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Debütroman von Bela B
"Eine große Vorliebe für Trash"

"Zwei Jahre habe ich an dem Buch geschrieben - und bin immer wieder verzweifelt", sagte Die-Ärzte-Drummer Bela B im Dlf. "Scharnow" heißt sein Debütroman. "Kein politisches Pamphlet", er wolle vor allem unterhalten. Und doch klingt zwischen den Zeilen Gesellschaftskritik an - neben "Fiesta Mexicana".

Bela B im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 02.03.2019
Der Musiker und Autor Bela B blickt in die Kamera
"Ich habe mich sehr treiben lassen": Musiker und Autor Bela B (picture-alliance/dpa/Henning Kaiser)
Adalbert Siniawski:: Bela B, Scharnow - ein bizarres Dorf nördlich von Berlin, mit halbstarken Lebenskünstlern, die stundenlang Gore-Filme auf VHS-Kassetten gucken, sich besaufen und den Dorfsupermarkt überfallen. Eine tollpatschige Polizei am Rande der Überforderung, weil endlich etwas passiert und es einen Todesfall aufzudecken gibt. Alles unter der Beobachtung von neugierigen Rentnern. Die wahren Dramen spielen in der Provinz?
Bela B: Ja, also viele Gegebenheiten, die vieles nur ermöglichen in meinem Buch irgendwie, die kann man halt nur in einem kleinen Dorf spielen lassen, so ne. Also in einer Großstadt wie Berlin, die ja auch am Horizont in meinem Buch immer wieder auftaucht, da wäre ein Supermarktüberfall in der Form, wie er in meinem Buch stattfindet, gar nicht möglich.
Gutes Gedächtnis trotz exzessiver Jahre
Siniawski: Und vielleicht auch nicht dramatisch genug.
Bela B: Vielleicht nicht dramatisch genug, ja vielleicht … Außerdem käme direkt gleich vielmehr Polizei, als an meinem Buch so. Dann hat man gar keine Einzelschicksale, nur noch Gruppenschicksale ne.
Siniawski: Auf der ersten Seite des Buches steht kursiv gesetzt der Satz: "Meiner Jugend in Spandau gewidmet." Das ist ja jetzt nicht Brandenburg, sondern in Berlin, aber inwieweit ist die Handlung autobiografisch?
Bela B: Äh, na ja, das werde ich jetzt nicht direkt en detail verraten, aber natürlich fisch‘ ich da in meiner Vergangenheit, fisch‘ ich da Erfahrungen, Geschichten, die ich aufgeschnappt habe. Ich hab‘ trotz diverser exzessiver Jahre in meinem Leben doch ein sehr, sehr gutes Gedächtnis und sammel‘ solche Geschichten wie so ein Schwamm und verarbeitete die oder lass‘ die einfließen. Und es gibt zum Beispiel - so viel sei schon verraten - eine Siedlung, in der dann auch der "Pakt der Glücklichen", jene betrunkenen Supermarkträuber, wohnt und eine ältere Dame, die mit denen im Clinch liegt. Und dieses Haus und diese ganze Siedlung, da stand dann die Siedlung Vorbild, in der ich groß geworden bin – die es aber auch natürlich in Ostdeutschland zu dem Zeitpunkt schon gab, diese Art Häuser.
Musiker und Autor Bela B geht im Mantel an einem Strauch vorbei
Musiker und Autor Bela B (Konstanze Habermann)
Siniawski: Aber dieser "Pakt der Glücklichen", die haben ja auch ein Manifest, in dem sie sich ethische Regeln sozusagen oder Handlungsempfehlungen …
Bela B: … eine ganz eigene Ethik.
Siniawski: Ja. Was ist das für eine Ethik? Hatten Sie auch so was?
