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Defizitverfahren gegen Italien
Ökonom: EU braucht mehr Geduld mit Italien

Wenn die EU Italien jetzt durch harte Sparmaßnahmen in die Rezession drücke, könne sich das zu einer gefährlichen Krise entwickeln, sagte der Ökonom Gustav Horn im Dlf. Noch könne das Land seine Schulden bedienen. Was Italien brauche, sei mehr Wachstum - und die Bereitschaft, sein Defizit anzugehen.

Gustav Horn im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Sitz des italienischen Parlaments, Palazzo Montecitorio, in Rom, Italien
Der Ökonom Gustav Horn warnte im Dlf davor, Italien gegenüber die gleichen Fehler zu machen wie gegenüber Griechenland (AFP / Filipp Monteforte)
Jürgen Zurheide: Um 6:50 Uhr wollen wir nach Italien schauen. Die wirtschaftliche Lage dort ist schwierig. Allerdings, die Regierung hat leichtes Spiel. Sie verspricht dem Wahlvolk Wohltaten, und das Ganze wird finanziert mit Schulden. Wachstum gibt es nicht, also werden die Schulden weiter steigen. Jetzt gibt es ein Defizitverfahren der Europäischen Union. Das wiederum weist dann am Ende der Europäischen Union die Buhmannrolle zu, und das ist ein interessantes Rollenspiel, denn diese Rolle hilft dem Populisten, wir kennen die Mechanismen. Welche Rezepte gibt es nun in der Krise, darüber wollen wir reden mit Gustav Horn, dem Ökonom, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Horn!
Gustav Horn: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Horn, zunächst einmal der Befund: Kein Wachstum, zu wenig Investition, falsche Subventionen – das ist die Kurzfassung. Fehlt da was?
Horn: Ja, da fehlt das Wachstum und der Beschäftigungszuwachs und die Dynamik überhaupt in der italienischen Wirtschaft. Das ist alles richtig erkannt. Die Frage ist, wie kommt man aus diesem Dilemma auch mit der hohen Staatsverschuldung, die Italien bereits hat, wieder heraus. Mit diesem Konflikt kommt man sicherlich nicht heraus.
Zurheide: Was müsste denn Italien tun, wenn Sie die Regierung beraten sollten, um so etwas wie nachhaltiges Wachstum zu schaffen? Darum geht es ja im Wesentlichen.
Horn: Nun, ich würde erst mal mir eine längere Zeitperspektive geben. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass man das binnen ein, zwei Jahre würde regeln können und auch nicht mit jährlichen Defizitzielen, die innerhalb dessen liegen, was die EU vorschreibt. Italien müsste jetzt vor allen Dingen strukturelle Änderungen machen, sicherlich auch im Rechtssystem, sodass von dort her wieder mehr wirtschaftliche Dynamik kommen kann. Zum Zweiten müsste die öffentliche Investition erhöht werden, um auch der italienischen Wirtschaft wieder Schwung zu verleihen, um Wachstum zu erzeugen, und in diesem Wachstumsprozess, da müsste man natürlich mit Steuereinnahmen auch dafür sorgen, dass das Defizit dann wieder heruntergeht.
"Es ist gut, dass Italien eine Grundsicherung beschließt"
Zurheide: Das sind allerdings nicht die Brüsseler Rezepte, oder fangen wir an, das sind erst mal nicht die Rezepte, die die italienische Regierung hat. Da wird, soweit ich das von hier beurteilen kann, Geld ausgegeben, das man nicht hat, aber eher für konsumptive Zwecke. Ist das komplett falsch, denn eine soziale Sicherung, die es bisher nicht gab, die musste man vermutlich einführen, oder wie sehen Sie das?
Horn: Ja, es ist durchaus differenziert zu beurteilen, was die italienische Regierung vorhat. Zwar sind die Ausgaben im Wesentlichen konsumptiv, aber nicht alles ist deshalb schlecht. Zum Beispiel eine Grundsicherung einzuführen halte ich für sehr wesentlich. Das war zum Beispiel auch ein Problem in Griechenland, wo es das auch nicht gab und die Menschen sich in die Rente geflüchtet haben, was dort dann zu erheblichen Belastungen führte. Insofern ist es gut, dass Italien eine Grundsicherung beschließt. Das stabilisiert auch die Lage von vielen Menschen, und es gibt ihnen auch Geld an die Hand, das sie ausgeben können, und das wiederum kommt auch der italienischen Wirtschaft zugute. Alle anderen, eher Subventionstatbestände oder auch Steuersenkungen, die halte ich in der Tat für falsch und überflüssig. Hier müsste in der Tat die italienische Regierung etwas zurückstecken, und die EU müsste sich etwas mehr in Geduld wappnen, was das Defizit angeht.
