Archiv

Dekolonisierung in Frankreich
Klischees und Comedy

Franzosen mit afrikanischen Wurzeln erobern sich die Aufmerksamkeit des Pariser Publikums. Sie treten im Barbès Comedy Club auf. Ihre Herkunft aus den früheren Kolonien und ihre Alltags-Erfahrungen in Frankreich ergeben häufig komische Kontraste.

Von Stephanie Lob |
Bildnummer: 10103240 Datum: 08.03.2012 Copyright: imago/PanoramiC Shirley Souagnon - Konferenz Frauen in den Mittelpunkt - Paris - 08/03/2012 xGwendolineLeGoffx PUBLICATIONxNOTxINxFRAxITAxBEL; Basketball FRA Damen Shooting privat x1x xkg 2012 quer Image number 10103240 date 08 03 2012 Copyright imago Panoramic Shirley Conference Women in the Focus Paris 08 03 2012 xGwendolineLeGoffx PUBLICATIONxNOTxINxFRAxITAxBEL Basketball FRA women Shooting Private x1x xkg 2012 horizontal
Shirley Souagnon, 33, hat im Oktober den Barbès Comedy Club aufgemacht (imago / Gwendoline LeGoff)
Samstagabend im Pariser ‚Quartier Barbès‘, in der Nähe des Touristenviertels Montmartre. Die Show des Barbès Comedy Club ist ausverkauft: Rund 60 Gäste drängen sich in dem kleinen blauen Saal um runde Tische. Nicht alle haben einen Sitzplatz ergattert.
Auf der Bühne steht Shirley Souagnon: Kapuzenshirt, Rastalocken, Vater aus der Elfenbeinküste, Mutter Französin. Sie ist 33 und hat den Club im Oktober gegründet. Viele im Publikum kennen sie aus Fernsehen und Radio.
"Vor kurzem hat mich einer gefragt: Warum bildet Ihr Araber oder Schwarzen eigentlich immer Parallelgesellschaften? Wir Weißen kennen so was nicht, wir haben keine Ghettos. Darauf sage ich: Was für ein Witz. ‚Wir Weißen‘, das ist doch ein total ghettoisierender Ausdruck."
Viele Comedians haben afrikanische Wurzeln
Barbès: Ein Einwanderer-Ghetto, für die einen ein Pariser Schandfleck, wo Drogenhandel und Prostitution blühen. "In Barbès hört die Kriminalität einfach nicht auf", titelte kürzlich die Zeitung "Le Parisien". In den Straßen reihen sich Geschäfte mit bunter afrikanischer Mode an Halal-Metzgereien, viele der Bewohner sind nach dem Ende der französischen Kolonialzeit in den 1960er-Jahren hierhin gezogen.
Shirley Souagnon in ihrem Barbès Comedy Club
Shirley Souagnon in ihrem Club (Deutschlandradio / Stephanie Lob)
Dazu Shirley Souagnon: "Ich mag dieses Viertel: Oft kann man an Orten, vor denen viele Angst haben, auch viel lernen. Hier triffst du Deutsche, Engländer und Spanier oder Leute aus Mali und dem Senegal. Für sie machen wir hier Stand Up Comedy in mehreren Sprachen: Auf Französisch, aber auch auf Englisch und Arabisch. Wir hätten den Club deshalb genauso gut Melting Pot Club nennen können."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Erinnern. Verändern. Dekolonisierung in Europa".
Seit einigen Jahren ziehen viele junge Franzosen nach Barbès, hier sind die Mieten noch günstig. Neue Bars und Cafés sind entstanden. Mit ihrem Club zieht Shirley Souagnon genau dieses Publikum an. Aber sie will auch sagen: Wir mit unseren afrikanischen und arabischen Wurzeln lassen uns nicht vertreiben. Deshalb treten im Barbès Comedy Club viele Comedians auf, die aus den früheren Kolonien stammen. Wie etwa der Algerier Wary Nichen:
"Hallo Barbès, alles klar? Ich bin Wary Nichen. Ich bin ein Nomade. Man könnte sagen, ich gehöre zum fahrenden Volk, aber ich nehme das Flugzeug. Deshalb habe ich deutlich mehr Meilen."
