Vrijheidspark heißt die kleine Grünanlage im Zentrum der südniederländischen Stadt Tilburg. Freiheitspark. Hier stehen Denkmäler für die Opfer des zweiten Weltkriegs und des indonesischen Unabhängigkeitskrieges. Und hier gedenkt die Stadt Tilburg seit 2018 jedes Jahr am 1. Juli der Abschaffung der Sklaverei 1863. Deshalb wird der Freiheitspark schon im nächsten Jahr ein drittes Denkmal bekommen - für die Opfer des Sklavenhandels, erzählt Kenneth Stam.
Der 32-jährige Jurist ist Mitinitiator von Gedenkfeier und Denkmal - und Mitglied der Stiftung "Geteilte Vergangenheit – gemeinsame Zukunft". Ihre Ziele: Durch Dialog und Aufklärung für mehr Verständnis sorgen - und auf diese Weise Rassismus und Diskrimierung bekämpfen, erklärt Kenneth Stam:
"Immer mehr Städte gedenken so wie Amsterdam und Rotterdam der Abschaffung der Sklaverei. Nun auch Tilburg. Das ist wichtig. Es geht darum, einen Bewusstwerdungsprozess in Gang zu setzen. Die niederländische Gesellschaft muss erkennen und akzeptieren, dass die Zeit der Sklaverei zu ihrer Geschichte gehört, auch wenn dieses Kapitel noch so düster ist. Wir müssen uns damit auseinandersetzen."
Kenneths Vorfahren waren versklavt
Viele Niederländer haben Vorfahren, die als Sklaven ausgebeutet wurden. Auch in Tilburg: Rund 10.000 der 200.000 Einwohner haben Wurzeln in der ehemaligen Kolonie Surinam, auf Aruba oder den niederländischen Antillen. So wie Kenneth: Seine Mutter ist Niederländerin, sein Vater stammte aus Surinam:
"Vor fünf Jahren habe ich herausgefunden, dass auch die Vorfahren meines Vaters versklavt waren und auf einer Zuckerrohrplantage arbeiten mussten. Diese Entdeckung hat mich ziemlich schockiert. Wenn ich mir vorstelle, in welch großer Freiheit ich 150 Jahre später lebe! Was für ein Unterschied!"
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Erinnern. Verändern. Dekolonisierung in Europa".
Aufarbeitung hat begonnen
Die Diskussion über die koloniale Vergangenheit der Niederländer ist in den letzten Jahren zunehmend in Gang gekommen. So plant das Amsterdamer Reichsmuseum im Herbst eine große Ausstellung über die Sklavenzeit. In Kürze soll mit dem Bau eines nationalen Sklavereimuseums begonnen werden. Und das historische Museum von Amsterdam hat angekündigt, das 17. Jahrhundert - das Jahrhundert der Eroberungen, in dem Handel, Künste und Wissenschaften blühten, nicht mehr als "Goldenes Zeitalter" zu bezeichnen. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge, aber, so Kenneth:
"Das war ein mutiger und ein guter Schritt, das wird die Debatte weiter vorantreiben. Glaubt man den Geschichtsbüchern, ging es um ein fantastisches, eben ein Goldenes Jahrhundert. Die Sklaverei wird darin, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt – dabei hätte das Goldene Zeitalter ohne Sklavenarbeit nicht stattfinden können! Aber nun wird immer bekannter, welche Verbrechen damals stattgefunden haben. Die Niederländer fangen an, dies als Teil ihrer Geschichte zu akzeptieren – und genau diese Erkenntnis brauchen wir, um in Zukunft besser miteinander umgehen zu können."
Besser – das bedeutet auf Augenhöhe, mit Respekt. Ohne Diskrimierungen und Rassismus. Den gebe es nach wie vor, oft unterschwellig. So wie bei jenem Vorstellungsgespräch, als über sein Aussehen gestaunt wurde. "Meinem Namen sieht man die Hautfarbe ja nicht an", so Kenneth."‚Oh, wir haben einen niederländischen Jungen erwartet!’, hieß es. ‚Aber ich bin doch ein niederländischer Junge!’, reagierte ich. ‚Ich bin hier geboren und aufgewachsen!’ Viele Menschen merken überhaupt nicht, dass sie rassistisch sind. Man kann es ihnen noch nicht einmal übel nehmen, man muss es ihnen erst bewusst machen. Aber weh tut es schon!"
Menschen als Rassisten auszuschimpfen, "hilft nichts"
Er müsse sich einfach in Geduld üben, seufzt Kenneth auf dem Nachhauseweg. Das brauche eben alles seine Zeit.
Manchmal denkt er an seine Mutter: Was habe die sich in den 1980er-Jahren alles anhören müssen, als sie als weizenblonde Holländerin einen dunkelhäutigen Mann aus Surinam heiratete!
Auch Kenneth ist mit einer weißen Niederländerin verheiratet. Aber abfällige Bemerkungen hätten sie sich noch nie anhören müssen, sagt Ehefrau Dominique.
"Vielleicht hinter unserem Rücken", meint sie und sieht belustigt zu, wie Jonah, ihr zweijähriger Sohn, der Katze hinterherläuft.
Die 29-jährige Fotografin findet es gut, dass die Diskussion über die koloniale Vergangenheit an Fahrt aufnimmt und ihr Mann aktiv dazu beitragen will. Aber, betont sie:
"Ich finde es schade, dass in dieser Diskussion Menschen schnell als Rassisten ausgeschimpft werden. Da müssen wir aufpassen. Denn das hilft überhaupt nichts. Man muss es ihnen erklären, wieder und wieder, und dafür ein Bewusstsein schaffen. Wenn man jemanden als Rassisten ausschimpft, macht man ihn nur böse und erreicht das Gegenteil."
Man wird nicht als Sklave geboren
Dieses Bewusstsein ließe sich oft über kleine Dinge schaffen: So etwa gehören Kenneth und Dominique zu den Niederländern, die das Wort "Sklave" nicht mehr benutzen. Sie sprechen nur noch von "Versklavten". Um den Prozess der Unterdrückung deutlicher zu machen. Weil niemand als Sklave geboren, sondern zum Sklaven gemacht werde.
Versklavt. Für Kenneth ist das ein kleiner aber wichtiger Unterschied.
Sobald Sohn Jonah größer ist, wollen Kenneth und Dominique ihn mitnehmen auf eine Reise durch Surinam, das Land von Kenneths Vorfahren:
"Das ist wichtig. Auch mein Sohn muss wissen, wo seine Wurzeln liegen, und sie kennenlernen."
"Das ist wichtig. Auch mein Sohn muss wissen, wo seine Wurzeln liegen, und sie kennenlernen."