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Deichbau
Hochwasserschutz wird teurer

Die Deiche an der norddeutschen Küste müssen höher und breiter werden, damit sie Starkregen und Hochwasser auch in Zeiten des Klimawandels standhalten. Das erfordert viel Geld und gute Planung - auch um das nötige Baumaterial zu bekommen.

Von Dietrich Mohaupt |
Schafe auf einem Deich bei Husum.
Norddeutschlands Deiche gegen Sturmfluten abzusichern, wird immer schwieriger (imago/Westend61)
Meint Hensmann ist Oberdeichrichter der Rheider Deichacht an der Ems. Er steht auf dem Deich am Ostufer des Dollart, gegenüber liegt die Stadt Emden. Das Deichvorland hier diente schon einmal als Rohstofflieferant für Küstenschutzmaßnahmen.
"Diese Vordeich-Ländereien, hier vorne sieht man da die Wasserfläche - wir hatten jetzt die letzten Tage ein paarmal Hochwasser, das heißt, sie sind jetzt unter Wasser - aus der Fläche hat man vor 20 Jahren den Klei entnommen für den Sperrwerksdeich. Und nach 20 Jahren hat dieses Loch sich wieder verfüllt mit Schlick."
Baumaterial aus Vogelschutzgebieten?
Der Klimawandel bringt neue Herausforderungen für den Küstenschutz mit sich: Steigender Meeresspiegel, stärkere Stürme. Experten gehen davon aus, dass die Deiche künftig noch höher, aber auch wesentlich breiter sein müssen. Das erfordert Unmengen von Baumaterial – zum Beispiel eben Klei für die obere Deckschicht der Deiche. Für die Zukunft müsse sichergestellt werden, dass dieses Material bei Bedarf auch zur Verfügung stehe.
"Das heißt, wenn wir vor dem Hintergrund Klimaveränderung und Meeresspiegelanstieg Klei brauchen, dann muss es in Vogelschutzgebieten, im Nationalpark Ausnahmen geben, die kurzerhand mit der Regierung, mit den Deichverbänden und den Landkreisen abgesprochen werden. Die Eingriffe müssen so gestaltet werden, dass wir den Vogelschutz mitnehmen, den Naturschutz mitnehmen und dann können wir wirklich was positives bewirken.
Beim niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies rennt Meint Hensmann damit die sprichwörtlichen offenen Türen ein. Der SPD-Politiker verweist auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC, der einen Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts erwartet – falls es gelingt, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen! Da aber derzeit die Welt auf eine Erwärmung um drei bis vier Grad zusteuert, rechnen die Experten eher mit einem Anstieg um knapp einen Meter. Diese Zahlen müsse man vor Augen haben, betont Olaf Lies, und auch akzeptieren, dass die aktuell eingeplanten 60 Millionen Euro pro Jahr für Küstenschutz künftig nicht mehr ausreichen werden.
Kosten für Küstenschutz könnten sich fast verdoppeln
"Deswegen ist das, was wir heute mit 60 Millionen haben, mittelfristig auf 100 Millionen aufzustocken. Und da muss man auch sagen: Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe des Bundes – weil, das kann man nicht sagen, dass die Küstenländer, die nicht alleine verantwortlich für den Klimawandel sind, die Folgen die Klimawandels aber alleine tragen sollen. Deswegen muss der Bund da ran und deswegen müssen natürlich am Ende dann logischerweise die anderen Bundesländer genauso mitfinanzieren."
Zu diesen Folgen des Klimawandels gehört außerdem die wachsende Gefahr von sogenannten kombinierten Wetterereignissen, wie zum Beispiel eine Sturmflut und gleichzeitig dauerhafter Starkregen. Das gefährdet zunehmend die bewohnten und bewirtschafteten Flächen direkt hinter den Deichen, die zum Teil zwei bis drei Meter unterhalb des Meeresspiegels liegen. Wenn der weiter ansteigt, werde es immer schwieriger, das Regenwasser aus dem Hinterland heraus zu bekommen. Früher habe man einfach die Tore der sogenannten Siele bei Niedrigwasser geöffnet, um das Wasser ablaufen zu lassen.
Neue Bauverfahren im Test
"Das ist immer mehr eingeschränkt worden dadurch, dass die Flut schneller aufläuft und die Ebbe – die Phase, wo wir das Siel aufmachen können – immer kürzer geworden ist. Und deswegen brauchen wir Schöpfwerke, die intensiv und intelligent pumpen, die sich auch vielleicht dann in Zukunft daran orientieren, wann ist der Strom günstig, Windstrom, wann ist der da und dann können wir pumpen", erläutert Obersielrichter Willem Berlin. Er ist Vorsteher der Sielacht Rheiderland und in dieser Funktion nicht nur für die Pumpwerke und Siele in der Region verantwortlich.
Er verspricht sich auch viel von einem neuen Pilotprojekt. Dabei soll Schlick, der bei der Ausbaggerung der Emsfahrrinne anfällt, auf landwirtschaftlichen Flächen hinter dem Deich ausgebracht werden – naturverträglich, in dünnen Schichten immer wieder, Jahr für Jahr. Ziel sei dabei nicht, den Niveauunterschied zum Deichvorland vollständig auszugleichen.
"Wir wollen einfach nur mithalten, wenn der Meeresspiegel ansteigt. Das Problem, dass wir unter dem Meeresspiegel liegen, haben wir ja schon seit ewigen Zeiten. Deswegen haben wir die Deiche und deswegen haben wir die Siele, die das Regenwasser auch wieder rauspumpen. Das kennen wir und da können wir mit umgehen. Aber wir können nicht damit umgehen, dass die Spirale immer weiter auseinandergeht."
Rund 200.000 bis 300.000 Euro soll das gemeinsam mit Experten aus den Niederlanden entwickelte Projekt kosten – allein in der ersten Phase, die voraussichtlich im kommenden Frühjahr beginnen soll.