Christoph Heinemann: Die Preise fallen. Erstmals seit mehr als fünf Jahren sind die Lebenshaltungskosten in der Eurozone wieder gesunken. Im Dezember insgesamt um 0,2 Prozent. Der Ölpreis drückt nach unten. Schon Kurt Tucholsky übrigens, der morgen vor 125 Jahren geboren wurde, wusste: Die Menschen können glücklich sein, aber nie zufrieden. Anstatt sich über die niedrigen Preise zu freuen, warnen Fachleute jetzt vor einer Deflation, die auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnte. Denn die Kunden könnten sagen, wir kaufen nicht mehr ein, sondern wir hoffen und warten, dass alles noch billiger wird. - Wir wollen darüber sprechen mit Professor Heribert Dieter, Wirtschaftswissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen.
Heribert Dieter: Schönen guten Morgen.
Heinemann: Herr Professor Dieter, beginnen wir an der Quelle. Wie politisch ist dieser niedrige Ölpreis?
Dieter: Nun, die Vermutung liegt nahe, dass es ein politischer Preis ist. Aber wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man fest, dass es schon immer sehr starke Schwankungen beim Rohölpreis gegeben hat. Der Rohölpreis lag vor 15 Jahren bei zehn Dollar pro Barrel, heute sind wir bei 50, das ist immer noch deutlich mehr. Der sinkende Ölpreis ist auch zu sehen in einem Kontext allgemein sinkender Rohstoffpreise. Das betrifft jetzt nicht nur Öl, es betrifft auch Kohle, es betrifft Eisenerz, es betrifft Kupfer. Also ich glaube nicht, dass es ein politischer Preis ist.
"Eine ganz normale Entwicklung"
Heinemann: Aber wir haben doch über Jahre genau das Gegenteil gehört.
Dieter: Ja, man hat über Jahre hinweg gehört, dass sich die Welt geändert haben soll und dass es jetzt einen Rohstoff-Superzyklus gibt. Aber wie das so ist bei Rohstoffpreisen: Wenn die Preise hoch sind, dann steigt das Angebot. Es kommen neue Ölquellen insbesondere in Amerika an den Markt, es werden neue Mienen erschlossen und bei dem steigenden Angebot sinkt dann der Preis, und genau das erleben wir jetzt. Das ist eine ganz normale Entwicklung, die ist für uns sehr positiv. Wir zahlen weniger, die Industrieländer zahlen weniger für ihre Rohstoffimporte, eben nicht nur für Öl, und das ist ein Konjunkturprogramm, über das wir uns einfach freuen sollten.
Heinemann: Der Ölpreis drückt die Lebenshaltungskosten. Mit welchen Mitteln kann die Europäische Zentralbank die Preisentwicklung steuern?
Dieter: Die Europäische Zentralbank ist gegenwärtig geneigt, in ein Programm einzusteigen, was von vielen Fachleuten kritisch gesehen wird, und sie begründet das mit den fallenden Preisen. Aber man muss auch hier genauer hinschauen. Die Kerninflation in der Euro-Zone ist nicht gefallen, sondern gestiegen um 0,8 Prozent. Das ist auch wiederum ein sehr schönes Ergebnis, mehr oder weniger stabile Preise. Der Preisrückgang ist zurückzuführen auf Lebensmittel und eben auf Energierohstoffe, und das ist wiederum unproblematisch. Die EZB sollte diese temporären Rückgänge bei Energiepreisen einfach ignorieren; tut sie aber nicht, weil sie ein Interesse daran hat, in den Ankauf von Staatsanleihen einzusteigen. Da wiederum sagt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, also die Zentralbank der Zentralbanken, dass das ein hoch risikobehaftetes Programm ist, und die Bundesbank hat ja auch vor diesem Politikwechsel immer wieder gemahnt, und die EZB sollte nicht die Deflation, diese kurzfristige Deflation als Begründung für den Einstieg in ein gewagtes Programm nutzen.
Heinemann: Warum ist der Aufkauf von Staatsanleihen so gewagt oder so risikoreich?
Dieter: Er ist so gewagt, weil er nicht die Probleme löst, die damit eigentlich gelöst werden sollen. Die schwachen Investitionen in Italien, wenn man mal ein großes Land nimmt, das in Schwierigkeiten ist, die werden nicht gelöst durch billige Geldpolitik. Unternehmen investieren nicht in Italien und daran wird auch der Aufkauf von italienischen Staatsanleihen nichts ändern. Das heißt, es gibt möglicherweise eine Verschiebung der Anpassung dadurch, dass der italienische Staat sich sehr preiswert verschulden kann, aber es gibt keine Lösung des Problems, und das ist ein zentrales Risiko, auf das die EZB keine Antwort hat.
EZB sollte gelassen bleiben
Heinemann: Was sollte die EZB jetzt tun?
Dieter: Die EZB sollte gelassen die weitere Entwicklung beobachten. Sie sollte nicht in ein Programm einsteigen, was gefährlich ist, wie bereits erwähnt. Die EZB ist bereits sehr aktiv an den Märkten und hat in den vergangenen Jahren auch sehr viel Liquidität in die Märkte gegeben. Wie gesagt, die BIZ sieht hier große Risiken. Das wird sehr kritisch gesehen. Diese Lockerung der Geldpolitik wird von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich kritisch gesehen. Es wäre mehr Gelassenheit bei der EZB angemessen. Zugleich sollte die EZB ihre eigene Politik einmal überdenken. Sie macht ja eine widersprüchliche Politik. Einerseits fordert sie die Banken auf, ihre Risiken zu minimieren, und andererseits fordert sie die Banken auf, mehr Kredite zu vergeben. Das passt beides nicht zusammen. Insofern ist es hier an der EZB, sich Gedanken zu machen über die Nachhaltigkeit der eigenen Politik. Ein Stück weit ist es so, dass die EZB zum Getriebenen ihrer eigenen Ankündigung geworden ist. Sie hat den Eindruck vermittelt, sie könnte die Probleme von Krisenstaaten lösen, und das kann sie nicht.
Heinemann: Gekniffen sind zurzeit die Sparer. Was raten Sie der schwäbischen Hausfrau?
Dieter: Die schwäbische Hausfrau sollte auch hier sich ähnlich verhalten wie die EZB. Es gibt momentan keine besonders attraktiven Anlagen. Wenn überhaupt, dann Aktien, und das gilt seit vielen Jahren. Anleihen sind problematisch, weil irgendwann das Zinsniveau steigen wird und damit diejenigen, die lange laufende Anleihen halten, Verluste hinnehmen müssen. Im Übrigen ist bei Abwesenheit von Inflation es auch kein Problem, einmal auf Zinsen über einen gewissen Zeitraum hinweg zu verzichten.
Heinemann: Professor Heribert Dieter, Wirtschaftswissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Dieter: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
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