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Debussy, Szymanowski, Chopin
Eleganz und Melancholie

Jugendlicher Schwung und unbändige Spielfreude zeigen die koreanische Geigerin Bomsori Kim und der polnische Pianist Rafal Blechacz auf ihrer neuen CD. Dazu zarte Lyrismen und tiefgründige Interpretationen. Und sie bieten einen eigenen Blick auf französisch-polnische Musikbeziehungen.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke | 03.03.2019
    Die koreanische Geigerin Bomsori Kim und der polnische Pianist Rafal Blechacz sind schwarzgekleidet im Halbporträt zu sehen.
    Rafal Blechacz und Bomsori Kim haben ihre erste gemeinsame CD aufgenommen. (Harald Hoffmann/ Deutsche Grammophon)
    Französische Eleganz und polnische Melancholie: Beides spiegelt sich auf einzigartige Weise im Werk von Frédéric Chopin wider. Chopin kommt allerdings auf der ersten gemeinsamen Kammermusik-CD der Geigerin Bomsori Kim und des Pianisten Rafal Blechacz nur am Rande vor. Dennoch werfen die beiden Musiker mit einer hoch interessanten Werkkombination einen spannenden Blick auf französisch-polnische Beziehungen und Traditionen im Bereich der Violinsonate.
    Musik: Fauré, Sonate Nr. 1 A-Dur, 1. Satz
    Französisch-polnische Interessen zeigt auch ein Blick auf die bisherige Diskografie des jungen Klaviervirtuosen Rafal Blechacz: Da ist zum einen Claude Debussy, und zum anderen befinden sich darunter die größten Komponisten seiner polnischen Heimat: Frédéric Chopin und Karol Szymanowski. Blechacz liebt das weite Feld der Romantik mit ihren unterschiedlichen stilistischen Facetten – auch wenn das nur ein Schwerpunkt in seinem umfangreichen Repertoire ist. Seit dem Gewinn des internationalen Chopin-Wettbewerbes 2005 in Warschau zählt er zur jungen pianistischen Spitzenelite. Allerdings interessiert Blechacz nicht nur die Solistenrolle. Auf einem anderen der großen Wettbewerbe in Polen, dem Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerb in Poznan, lernte er via Fernsehen die ideale Partnerin für sein erstes Kammermusikprojekt kennen: die koreanische Geigerin Bomsori Kim. Die erhielt per E-Mail die Anfrage des berühmten Pianisten – und sagte begeistert zu. Jugendlicher Schwung, unbändige Spielfreude und Temperament, aber auch zarte Lyrismen und tiefgründige Interpretationen kennzeichnen die neue CD der beiden Musiker. Dieses zeigt beispielsweise der dritte Satz aus Gabriel Faurés Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier op. 13.
    Musik: Fauré, Sonate Nr. 1, 3. Satz
    Nuancierte Aktzente
    Zwischen 1875 und 1876 komponierte Fauré seine erste Sonate für Violine und Klavier, aus der Bomsori Kim und Rafal Blechacz den dritten Satz spielten. Dieses Werk traf damals den Nerv der Zeit in Frankreich: Nach der Niederlage gegen Preußen 1870 und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs suchten viele Künstler nach einer "Ars gallica", einer französischen Kunst ohne deutsche Einflüsse. Die erste Violinsonate des knapp 30-jährigen Fauré ist nicht nur klanglich und satztechnisch ein Meisterstück der französischen Spätromantik; im zweiten Satz, einer schwermütigen Barcarolle, scheint der Komponist die musikalische Welt des Impressionismus bereits vorwegzunehmen. Dessen Leidenschaft und klangliche Sinnlichkeit setzen Bomsori Kim und Rafal Blechacz mit groß angelegten Bögen und nuancierten Akzenten gekonnt in Szene.
