Die Toskana, ein paar Kilometer südöstlich von Pisa. Henrich Heitmann und Carlo Bradaschia sind in den Keller eines Laborgebäudes gestiegen und blicken nun ins Innere einiger wuchtiger Metallröhren. Die beiden Physiker arbeiten an Virgo, einer Art Riesenantenne. Sie soll eine der skurrilsten Aussagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie bestätigen – dass die Schwerkraft als Welle durch Raum und Zeit eilt. Gravitationswellen: nach ihnen fahnden die Forscher seit Jahrzehnten. Sie wollen Gewissheit – und darüber hinaus einen neuen Zweig der Astronomie begründen.
25. November 1915. Vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften präsentiert Albert Einstein seinen wohl größten Wurf, die Allgemeine Relativitätstheorie. Acht Jahre lang hat er gerungen und geschuftet, manchmal bis zur Erschöpfung. Hat Konzepte geschmiedet und verworfen, Experimente in Gedanken durchgespielt, sich in komplexe Mathematik vertieft. Das Resultat: Ein neues physikalisches Weltbild, verblüffend und revolutionär. Ein neues Bild der Gravitation.
Laut Einstein krümmt eine Masse den Raum und die Zeit um sich herum. Ist die Masse riesig wie bei einem Stern, ist ihre Wirkung so gewaltig, dass merkwürdige Phänomene auftreten: Die Umlaufbahnen von Planeten fangen an zu schlingern. Licht wird von Himmelskörpern abgelenkt oder sogar verschluckt. Alle diese Effekte haben Forscher längst beobachtet. Jetzt fehlen nur noch die Gravitationswellen.
"Die Gravitationswellen sind eine Konsequenz seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Wenn man die Einsteinschen Feldgleichungen löst, fallen Gravitationswellen sozusagen automatisch heraus."
Bewegt sich eine Masse in der Raumzeit, müsste sie winzige Dellen in sie schlagen – ähnlich wie die Wellen in einem Teppich, den man ruckartig schüttelt. Diese Dellen in der Raumzeit sollten mit Lichtgeschwindigkeit durch den Kosmos eilen. Allerdings dürften sie nur winzig sein – Einsteins Berechnungen sagen: unmessbar winzig. Karsten Danzmann vom Albert-Einstein-Institut in Hannover:
"Er hat tatsächlich eine Veröffentlichung geschrieben und eingereicht, in der er versucht hat nachzuweisen, dass die Gravitationswellen nur mathematische Artefakte dieser Lösung seiner Feldgleichungen sind und dass sie nicht im wirklichen Sinne existieren. Sein Papier wurde von Physical Review abgelehnt. Daraufhin war er so erbost, dass er nie wieder in seinem Leben dort irgendetwas veröffentlicht hat."
Zunächst hielt es die Fachwelt mit Einstein: Es schien unmöglich, Gravitationswellen jemals beobachten zu können.
"Es war erst in der 50er-Jahren, dass theoretisch gezeigt wurde, dass Gravitationswellen Energie transportieren und diese Energie auch in einem Detektor deponieren können. Und damit war klar, dass man sie auch würde nachweisen können."
Doch ebenso klar war: Die Bewegung eines Sterns würde nie und nimmer reichen, um messbare Gravitationswellen zu erzeugen. Es müssten schon kosmische Gewaltakte sein: Schwarze Löcher, die mit enormer Wucht kollidieren. Oder eine Supernova, ein explodierender Riesenstern. Nur sie dürften so starke Gravitationswellen erzeugen, dass Detektoren überhaupt eine Chance hätten sie aufzuschnappen. Den ersten Anlauf unternahm in den 60er-Jahren der US-Physiker Joe Weber. Er experimentierte mit metergroßen Zylindern aus Metall.
"Heute wissen wir, dass die Empfindlichkeit dieser Zylinder um viele Zehnerpotenzen zu schlecht war, um Gravitationswellen detektieren zu können."
Die Fachwelt war enttäuscht. Doch dann, in den 70er-Jahren, stießen die US-Astronomen Russell Hulse und Joseph Taylor auf einen indirekten Beweis. Mit einem Radioteleskop hatten sie zwei sich umkreisende Neutronensterne unter die Lupe genommen. Die Forscher stellten fest, dass sich die Neutronensterne immer enger umkreisten – ganz offensichtlich, weil sie Energie verloren. Luciano Rezzolla von der Universität Frankfurt ist sich heute fast sicher:
Gravitationswellen existieren tatsächlich.