Bela B: Ja, natürlich - aber nicht manifestiert auf einem Zettel. Also es gab immer mal wieder - wenn man jung ist, macht man vieles komisches Zeug - immer mal wieder so Ideen, so irgendwelche Sachen festzulegen und schriftlich festzuhalten. Ganz kurz mal, mit so einem Paar Punks, haben wir eine Sekte gegründet, aber das wird auch nur eine Woche oder so. Und aus solchen Sachen rührt das halt her, ne. Die haben halt sich dieses Manifest geschrieben, das soll sie natürlich auch immer daran erinnern, dass sie auf der richtigen Seite, dass sie nicht auf dem Holzweg sind, und dafür haben sie sich das dann in den Flur gehängt ihrer kleinen, miefigen Wohnung. Und die haben sich entschlossen, die Außenwelt nur noch, wenn's wirklich absolut nötig ist, zu betreten und ansonsten unter sich zu bleiben.
"Kunst ist immer politisch"
Siniawski: Ja, so ein bisschen Rückzug ins Private oder ins Häusliche so ein bisschen. Dabei ist die Umgebung doch recht problematisch, das klingt ja auch so ein bisschen an. Die positive Seite: ein bescheidener, syrischer Geflohener, der sich in ein deutsches Punkmädchen verliebt. Aber drumherum: Brandenburg halt. Kleine Verhältnisse und Einfluss von Nazis und rechten Parteien, die dann irgendwie dort erwähnt werden. Politisch wird es allerdings nicht wirklich in diesem Roman. Also: Warum kein "Schrei nach Liebe"?
Bela B: Na ja, also zuallererst ist ja Kunst, die nach außen geht, immer politisch, nicht?! Lange Jahre haben wir mit den Ärzten auch gedacht, wir wären eine unpolitische Band gewesen in den 80er-Jahren - weit gefehlt! Waren wir halt eben nicht. Aber da muss man jetzt die Sache nicht mit dem Holzhammer dann direkt so nach außen schlagen. Es ist kein politisches Pamphlet oder so was, sondern es ist ein Roman, eine Geschichte. Aber es gibt natürlich so Themen, die heutzutage halt auch mich beschäftigen und viele beschäftigen, es gibt die Verirrungen im Internet mit Verschwörungstheoretikern. Und es gibt aber auch einen Aussteiger, das ist auch ein positiver Punkt, zum Beispiel RAF-Leute, die wirklich den größten Irrsinn glauben und auch bereit sind, den größten Irrsinn zu machen und so. Und dann gibt es auch noch mal eine sehr seltsame Theorie meinerseits irgendwie, so über Pegida-Anhänger und solche Sachen. Das ist schon einiges drin, aber ich möchte halt natürlich mit dem Buch auch, dass man da unterhalten wird und eine tolle Geschichte liest und wollte da jetzt nicht die Realität abfotografieren."
Musiker und Autor Bela B sitzt am Tisch und haut mit der Faust auf denselben
Haut gern mal auf den Tisch: Musiker und Autor Bela B (Konstanze Habermann)
Siniawski: Und es driftet - also in Anführungsstrichen - driftet auch ab …
Bela B: Sehr, ja.
Siniawski: … in Fantasy und Horror. Ein Wesen, das wie Superman durch die Luft fliegt, und ein Buch - also der Gegenstand Buch -, das menschliche Mordgelüste hegt. Das ist schon interessant. Was auch NICHT stattfindet, ist Musik - bis auf Rex Gildo und "Fiesta Mexicana". War für Sie von Anfang an klar: Wenn sie als Musiker einen Roman schreiben - auf gar keinen Fall nichts mit Punk, nichts mit Musik?
Bela B: Nee, das war überhaupt nicht klar. Die Art, wie geschrieben habe … ich habe mich sehr treiben lassen - merkt man dem Buch vielleicht auch an. Ich habe Figuren gezeichnet, habe die immer mehr ausgefüllt mit Leben. Die wurden dreidimensionaler, und ich hatte auch mal zwischendurch drei Wochen, wo mir nichts einfiel. Und dann habe ich immer wieder nachgelesen. Und dann fingen die Figuren an, mir Wege aufzuzeigen, wo es hingeht und so was. Und als es darum ging, dass da Musik läuft – eigentlich eine bedrohliche Szene, in der dann halt Rex Gildo läuft, ist dann irgendwie plötzlich hanebüchen bedrohlich. Und das Bild gefiel mir, deshalb: Rex Gildo.
