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Defensine gegen Anthrax

Medizin. - Im Herbst 2001 wurde der Gang zum Briefkasten für viele Amerikaner zum Abenteuer. Terroristen verschickten die Sporen des Milzbrand- oder Anthrax-Bakteriums mit der Post und verbreiteten Angst und Schrecken. Fünf Menschen starben, Tausende mussten behandelt werden. Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen berichten Forscher vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PNAS, dass der menschliche Körper selbst Waffen gegen Anthrax bereithält.

Von Volkart Wildermuth |
    An Krankheitserregern besteht im Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin kein Mangel. Hinter Glasscheiben und Luftschleusen gut gesichert findet sich hier ein ganzer Zoo von Viren und Bakterien. Zu den tödlichsten Vertretern gehört Bacillus anthracis, der Milzbranderreger. Dieses Bakterium ist eine ideale Waffe für Bioterroristen. Seine Sporen sind haltbar und lassen sich wie Staub leicht verbreiten. Werden sie eingeatmet, erwachen sie zu neuem Leben, die Keime vermehren sich schnell und bilden tödliche Gifte, die die Abwehrzellen des Körpers vernichten. Das wichtigste dieser Gifte, den Letalfaktor, kann die Arbeitsgruppe von Professor Stefan Kaufmann jetzt neutralisieren, und zwar mit Defensinen, Abwehrstoffen des menschlichen Immunsystems. Bisher glaubten die Forscher, dass die Defensine nur Bakterienzellen angreifen, dass sie auch gegen deren Gifte, die so genannten Toxine wirken, hat ein Doktorand im Labor von Stefan Kaufmann eher zufällig entdeckt.

    " Er hat dann, weil er sehr geschickt ist im Computermodelling, an den Modellen des Toxins von Anthrax und dem Modell von Defensinen gefunden, dass es da eine Stelle gibt, die wie Schlüssel und Schloss und auf Grund dieser in Silico sagen wir, also am Computerbild gewonnen Erkenntnis, daraus haben wir dann gedacht, versuchen wir es eben mal und es hat in der Tat geklappt."

    Die Defensine binden sich an das Anthraxtoxin und machen es so wirkungslos. Es ist kein Problem, Zellen im Reagenzglas so vor der Wirkung des Giftes zu schützen. Allerdings sind die Defensine im Blut nicht lange stabil. Die entscheidende Frage lautete deshalb, ob sich die körpereigenen Substanzen auch in Versuchstieren bewähren.

    " Das Experiment haben wir so dargestellt, dass wir den Mäusen in einem ersten Versuch erst einmal das reine Toxin verabreicht haben, normalerweise würde die Maus dann sehr schnell versterben, und kurz danach haben wir das Defensin dann noch verabreicht und das Defensin war in der Tat auch in der Maus hochwirksam und hat eben verhindert, dass diese Tierchen sterben."

    Das ist erfreulich, aber auch verblüffend. Schließlich bildet das menschliche Abwehrsystem bei einer Anthraxinfektion ganz von selbst Defensine, aber die sind nicht in der Lage, die Bakteriengifte zu neutralisieren. Der Grund, so vermutet Stefan Kaufman, liegt wohl darin, dass die Defensine vor allem in der Lunge produziert werden, wo sich auch die Erreger aufhalten. Die Toxine dagegen verteilen sich im ganzen Körper, entgehen so den Abwehrstoffen und greifen überall Zellen an. Hier könnte eine zusätzliche Gabe von Defensinen durch den Arzt einen entscheidenden Unterschied machen. Derzeit erhalten Patienten nach einer Anthraxinfektion Antibiotika. Die töten das Bakterium ab, doch das rettet die Kranken nicht immer.

    " Wenn die Toxine erst einmal da sind, dann können sie den Erreger noch so viel abtöten also durch Antibiotikabehandlung vernichten, die Toxine bleiben und deshalb denken wir, dass die Antibiotikatherapie, wenn sie nicht ganz früh oder sogar präventiv gegeben wird, ungenügend ist, schließlich ist der Erreger zwar weg, aber das Toxin ist nicht vorhanden, so dass wir glauben, dass eine Kombinationstherapie, antibiotisch um den Erreger die Produktionsmaschinerie zu töten und zweitens, um das bereits gebildete Toxin zu neutralisieren, Defensine oder ähnlich Stoffe."

    Zumal sie nicht nur gegen das Gift wirken, sondern zusätzlich auch das Immunsystem aktivieren. Stefan Kaufmann sieht die Defensine als eine Art Leitsubstanz, nach deren Vorbild sich wirksame Medikamente gegen Bakteriengifte entwickelt lassen. Dafür braucht das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie aber Partner aus der Industrie. Selbst nach den Briefanschlägen in den USA ist die Anthraxinfektion kein allzu attraktiver Markt für die Pharmamanager. Erste Experimente aus Berlin deuten aber darauf hin, dass Defensine nicht nur gegen das Anthraxtoxin, sondern eine ganze Palette von Bakteriengiften wirken. Wenn sich das bestätigt, steht den körpereigenen Abwehrstoffen wohl eine Karriere in der Medizin bevor.