Wary Nichen ist 37 und stammt aus der algerischen Hafenstadt Oran. Bis vor wenigen Jahren hat er als Telekom-Ingenieur Karriere gemacht, wie er nach seiner Show in der gut gefüllten Bar des Clubs erzählt. Seine Arbeit führte ihn nach Nordamerika, Frankreich und auch nach Deutschland, wo er für Siemens Projekte machte. "À Hildesheim en Allemagne"
Erfahrungen als Algerier und als Weltbürger
In Kanada entdeckte Wary Nichen die Stand Up Comedy für sich. Sein Thema ist seine Herkunft aus einer früheren Kolonie in Afrika – und seine Erfahrungen als Weltbürger. Daraus ergeben sich häufig komische Kontraste, sagt er.
"Als ich in Frankreich angekommen bin und gesagt habe, ich bin Algerier, waren die Leute erstaunt: Ah, das hätte ich nicht gedacht, sagten viele. Denn ich entspreche nicht dem negativen Bild, das die meisten von einem Algerier haben. Dieser Kontrast zwischen ihren Erwartungen und der Realität bringt die Leute zum Lachen."
Rückständigkeit, Islamismus und Terrorismus: Das seien die Dinge, die vielen Franzosen zu Algerien einfielen, erzählt Wary Nichen. Klischees, die er für seine Shows benutzt. "Darf man über Islamismus lachen?", fragt er etwa. "Ja, aber nur, wenn du danach konvertierst."
Der algerischstämmige Comedian Wary Nichen bei einem Auftritt im Barbès Comedy Club
Wary Nichen bringtauch schon mal Vergleiche, bei denen einem das Lachen vergeht (Deutschlandradio / Stephanie Lob)
"Ich gehöre zu einer Generation, die das schwarze Jahrzehnt des algerischen Bürgerkriegs von 1991 bis 2002 erlebt hat. Im Fernsehen ging es jeden Tag um Terrorismus. Wir haben Witze gemacht, um das zu entschärfen."
Den Algerienkrieg und die Unabhängigkeit seines Landes 1962 kennt Wary Nichen nur aus dem Geschichtsbuch. So wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinen gerade mal 42 Jahren. Macron hat schon im Wahlkampf 2017 Algerien bereist und einen umstrittenen Satz gesagt:
"Es ist unzulässig, die Kolonisierung zu glorifizieren. Sie war ein Verbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie war eine echte Barbarei, und wir müssen die Betroffenen dafür um Entschuldigung bitten."
"Wir verstehen nicht, warum es so schwer ist, Fehler einzuräumen"
Konservative und Rechtspopulisten warfen Macron daraufhin vor, er äußere sich verächtlich über die französische Geschichte. Wary Nichen sagt, nur wenige Algerier teilten diese Kritik an Macron. Er versteht aber auch nicht, warum dieser nach seiner Wahl zum Staatschef seine scharfen Worte zur Kolonialgeschichte nicht wiederholte.
"Wir als junge Generation verstehen einfach nicht, warum es so schwer ist, Fehler einzuräumen. Wenn Frankreich sagen würde, es hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeben, und dann Entschädigung zahlen müsste, dann könnte man das noch nachvollziehen. Aber warum sagt man nicht einfach, es gab Grausamkeiten, das ist historisch erwiesen?"
Zur Kolonisierung hat der Comedian Wary Nichen eine klare Haltung, und die packt er in bitterbösen Humor:
"Das Schlimmste ist, wenn Leute sagen, die Kolonisierung hatte auch positive Seiten. Dazu habe ich einen Sketch in meinem Programm. Ich ziehe einen schockierenden Vergleich, aber das ist gewollt. Ich sage: Das ist so, als würde ein Mann behaupten, es gebe Positives an einer Vergewaltigung. So nach dem Motto: "Ich habe dazu romantische Soul-Musik von Barry White aufgelegt, Barry White ist echt gut."
Der Abend im Barbès Comedy Club geht zu Ende. Das Publikum – egal welcher Herkunft - hat viel gelacht. Und es nimmt einiges zum Nachdenken mit nach Hause.