Etwa 100.000 Menschen sind in Deutschland jährlich von gefährlichen Herz-Rhythmus-Störungen betroffen. Diese Störungen können nur mit einem Elektroimpuls, einer Defibrillation, behandelt werden. Entsprechende Geräte werden zunehmend im öffentlichen Raum angebracht. Davor diese Defibrillatoren im Notfall zu benutzen, schrecken allerdings viele potenzielle Helfer zurück.
In Köln fand Mitte Dezember das 1. Nationale Arbeitstreffen zu öffentlichen Defibrillatoren mit Experten unterschiedlicher Fachrichtungen statt. Mit dabei war Lennart Pyritz vom DLF.
Christian Floto: Herr Pyritz, welche medizinische Bedeutung haben Erste Hilfe und der Einsatz von Defibrillatoren im öffentlichen Raum?
Lennart Pyritz: Bei Herz-Rhythmus-Störungen findet das Herz von selbst nicht wieder in den richtigen Takt. Hilft man auch nur wenige Minuten, bis der Rettungswagen kommt, kann das ganz entscheidend sein. Was droht, wenn Hilfe ausbleibt, hat Professor Stephan Baldus vom Herzzentrum der Uniklinik Köln am Rande der Tagung so zusammengefasst:
"Schwerwiegende Herz-Rhythmus-Störungen, insbesondere Kammerflimmern, sind Störungen, die unbehandelt zum Tode führen. Die, wenn sie nicht schnell behandelt werden, zu schweren Schäden des Einzelnen führen, insbesondere Gehirnschäden."
Wichtig ist zuerst einmal, dass der Patient wiederbelebt wird. Die Herzdruckmassage sorgt dafür, dass das Blut weiter zirkuliert und so weiter Sauerstoff im Körper verteilt wird. Das heißt: Findet man eine Person ohne Puls: Notruf absetzen und mit Herzdruckmassage beginnen. Dann sollte ein zweiter Helfer sich auf die Suche nach einem Defibrillator machen und das Gerät einsetzen. Es gibt keine Garantie, dass es hilft. Beim vorgestern verstorbenen Udo Jürgens war der Einsatz eines Defibrillators offenbar vergeblich. Aber die Überlebenschancen sind größer, wenn sofort Maßnahmen von Ersthelfern eingeleitet werden.
Floto: Ist die Bedienung eines solchen Gerätes denn eindeutig, gerade unter Stress in einem Notfall?
Pyritz: Ich denke: Ja. Zwei Studenten haben bei dem Treffen ein Reanimations-Szenario mit Defibrillator vorgeführt. Das Gerät sagt dabei jeden einzelnen Schritt automatisch an. Das klingt dann so:
"Gesamte Kleidung vom Brustkorb des Patienten entfernen...Klebeelektrode wie abgebildet fest auf den nackten Brustkorb kleben...Bereit...Schock wird vorbereitet...Achtung! Jetzt darf niemand den Patienten berühren...Blinkende Taste drücken...Schock wurde abgegeben."
Pyritz: Die Elektroden bleiben nach dem ersten Elektroimpuls auf der Brust des Patienten. Alle zwei Minuten misst der Defibrillator selbst die Herzaktivität und meldet sich dann für den nächsten Impuls. Für den unterbricht man dann die Herzdruckmassage wieder kurz. Das setzt man fort, bis der Rettungswagen eintrifft. Oder bis das Gerät wieder einen normalen Herzrhythmus feststellt. Dann ist keine Schockabgabe mehr möglich, und man beendet die Herzdruckmassage.
"Ersthelfer besser schulen"
Floto: Wie werden bereits vorhandene Defibrillatoren im öffentlichen Raum bislang genutzt?
Pyritz: Deutschlandweit gibt es natürlich noch viele weiße Flecken auf der Karte; Regionen, in denen es keine öffentlichen Defibrillatoren gibt. Aber nehmen wir mal die Stadt Köln als Beispiel: Dort hat der Förderverein des Herzzentrums der Uni-Klinik etwa 130 Defibrillatoren im öffentlichen Raum aufgestellt: in Banken, am Flughafen und im Dom zum Beispiel. Genutzt wurden die allerdings bisher nur in acht Fällen. Das Fazit auf dem Treffen war deshalb: Nicht einfach noch mehr Defis aufhängen, sondern Ersthelfer besser schulen. Besser auf den Notfall vorbereiten. Hemmungen und Ängste gezielt abbauen.
Floto: Wie könnten Helfer denn gezielt auf Notfall-Einsätze vorbereitet werden?
Pyritz: Die Idee ist, vor allem früh damit anzufangen: Im Sommer hat der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz empfohlen, dass Kinder ab der 7. Klasse in Zukunft regelmäßig Wiederbelebungs-Training erhalten. Derzeit arbeiten die einzelnen Bundesländer an der Umsetzung. Beate Proll vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg hat zum Beispiel einen "peer-education"-Ansatz vorgestellt:
"Das heißt, Schüler und Schülerinnen ab der 7. Klasse werden geschult, einmal in der Technik aber auch darin, andere Jugendliche in dieser Technik auszubilden. Und Andocken kann man das dann inhaltlich in verschiedenen Feldern, klassischerweise an den Biologie-Unterricht. Denkbar wäre es auch im Rahmen des Sportunterrichtes oder auch in einem ethischen Bereich, wo es um bürgerschaftliches Engagement, um Werte und Normen geht."
Pyritz: In Norwegen gibt es Erste-Hilfe-Unterricht in der Schule übrigens schon seit einigen Jahren, und das hat sich als erfolgreich erwiesen.
Floto: Wie ist die rechtliche Lage? Muss ich mir Sorgen machen, mich strafbar zu machen, wenn bei der Ersthilfe etwas schief geht?
Pyritz: Nein - aus juristischer Sicht kann man bei der Anwendung eines Defibrillators im Grunde nichts falsch machen. Es ist eher so: Wenn man nicht eingreift, greift unter Umständen der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Tut man nichts, stirbt der Patient meist. Im Vergleich dazu ist etwa eine durch Herzdruckmassage gebrochene Rippe oder zerrissene Kleidung das kleinere Übel. Auch zivilrechtlich können Ersthelfer nicht belangt werden, für zerrissene Kleidung oder Körperverletzungen. Es sei denn, sie handeln grob fahrlässig, bringen etwa die Elektroden am Kopf des Patienten an. In so einem Fall würde der Defibrillator allerdings auch gar keinen Elektroimpuls auslösen.