt da ist und in gewissen Szenen wenig bis keine. Aber ja, natürlich, es ist einfach doch oft Thema. Auch in einer Szene, wo mehr Vielfalt da ist - aber immer noch zu wenig da ist.
Lechler: Und würden sie dann auch sagen: "Wir unterschreiben, dass auf Festivals einfach mehr Frauen auftreten sollten?" Oder ist das nicht so wichtig.
Lindinger: Es ist absolut wichtig, natürlich, weil, das ist genau dieses Unterbewusste, von dem der Mensch eigentlich lebt. So dieses: Ich hab unterbewusst mitbekommen, dass da ja auch viele Frauen sind - na, dann ist das für mich auch normal, dass da überall viele Frauen sind. Wenn man nie Frauen sieht auf Bühnen oder eben in der Öffentlichkeit - in diesem Thema, aber generell auch in vielen anderen Berufen, nicht nur musikalisch -, dann ist man auch unterbewusst immer ein bisschen voreingenommen und entscheidet sich dann vielleicht unterbewusst auch wieder für eine männliche Person, weil man das überall schon gesehen hat. Und deswegen ist es wichtig, bewusst anzufangen, das auszugleichen, um dann eben unterbewusst irgendwann einmal hoffentlich das normal werden zu lassen.
Lechler: Und auf dem Cover spielt es auch eine Rolle. Da ist diese Szene von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle, die Schöpfung - nur wird da eine Clementine überreicht von Gott an Adam. Wie ist das zu verstehen?
Empowerment auf jeglichen Ebenen
Lindinger: Das ist grundsätzlich eigentlich eine Anspielung auf die Clementine, und zwar heißt das Album "Vitamin C", und da das Album generell von Empowerment auf jeglichen Ebenen handelt, von Nächstenliebe, von Selbstliebe, von Selbstzweifel und das Überwinden hoffentlich, ist das das Vitamin C, das gereicht wird. Also dieses: Man ist gut genug, man soll auf jeden aufpassen, auch wenn man die Person nicht kennt. Man steht für sich ein, und so weiter. Und das Vitamin C soll das darstellen, dass das Vitamin C, das einem vielleicht fehlt noch im Leben oder dass man gerne hätte oder unter den man vielleicht oft leidet. Und dieses Vitamin C hilft dann sozusagen.
Lechler: Aber das "Ugly" im Bandnamen fand ich ein bisschen kokett, weil ich dachte: An denen und an ihrer Musik ist eigentlich nichts Hässliches.
Lindinger: Ich glaube, das "Ugly", das ist auch ein bisschen darauf bezogen, auf diese Parts, die man an sich selbst findet oder oft an anderen - Dinge, die man vielleicht nicht gern hat oder die man immer so ein bisschen stiefmütterlich behandelt und dann gern liegen lässt und sagt: Ja, das mag ich nicht so. Sondern es war ein bisschen dieses Ding, so: Man nimmt das Ding wieder an. Und es ist My Ugly Clementine, es ist mein Ding, das ich vielleicht nicht mag, aber ich nehme es mir wieder, und es ist jetzt meines und gehört mir. Und ich stehe trotzdem dahinter. So war das gedacht.
Lechler: Was nicht vorkommt in den Texten, ist jetzt zum Beispiel die politische Situation Österreich, die ja sehr aufregend ist. Lässt sich das schlecht zu Popmusik machen?
Lindinger: Ich glaube, es lässt sich alles zu Popmusik machen. Es kommt immer darauf an, was Popmusik heißt. Bei diesem Album geht es eben, genau, um Nächstenliebe und Selbstliebe und wie wir miteinander umgehen. Und das ist für mich schon das politische Statement. Also, diese Basis zu besingen und schon mal da anzufangen. Also zu sagen: Hey, wir sind alle gleich. Wir haben alle gleich viele Rechte. Wir können alle das machen, was wir wollen - solange wir aufeinander schauen.
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