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Delirien im Aufwachraum

Bewusstseinstrübungen sind eine fast alltägliche Komplikation nach einer schweren Operation. Trotzdem werden sie nur selten behandelt. Die Folgen sind fatal: Bei einigen Patienten bleiben kognitive Störungen zurück. Älteren Menschen, die von so einem sogenannten postoperativen Delir betroffen sind, leiden später sogar häufiger an Demenz.

Von Marieke Degen |
    Ein Patient, der völlig verwirrt und orientierungslos aus der Narkose erwacht. Für Ärzte und Pfleger gehört das zum Klinikalltag. Finn Radtke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Charité:

    "Man sieht, er agitiert im Bett, rüttelt an den Bettgittern rum, zieht sich oder möchte sich gern die Schläuche ziehen und neigt dazu, sich eher laut verbal auch zu äußern."

    Fast jeder dritte Patient zwischen 18 und 59 Jahren leidet nach der Operation an Bewusstseinsstörungen. Bei den über 60-Jährigen ist es sogar fast jeder zweite. Zu diesem Ergebnis kam eine große europäische Studie schon vor zehn Jahren. Wie genau solche postoperativen Delirien entstehen, ist aber immer noch nicht ganz klar. Sicher ist, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen. Ein hohes Alter des Patienten etwa, dazu Vorerkrankungen wie Diabetes. Die Dauer und Art der Operation spielen eine Rolle, und ob der Anästhesist die Schmerz- und Narkosemittel richtig dosiert. All das kann den Körper nämlich zusätzlich unter Stress setzen, und dabei können auch Nervenzellen im Gehirn geschädigt werden.

    Die Folge: Ein Teil der Patienten leidet dauerhaft an kognitiven Störungen. Jeder zehnte über 60, und jeder 20. unter 60 Jahren ist betroffen. Claudia Spies, Leiterin der Klinik für Anästhesiologie der Charité:

    "Das heißt, er behält seine kognitive Störung bis drei Monate danach, und er ist weniger arbeitsfähig, er kann kein Buch mehr lesen, er kann sein Auto nicht mehr finden nach dem Supermarkt, er ist nicht so belastbar wie vorher."

    Die Jüngeren könnten im Arbeitsleben nicht mehr bestehen, den Älteren bliebe oft nichts anderes übrig als in ein Pflegeheim zu ziehen. Um das zu verhindern, müssten postoperative Delirien schnell erfasst und die Patienten sofort mit Medikamenten behandelt werden. Die Realität sieht anders aus, sagt Claudia Spies.

    "Es wird in fast keiner Klinik in Deutschland ein Delir-Monitoring durchgeführt im Aufwachraum, und es wird auch in fast keiner Klinik in Deutschland ein kognitives Defizit vor oder nach einer Narkose gemessen. Und das ist meiner Meinung nach eine schwierige Situation, weil man sonst gar nicht erkennen kann, dass der Patient behandlungsbedürftig ist, und ohne frühzeitige Behandlung kommen durch die Botenstoffe dann die Gehirnzellen zu Schaden."

    An der Charité ist das anders. Schon im Aufwachraum gehen die Pfleger eine Art Checkliste durch, um den geistigen Zustand des Patienten abzuschätzen. Redet er wirr? Hat er Halluzinationen? Reißt er an seinen Verbänden oder versucht, aus dem Bett zu steigen?

    "Das ist ein Punktwert, den das ergibt, und wenn der Punktwert überschritten wird, wird der Arzt von der Pflege verständigt, und dann wird der Arzt dann letztendlich überlegen, welche Behandlung sinnvoll ist."

    Die Patienten werden dann mit Neuroleptika behandelt. Das sind Medikamente, die in den Stoffwechsel des Gehirns eingreifen und die Hirnzellen schützen können. An der Charité erhalten besonders gefährdete ältere Patienten von vorneherein Neuroleptika – drei Tage vor bis drei Tage nach der Operation. Auch die Qualität der Operation könne verbessert werden, um das Risiko eines Delirs so gering wie möglich zu halten, sagt Claudia Spies.

    Anästhesisten müssten darauf achten, die Schmerzen und die damit verbundenen Stressreaktionen im Körper zu minimieren. Durch die richtige Dosis von Schmerzmitteln oder durch eine zusätzliche Rückenmarksanästhesie, die verhindert, dass die Schmerzen im Gehirn ankommen. Die Ärzte an der Charité testen die geistigen Fähigkeiten ihrer Patienten zwar auch noch Tage nach dem Eingriff. Trotzdem können ihnen dabei gerade leichte kognitive Störungen durch die Lappen gehen. Nach der Entlassung sind die Ärzte deshalb auf die Familie des Patienten angewiesen.

    "Der Test ist einfach verfügbar, der kann von uns für jeden zur Verfügung gestellt werden, und ich hab zum Beispiel Anfragen gehabt von Angehörigen, die diese Tests selber bei ihren Angehörigen gemacht haben, die gesagt haben: Es stimmt was nicht mehr, und die können auch die Ärzte darauf hinweisen."

    Denn je später kognitive Störungen erkannt werden, desto schwieriger ist es, sie wieder in den Griff zu bekommen.