"Die Wirkung einer Gravitationswelle lässt sich als Gezeitenkraft beschreiben"
Jetzt wollen die Physiker die winzigen Verzerrungen der Raumzeit direkt nachweisen. Dazu setzen sie auf ein Verfahren, das kleinste Längenänderungen sichtbar machen kann – das Laserinterferometer. Das Prinzip: Zwei Laserstrahlen, die auf unterschiedlichen Wegen laufen, werden überlagert. Dadurch entsteht ein Hell-Dunkel-Muster. Muss nun einer der Laserstrahlen einen weiteren oder kürzeren Weg zurücklegen, verschiebt sich das Muster, und diese Verschiebung lässt sich präzise vermessen. Damit müsste sich eine Gravitationswelle eigentlich aufschnappen lassen – vorausgesetzt, das Interferometer hat die richtigen Maße.
"Die Wirkung einer Gravitationswelle lässt sich als Gezeitenkraft beschreiben. Raum und Zeit werden gequetscht und gedehnt, und zwar proportional zu ihrer Länge. Das heißt, wenn ich eine einen Meter lange Messstrecke habe, ist die Änderung der Länge kleiner, als wenn ich eine Messstrecke habe, die einen Kilometer lang ist. Man braucht kilometergroße Geräte, um gegen die unvermeidlichen Störungen ankämpfen zu können."
Virgo, die Spezialantenne südwestlich von Pisa, ist eines dieser kilometergroßen Geräte. Die Ausmaße sieht man schon im Satellitenbild: Zwei lange, rechtwinklige Arme inmitten von Wiesen und Feldern. Carlo Bradaschia ist nach draußen gegangen, vors Zentralgebäude von Virgo.
"Von hier aus können wir beide Arme sehen: Vor uns der Nordarm – eine blaue Röhre, Durchmesser wie ein U-Bahn-Tunnel. Das Ende sehen Sie da hinten, drei Kilometer entfernt, das würfelförmige blaue Gebäude da. Jetzt drehen wir uns nach links und sehen den Westarm. Der sieht genauso aus."
In den beiden Armen laufen, reflektiert von Spiegeln, Laserstrahlen hin und her. Im Zentralgebäude treffen sie aufeinander.
"This is the heart of Virgo."
Im Gebäude geht Bradaschia die Treppe zu einer Galerie hinauf. Von hier oben hat man den besten Überblick.
"Von hier sieht man mehrere große Vakuumtonnen. Im Betrieb sind sie fast luftleer gepumpt. Insgesamt müssen wir 6.000 Kubikmeter pumpen, dafür haben wir das größte Ultrahochvakuum-System Europas. In den Tonnen sind Spiegel und Optiken eingebaut. Sie lenken die Laserstrahlen in die Arme des Interferometers."
Sprecher: Ein Spezialspiegel teilt den Laserstrahl. Die eine Hälfte läuft den Nordarm hinunter und wird an dessen Ende von einem Spiegel reflektiert. Die andere Hälfte läuft in den Westarm.
"Sollte jetzt eine Gravitationswelle durch Virgo laufen, würde der eine Arm gestreckt, der andere gestaucht – allerdings nur, um ein winziges Bisschen. Rund um die Uhr schauen wir also nach, ob sich die Länge der Arme für einen Moment ändert."
O-Ton-Collage:
"Wir werden sicher den Champagner kalt stellen."
"...würde es sehr gerne erleben, eine Gravitationswelle mit den eigenen Augen zu sehen."
"Wir haben doch schon viel Zeit investiert – es ist aufregend!"
2007 startete Virgo mit der Datennahme, die Messungen liefen bis 2012. Etwa zur gleichen Zeit lauschten auch zwei andere Anlagen nach den Schwerkraftwellen aus dem All: Geo600, mit seinen 600 Metern Armlänge ein kleineres Interferometer. Und vor allem LIGO, ein US-Projekt aus gleich zwei Riesenantennen.
"Die LIGO-Detektoren sind Laserinterferometer mit vier Kilometer langen Armen."
Hartmut Grote, Albert-Einstein-Institut, Hannover. Er leitet das Geo600-Projekt, macht aber auch bei LIGO in den USA mit.
"Die beiden LIGO-Detektoren sind im Staat Washington und im Staat Louisiana."
Das Kalkül der US-Forscher: Mit zwei Detektoren steigt die Chance, eine Gravitationswelle sicher zu identifizieren. Ebenso wie Virgo lauschte LIGO fünf Jahre lang nach den Signalen aus dem All. Gehört haben sie - nichts:
"Bislang wurden noch keine Gravitationswellen gemessen."
Nicht gerade das Wunschergebnis der Physiker. Doch die Enttäuschung hielt sich in Grenzen, sagt Hartmut Grote.
