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Déjà Vu im Stützpunkt

Medizin. - Einige amerikanische Forscher erleben derzeit ein kleines Déjà Vu. Denn ein Schweinegrippe-Virus hat die USA schon einmal in Atem gehalten – vor mehr als 30 Jahren brach ein H1N1-Virus in einem Militärcamp aus. Der damalige Präsident Gerald Ford rief daraufhin ein Nationales Influenza-Impfprogramm ins Leben, mit dem Ziel, die ganze Bevölkerung gegen das Virus zu immunisieren.

Von Marieke Degen |
    "Ich war der Leiter der Virologie an den Centers for Disease Control in Atlanta. Wir waren damals natürlich die ersten, die die Schweinegrippe diagnostiziert haben."

    Im Februar 1976 untersucht Walter Dowdle Abstriche aus dem Rachen von Soldaten. Im Militärcamp Fort Dix, New Jersey, wütet die Grippe. Etliche Soldaten sind schwer erkrankt, einer ist sogar gestorben. Die meisten Soldaten hat die normale saisonale Influenza erwischt. Doch im Rachenabstrich des Toten entdeckt Dowdle ein bislang unbekanntes Virus: Einen H1N1-Stamm, der eigentlich nur Schweine befällt. Woher das Virus kommt, ist unklar. Keiner der Soldaten hatte mit Schweinen Kontakt. Trotzdem haben sich 230 Rekruten infiziert. Das Virus überträgt sich also von Mensch zu Mensch. Und was die Forscher besonders beunruhigt: Es hat Ähnlichkeiten mit dem Erreger der Spanischen Grippe von 1918, der Hunderttausende Amerikaner zum Opfer gefallen sind.

    "Damals, 1976, standen wir vor ähnlichen Problemen wie die Grippeexperten heute. Wir mussten erst einmal schauen, wie weit sich das Virus verbreitet hatte, wie weit es sich noch ausbreiten konnte. Ob es möglich war, einen Impfstoff herzustellen, und wenn ja, wer sollte als erstes geimpft werden, und so weiter. Da müssen ziemlich viele Entscheidungen getroffen werden. 1976 war die Situation natürlich eine ganz andere als heute, wir hatten das Virus nämlich nur in Fort Dix nachweisen können. Es war zwar klar, dass wir eine Impfung entwickeln wollten. Die große Frage aber war: sollten wir die gesamte Bevölkerung impfen, obwohl sich das Virus noch nicht verbreitet hatte? Und damals haben sich die Behörden dafür entschieden."

    Die US-Regierung will schneller sein als das Virus. In Windeseile lässt die Regierung einen Impfstoff entwickeln und in großen Mengen herstellen. In Studien scheint die Vakzine wirksam und sicher zu sein. Im Spätsommer beginnt die Massenimpfung, doch auf die Euphorie der Politiker folgt schnell Ernüchterung. Die Impfung hat bei 240 Patienten zu schweren Nebenwirkungen geführt: Sie sind zeitweise gelähmt. Bei den meisten bilden sich die Lähmungserscheinungen wieder zurück, doch 25 Menschen sterben. Dowdle:

    "Bei einer Impfung muss man immer Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Es waren 200 Menschen von den Lähmungen betroffen - von 45 Millionen. Wenn eine Grippewelle droht, die viele Menschen das Leben kosten könnte, dann scheint der Nutzen der Impfung immer noch größer zu sein als das Risiko."

    Die Pandemie allerdings, die kommt nicht. Im Dezember 1976, nachdem 45 Millionen Menschen geimpft worden sind, wird das Programm abgebrochen. Das Virus hat es offenbar nicht erst aus dem Camp herausgeschafft. Dowdle:

    "Das lag wohl an den biologischen Eigenschaften des Virus. Wahrscheinlich war es einfach nicht in der Lage, schnell von Mensch zu Mensch zu springen. Das Schweinegrippe-Virus aus Mexiko kann das jetzt."

    Nicht nur Grippe-Experten haben aus der vermeintlichen Schweinegrippe-Pandemie von 1976 ihre Lehren gezogen, auch die Weltgesundheitsorganisation. Die WHO hat hat im Laufe der Jahre ihr sechsstufiges Pandemie-Warnsystem entwickelt. Walter Dowdle:

    "Wir können heute die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie besser einschätzen. Wir erkennen, ob und wann es sich tatsächlich um eine Pandemie handelt."