"Deine Stärke sind die Dialoge"
Siniawski: Was allerdings viel Raum einnimmt, sind Gore-Filme eines Joe D'Amato, Zombie- und Kannibalismusfilme, die sich, ja, so in Blut- und Gewaltszenen suhlen. Hat sich da ein Horror- und Gore-Fan seine filmischen Vorbilder hervorgeholt?
Bela B: Ach, ich kann da draußen, also den Leuten dort, die Filme, die ich da erwähne – es sind besonders zwei, die ich da erwähne –, kann ich jetzt nicht so uneingeschränkt empfehlen, ja. Also gerade der "Porno Holocaust", der Film über den am meisten gesprochen wird, den sicher der "Pakt der Glücklichen" immer wieder anschaut, der ist wirklich grauenvoll. Es ist ein Porno mit Horrorelementen, das ist ganz schlecht und so. Aber ich habe natürlich persönlich eine große Vorliebe für so Trash und ich fand das toll, dass diese Leute – die stehen ja nicht nur auf diese Art von Filmen und sehen darin also eine große Filmkunst –, das sei jedem überlassen seinen Kunstbegriff zu definieren, sondern auch dass diese Filme nur auf VHS in wirklicher Größe dargeboten werden. Und dass es da dann noch einen Glaubensgenossen gibt im Buch, der natürlich von einer ganz anderen Seite kommt, das macht es dann, dass öfter diese Filme auftauchen.
Siniawski: Ich habe dann zwischendurch immer gedacht – dieser Roman ist ja ohnehin mit schnellen Figuren- und Perspektivwechseln angelegt, mit detailliert beschriebenen Szenen, humorvoll getexteten Dialogen; ich habe wirklich viel gelacht auch – wie gemacht für eine Verfilmung. Sie treten ja auch immer wieder als Schauspieler und Synchronsprecher in Erscheinung. Haben Sie den Text so angelegt, angelehnt an Verfilmung?
Bela B: Na, sehen Sie? Meine einzige Erfahrung im literarischen Bereich war er ein Drehbuch, ich habe einmal ein Drehbuch verfasst und Drehbücher habe ich natürlich unendlich viel gelesen – natürlich deutlich mehr noch Belletristik. Aber meine Lektorin hat mir auch gesagt, dass es schon recht filmisch ist, wie ich da schreibe, aber dass das kein Fehler ist - und damit hat sie mir Carte blanche gegeben also das Buch so weiterzuschreiben. Sie sagte: "Deine Stärke sind die Dialoge. Mach‘ das." Ja und jetzt höre ich ja von ihnen, dass das auch gelungen ist. Und ansonsten werde ich – ich mach‘ jetzt schon einige Interviews zu meinem Buch – auch darauf angesprochen, ob ich Verfilmung im Sinn hatte, und tatsächlich hatte ich erst mal nur im Sinn, das Buch fertig zu kriegen. Das ist ja wirklich ein sehr schmerzhafter, langer Prozess …
Lange geheim gehalten – auch vor der Band
Siniawski: Wie lange?
Bela B: … zwei Jahre habe ich an dem Buch geschrieben - und immer wieder verzweifelt. Und ich hatte bis Sommer letzten Jahres das auch geheim gehalten und selbst den engsten Freunden nicht erzählt, bis mein Management mich darauf hinwies, dass meine Band das dann schon mal erfahren sollte und nicht aus der Presse, das wäre für das Bandgefüge doch ganz gut. Dann habe ich die beiden angerufen und Bescheid gesagt. Also lange Rede kurzer Sinn: Das ist tatsächlich filmisch, ja, so verfasst; und Verfilmung hatte ich nicht im Sinn. Aber ich wünsche es mir natürlich.
Siniawski: Kann vielleicht noch kommen.
