In Samantha Joyes Büro reihen sich Kisten und Bücherstapel aneinander. Während des Skype-Interviews wühlt sie immer wieder in den Papierbergen auf ihrem Schreibtisch. Sie sei gerade erst von der letzten Forschungsfahrt zurückgekehrt und versuche noch, Ordnung zu schaffen, lächelt sie in die Kamera. Die Professorin für Meeresbiologie an der Universität von Georgia in Athens sammelt seit der Ölkatastrophe regelmäßig Wasserproben aus dem Golf von Mexiko.
Das erste Mal seien sie und ihre Gruppe Anfang Mai 2010 im Macondo Ölfeld unterwegs gewesen, zwei Wochen nach dem Unfall. Sie maßen Methankonzentrationen, Oxidationsraten und die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften im Wasser, die Methan abbauen. Einige davon sind auf hohe Methankonzentrationen angewiesen, andere können nur dann gedeihen, wenn die Methankonzentrationen deutlich geringer sind.
"Wir konnten eine sehr dynamische Reaktion auf den plötzlichen Methanaustritt beobachten: Innerhalb von nur acht Wochen nach dem Unfall wurde die Bakteriengemeinschaft extrem aktiv."
Bakterien starben womöglich früh
Nach diesen ersten zwei Monaten aber fanden Samantha Joye und ihre Kollegen plötzlich so gut wie keine Methanfressenden Bakterien mehr in ihren Wasserproben. Die Population war zusammengebrochen. Warum? Das ist ein Rätsel, das auch Samantha Joye nicht lösen kann. Die Meeresbiologin vermutet, dass die dichte Methangasfahne im Ozean zu Beginn solche methanfressenden Bakterien anlockte, die auf hohe Methankonzentrationen angewiesen sind. Dann aber, so die Theorie der Forscher, löste sich die Gasfahne auf, das Methan verteilte sich stärker im Wasser und seine Konzentration nahm ab.
"Dadurch konnten die Bakterien, die auf hohe Methankonzentrationen angewiesen sind, das Methan nicht länger nutzen und starben. Da sie sich aber zuvor explosionsartig vermehrt und dabei natürlich auch reichlich Nährstoffe und Spurenelemente verbraucht hatten, konnten die Bakterien, die an niedrigere Methankonzentrationen angepasst sind, nicht einfach einspringen."
Ihnen fehlten die Nährstoffe und Spurenelemente. Evan Solomons Ansicht nach ist das eine interessante Theorie – aber nicht mehr. Der Ozeanograf hält Samantha Joyes Studie aus einem anderen Grund für bedeutend. Solomon untersucht an der Universität von Washington in Seattle natürliche Methanemissionen und die Rolle methanfressender Bakterien im Ozean.
"Ich denke, die wichtigste Schlussfolgerung dieser Arbeit ist, dass das ganze System wesentlich komplexer ist, als wir bislang dachten. Die Bakteriengemeinschaft hat viel schneller viel mehr Methan abgebaut und ist dann sehr bald und ganz plötzlich zusammengebrochen. Das hat niemand vermutet oder früher schon einmal beobachtet."
Und es zeige, wie wenig Wissen über die methanfressenden Bakterien vorhanden sei. Diese Erkenntnis beunruhigt auch Samantha Joye.
Die Regulierungsmechanismen des Methanabbaus verstehen
"Es sind sehr anspruchsvolle Bakterien, die viele bestimmte Nährstoffe und Spurenelemente benötigen. In Zeiten des Klimawandels müssen wir also herausfinden, was genau die Aktivität dieser Bakterien beeinflusst. Deshalb experimentieren wir zurzeit im Labor mit Wasserproben aus dem Golf von Mexiko und aus der Arktis. Wir geben Methan und Nährstoffe hinzu, begrenzen den Sauerstoff und verändern die Konzentration an Spurenelementen. Dadurch versuchen wir zu verstehen, welche Faktoren den Methanabbau regulieren. Das ist eine sehr wichtige Frage, denn im Zuge der Klimaerwärmung könnten auch die Gashydrate am Meeresboden zunehmend große Mengen Methan freisetzen. Was passiert mit diesem Methan? Darüber entscheidet unter anderem diese kaum verstandene Gruppe von Mikroorganismen, die methanotrophen Bakterien."
Methan ist ein 34-fach stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Die Arbeit der methanotrophen Bakterien könnte also darüber entscheiden, wie stark Unfälle und Gashydrate das Klima der Zukunft beeinflussen werden.