"Politisch ist dieser Konflikt sehr destruktiv"
Zurheide: Damit sind wir genau beim Thema: Die Europäische Union sagt nun, diese Schulden, das geht nicht, und dann sagt die Regierung, ja, beim Volk machen wir die Europäische Union zum Buhmann. Damit sind wir in diesem furchtbaren Kreislauf, wo Populisten am Ende ihre Verantwortung abschieben können, oder?
Horn: Das ist leider wahr. Politisch ist dieser Konflikt sehr destruktiv und wird am Ende dazu führen, dass Italien am Boden liegt, aber auch die EU. Insofern ist dringend geboten, hier konstruktiv vorzugehen und den Italienern auch Möglichkeiten aufzuzeigen, ohne Rezession, ohne dass man soziale Härten verursacht, aus dieser Situation herauszukommen. Dazu gehört, wie gesagt, etwas mehr Geduld beim Defizitabbau und bei den Italienern wiederum auch die hartnäckige Bereitschaft, dieses Defizit wirklich auf Dauer abzubauen. Es gibt auch keine akute Krise um Italien, um das mal festzuhalten. Die Zinsen sind noch weiterhin niedrig, die Schuldenlast kann bedient werden, sie belastet den italienischen Haushalt sehr stark, aber sie kann bedient werden, und Italien hat auch einen Leistungsbilanzüberschuss, sodass die Auslandsverschuldung nicht steigt. Es ist primär eine binnenwirtschaftliche Verschuldung, und das heißt, dieser Zustand ist durchaus noch durchhaltbar.
"Es gibt keine akute Finanzkrise"
Zurheide: Wobei auf der anderen Seite die italienischen Zinsen natürlich deutlich über dem liegen, fast drei Prozentpunkte, und das ist eine ganze Menge über dem, was sonst in Europa so üblich ist. Wir in Deutschland können uns verschulden und bekommen sogar noch Geld. Also da sind, glaube ich, die drei Prozent Zinsen natürlich schon eine Hausnummer, oder?
Horn: Das ist richtig. Sie müssen höhere Zinsen zahlen als wir, aber sie müssen nicht so hohe Zinsen zahlen, dass Sie Ihre Schulden nicht mehr bedienen könnten, und das ist das Entscheidende, ob es eine Finanzkrise gibt oder nicht, und es gibt keine akute Finanzkrise. Wenn man aber Italien in die Rezession drückt durch harte Sparmaßnahmen, wenn darunter dann auch die Europäische Union leidet, dann in der Tat kann sich das schnell zu einer Krise entwickeln. Insofern rate ich hier doch zur Vorsicht, Geduld und Hartnäckigkeit.
Zurheide: Auf der anderen Seite – jetzt muss ich dagegenhalten – ist natürlich das, was Salvini vor allen Dingen betreibt, aber auch Di Maio, nicht unbedingt geeignet, Vertrauen zu schaffen. Da hat man eher das Gefühl, dass die den Finger in die Luft halten, ihre Versprechen abgeben, und andere sollen es bezahlen. Das ist jetzt, zugegeben, auch eine populistische Zuspitzung. Ist die zu scharf?
Horn: Die ist zu scharf. Natürlich nutzen Populisten eine solche Situation gnadenlos aus und machen die EU zum Sündenbock. Dabei muss natürlich Italien sehr wohl vor der eigenen Haustür kehren, und diese hohe Schuldenbelastung des italienischen Haushalts ist ja auch für die Italiener schlecht. Sie könnten sehr viel mehr Geld für sinnvolle Sachen ausgeben, Verbesserung des Bildungssystems, mehr öffentliche Investitionen, wenn sie nicht diesen hohen Stand an Altschulden zu bedienen hätten. Das muss auch in Italien klar sein, dass das Interesse eigentlich darauf gerichtet ist, diesen Schuldenberg zu verringern.