    Musik: Fauré, Sonate Nr. 1, 2. Satz
    Große Sensibilität
    In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Violinsonate im Bereich der Kammermusik noch eine wichtige Position ein; das zeigt sich an der Fülle von Werken, die unter anderem Beethoven, Schumann, Paganini, Spohr oder Brahms schrieben. Um 1900 hatte das Interesse an dieser Gattung deutlich nachgelassen; zwar entstanden nach wie vor Kompositionen für Violine und Klavier; Sonaten waren aber eher weniger darunter. Als Claude Debussy sich 1915 entschloss, sechs Sonaten für verschiedene Instrumente zu schreiben, waren es vor allem patriotische Gründe, die Ars gallica zu reanimieren; immerhin tobte der Erste Weltkrieg in Europa. Aufgrund seiner Krebserkrankung konnte Debussy jedoch nur drei vollenden; und die Sonate für Violine und Klavier gehört zu seinen letzten Kompositionen. Von Krankheit, Trauer oder Todesahnung ist hier jedoch nicht das Geringste zu spüren; vielmehr besticht Debussys Sonate durch tiefe Leidenschaft, Anmut, Eleganz und Esprit. Die sehr unterschiedlichen und rasch wechselnden Stimmungslagen arbeiten Bomsori Kim und Rafal Blechacz mit großer Sensibilität heraus; besonders die Geigerin versteht es glänzend, die leisen Passagen im 1. Satz geradezu hinzuhauchen.
    Musik: Debussy, Sonate g-Moll, 1. Satz
    Ein Ausschnitt aus dem ersten Satz von Debussys g-Moll-Violinsonate mit Bomsori Kim und Rafal Blechacz, der sich hier als einfühlsamer und mitunter auch gewitzter Klavierbegleiter präsentiert. Kritiker loben an dieser Sonate neben der teilweise rhapsodisch freien formalen Anlage vor allem die besondere klangliche Ausgewogenheit zwischen den beiden Instrumenten. Diese Balance wird aufnahmetechnisch meiner Meinung nach in dieser neuen Einspielung nicht ganz erreicht: Hin und wieder wirkt das Klavier etwas zu dominant, wie beispielsweise im zweiten Satz der Debussy-Sonate; hier werden die kecken Pizzicati der Violine manchmal fast verdeckt.
    Musik: Debussy, Sonate g-Moll, 2. Satz
    Im Gegensatz zu Debussys Violinsonate ist die seines 20 Jahre jüngeren polnischen Kollegen Karol Szymanowski deutlich weniger bekannt. Ähnlich wie der berühmte Franzose setzte Szymanowski sich vor allem nach dem Ende des Ersten Weltkrieges für eine Erneuerung der polnischen Musik ein. In vielen seiner Werke ist der Einfluss des französischen Impressionismus etwa von Ravel und Debussy spürbar. Szymanowskis Oeuvre für Kammermusik ist relativ klein; und was die Gattung Sonate angeht, hat er zwar drei für Klavier, aber nur eine einzige für ein Soloinstrument geschrieben: die Sonate d-Moll op. 9 für Violine und Klavier. Sie entstand 1904 während Szymanowskis Studiums am Warschauer Konservatorium und zeigt, dass der damals 22-Jährige das musikalische Handwerkszeug schon meisterhaft beherrschte. Während der erste Satz ganz klassisch zwei typisch kontrastierende Themen verarbeitet, werden danach Elemente eines langsamen und eines schnellen Scherzo-Satzes originell miteinander kombiniert.
    Eine echte Empfehlung
    Das Finale kommt als schwungvolle Tarantella daher, deren Thema Szymanowski sehr ungewöhnlich im Sinne der strengen barocken Kontrapunktik bearbeitet. Auch hier beweisen Bomsori Kim und Rafal Blechacz mit feinnervig sensiblem und impulsivem Spiel ihre kammermusikalische Klasse. Ihre Zusammenstellung mit den Sonaten von Fauré, Debussy und Szymanowski, abgerundet mit einer Nocturne von Frédéric Chopin in der Fassung für Violine und Klavier von Nathan Milstein, zeigt eindrucksvoll die musikalischen französisch-polnischen Beziehungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für mich ist diese CD eine echte Empfehlung.
    Musik: Szymanowski, Sonate op. 9, Finale
    Violinsonaten von Gabriel Fauré, Claude Debussy und Karol Szymanowski sowie eine Nocturne von Frédéric Chopin
    Rafal Blechacz, Klavier
    Bomsori Kim, Geige
    Deutsche Grammophon