Das Cover von Bela B Felsenheimers Roman "Scharnow" zeigt einen Mann mit ausgestreckter Faust, der über den Dächern fliegt
Das Cover von Bela B Felsenheimers Roman "Scharnow" (Heyne Hardcore Verlag)
Bela B: Ja, aber bei 400 Seiten es ist fast Stoff für eine Serie.
Siniawski: Ist ja jetzt sehr im Trend.
Bela B: Mmmhm.
Siniawski: Thees Uhlmann von Tomte tat es. Frank Spilker von den Sternen, Jochen Distelmeyer von Blumfeld. Natürlich auch Sven Regener von Element of Crime. Nun reihen auch Sie sich ein …
Bela B: Dirk von Lowtzow von Tocotronic hat auch gerade ein Buch geschrieben!
Siniawski: Ja, richtig, darf man nicht vergessen. Sie reihen sich jetzt auch ein unter die Romanautoren unter den Musikern. Gibt es da so eine Etappe im Leben eines Musikers, bei der man sagt: "Jetzt reicht ein Song nicht mehr aus für meine Gedanken"?
Bela B: Na ja, also ehrlich gesagt, dass das jetzt ein lang gehegter Wunsch gewesen wäre, kann ich nicht sagen. Ich habe als Jugendlicher, als Kinder, als ich da mal einen Schreibmaschinenkurs in der Schule gemacht habe, dann danach angefangen zu schreiben und mir gewünscht, ein Buch fertig zu kriegen. Aber das schafft man mit 12, 13 nicht - ICH nicht, Wunderkinder vielleicht.
"Die meisten Musiker schreiben ja autobiografisch"
Siniawski: Aber einen Comic haben Sie verfasst.
Bela B: Ja, Comics habe ich einige verfasst. Ich habe dann irgendwann auch einen Verlag gehabt und auch Comicgeschichten verfasst, habe Kurzgeschichten geschrieben für befreundete Verlage - oder Vorworte für Verlage, so kam der Kontakt zu Heyne auch zustande. Ja, ich weiß es nicht. Die meisten Musiker schreiben ja autobiografisch - oder beginnen zumindest autobiografisch: Thorsten Nagelschmidt, ehemaliger … oder WIEDER Sänger von Muff Potter zum Beispiel, der jetzt schon seinen dritten Roman geschrieben hat, aber tatsächlich mit einer mit einer Beschreibung einer Tournee begonnen hat, seine Karriere …
Wir haben noch länger mit Bela B gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Siniawski: … Rocko Schamoni mit "Dorfpunks" zum Beispiel.
Bela B: Ja, der ist natürlich … also Rocko ist ein alter Freund von mir, der steht außen vor, der zelebriert das ja. Der macht er dann ja auch Fotos mit Pfeife, in einem Ohrensessel, in einem Morgenmantel und so; der zelebriert sein Schriftstellertum - und auch sehr super. Es kann sein, also wir sind ja alles Leute, die halt auch ständig mit Worten zu tun haben, Texten, Geschichten erfinden, Sujets erfinden; und ich mache mir ständig Notizen für Ideen, und manchmal sind es dann tatsächlich auch Notizen, die eigentlich eher für eine Kurzgeschichte sind oder vielleicht mal für ein Drehbuch oder für irgendwas. Und so kamen jetzt auch viele Ideen zusammen in dem Buch. Dass ich jetzt da dachte: "Ich folge jetzt einem Trend?" Nein. Man muss dazu sagen, der Heyne-Verlag hat mich schon vor längerem angesprochen, ob ich das nicht machen möchte, aber erst als mich ein kleiner Verlag - also ein zweiter Verlag - noch ansprach, da dachte ich: "Okay, da besteht wohl Interesse. Vielleicht schenk‘ ich dem Mal einen Gedanken. Und das Ergebnis liegt jetzt vor Ihnen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bela B Felsenheimer: "Scharnow"
Heyne Hardcore Verlag München, 2019. 416 Seiten, 20 Euro.