"Von einem Schuldenschnitt kann ich nur dringend abraten"
Zurheide: Nun sagen manche deutsche Ökonomen, wir müssen über sowas wie einen Schuldenschnitt für Italien nachdenken. Das sehen Sie nicht?
Horn: Davor kann ich nur dringend abraten, denn es gibt einen Tag nach dem Schuldenschnitt. Dann ist man zwar seine Schulden los, ist aber nicht mehr kreditwürdig, weil natürlich jeder Anleger italienische Anleihen meidet, weil man ja einen Schuldenschnitt erfahren kann. Besser ist es, man wächst langsam, aber stetig aus diesen Schulden heraus. Das ist sozial weniger schädlich und auch sicherlich nachhaltiger als ein Schuldenschnitt, wo dann die Anleger befürchten, der nächste Schuldenschnitt kommt bestimmt.
Zurheide: Allerdings, die Währungsunion, ist sie gefährdet? Sie sind da eher skeptischer oder zurückhaltender. Wir haben diese Woche noch Herrn Fuest bei uns gehabt vom IFO-Institut, der war da deutlich skeptischer als Sie. Was sieht der vielleicht nicht richtig aus Ihrer Sicht?
Horn: Er sieht, glaube ich, die Gefahr von Schulden viel zu hoch, zumindest die akute Gefahr viel zu hoch. Ich sehe keine große akute Gefahr dieses Schuldenstandes. Ich sehe aber hohe Belastungen der italienischen Wirtschaft und der italienischen Regierung, und man sollte in der Tat einiges tun, um diesen Schuldenberg zu verringern, aber wir sollten jetzt auch nicht in Panik verfallen.
Sparpolitik gegenüber Griechenland sei gescheitert
Zurheide: Also was sehen wir denn in Europa im Moment? Das würde natürlich bedeuten, dass wir die politische Grundausrichtung, die wirtschaftspolitische Grundausrichtung ein Stück weit verändern, wenn man das tut, was Sie sagen. In den bisherigen Krisen ist man nicht so vorgegangen, oder reicht es, dass Herr Schäuble nicht mehr am Schalthebel der Finanzen sitzt? Haben Sie da mehr Zutrauen in Herrn Scholz?
Horn: Ich habe sicherlich in der Hinsicht mehr Zutrauen in Herrn Scholz, aber Herr Scholz ist nicht der einzige Finanzminister in der EU. Es gibt andere, die tatsächlich an einer Politik festhalten, die ja schon in Griechenland gescheitert ist. Die Erfahrungen aus der griechischen Krise sind doch evident und auch in der akademischen Literatur und sehr hart verankert. Es geht nicht, dass man mit einem harten Sparkurs glaubt, die Defizite und den Schuldenstand zu verringern. Das hat in Griechenland nicht geklappt, und man hat hohe soziale Härten dort verursacht. Man sollte dieses nicht am Beispiel Italiens wiederholen, denn die Folgen der EU wären weitaus dramatischer als bei Griechenland. Das könnte dann in der Tat die gesamte Währungsunion und die EU gefährden.
"Den Menschen zu erklären, dass der Italiener nicht per se faul ist"
Zurheide: Auf der anderen Seite müsste man dann der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, dass so etwas eben anders funktionieren kann, sonst haben wir den Populismus hier in Deutschland, weil es da natürlich heißt, die Italiener machen Schulden, und wir müssen es bezahlen. Das ist ja immer die Kurzfassung.
Horn: Ja, wir haben eigentlich auch eine harte ökonomische Schuldenlast abzutragen, nämlich die Schuldenlast, dass wir falsche wirtschaftspolitische Konzepte bei der Währungskrise in 2008, 2009 vertreten haben. Hier gilt es in der Tat, auch politisch kommunikativ tätig zu werden und den Menschen zu erklären, dass der Italiener nicht per se faul ist und die italienische Regierung nicht per se Schulden liebt, sondern wir müssen dort wirklich etwas rationaler herangehen und vorurteilsfreier und die Konnotation mit Vorurteilen mehr meiden als dies in der Vergangenheit der Fall war.
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