"Die Wahrscheinlichkeit, in dieser frühen Phase was zu messen, war nur im Prozentbereich. Sodass das noch nicht erstaunlich ist, dass man noch keine Gravitationswellen gemessen hat."
Die Gravitationswellenfänger sind darauf angewiesen, dass etwas Gewaltiges passiert, dass Neutronensterne kollidieren oder eine Supernova explodiert. Die Abschätzungen der Astronomen, wie oft solche Ereignisse in Reichweite der Detektoren geschehen, sind ziemlich ungenau.
"Natürlich hat jeder gehofft, dass die Ereignisrate an der oberen Grenze dessen liegen würde, was astrophysikalisch möglich ist."
Karsten Danzmann, Hannover:
"Ich würde das nicht als Enttäuschung beschreiben. "
In der Tat: Bei der ersten Generation ihrer Detektoren hatten die Physiker gar nicht behauptet, sie würden garantiert Gravitationswellen messen, aber sie hatten es zumindest gehofft. Nun wagen die Physiker einen neuen Anlauf – den vielleicht letzten. Sie haben ihre Anlagen aufgemotzt und mit besseren Spiegeln, Lasern und Sensoren gespickt.
"Dieser Umbau hat fünf Jahre gedauert. Das liegt daran, dass man praktisch das ganze Innenleben entfernen muss. Das ist ein sehr komplexes Experiment."
Im Moment laufen die LIGO-Detektoren noch im Testbetrieb. Die Physiker justieren die Komponenten und spüren Fehlerquellen auf.
"Das ist relativ gut fortgeschritten. Bisher sind die LIGO-Detektoren schon um einen Faktor 3 empfindlicher im Vergleich zu 2010. Für dieses Jahr im September ist der erste richtige Datenlauf geplant."
Danach dann wollen sie die Empfindlichkeit weiter steigern – auf das Zehnfache der ersten Generation von LIGO und Virgo. Nur: Woher soll man wissen, dass diese höhere Empfindlichkeit tatsächlich genügt?
"Das ist sehr viel dramatischer als sich das auf den ersten Blick anhört. Denn wenn man die Empfindlichkeit verzehnfacht, vergrößert sich das Volumen, das man beobachten kann, um einen Faktor 1.000. Und deshalb ist nicht nur Optimismus da, sondern der Optimismus ist wohl auch gerechtfertigt, dass wir noch vor Ende des Jahrzehnts mit Gravitationswellen-Astronomie beginnen werden."
"Es gibt große Unsicherheiten"
Voraussetzung ist, dass die Forscher ihre Anlagen wie geplant auf ihre Ziel-Empfindlichkeit trimmen – ein ehrgeiziges Ziel. Doch da wäre noch eine weitere Unwägbarkeit: Die Gravitationswellen-Jäger sind auf Schätzungen von Astronomen angewiesen, die ihnen sagen, wie oft überhaupt messbare Ereignisse im All passieren, wie oft zum Beispiel zwei Neutronensterne zusammenstoßen. Diese Modelle basieren auf dürren Messdaten, auf der Beobachtung einiger weniger Doppelstern-Systeme, sagt Luciano Rezzolla. Was also taugen sie?
"Wir sind ziemlich nervös: Zwar haben wir die bestmöglichen Detektoren gebaut. Doch es bleibt die Frage, ob uns auch tatsächlich eine Welle erreicht. Wir müssen hoffen, dass die Schätzungen über die Ereignisraten richtig sind. Es gibt große Unsicherheiten. Wir müssen einfach darauf hoffen, dass genügend viele Ereignisse passieren. Das wird das Entscheidende sein."
Optimistischer gibt sich Karsten Danzmann. Seine Prognose:
"Dass wir schlimmstenfalls einige Ereignisse pro Monat erwarten, und bestenfalls einige Dutzend am Tag."
Aber einen schnellen Durchbruch, eine rasche Detektion der ersten Gravitationswelle, erwartet auch er nicht.
"Vielleicht 2017? Etwas Geduld braucht man schon."
"Sie sehen, es ist alles neu getüncht, alles neu aufgebaut. Es ist Teil dieses Projektes, ein schönes neues Laserlabor zu haben."
Auch bei Virgo in Italien rüsten Henrich Heitmann und seine Leute ihre Technik kräftig auf. Das Herzstück: ein neuer, stärkerer Laser.
"Wir müssen jetzt weiße Überschuhe anziehen, und einen weißen Kittel. Und wir müssen vor allem Laser-Schutzbrillen anziehen. 50 Watt ist viel mehr, als das Auge vertragen kann. Jetzt kommen wir ins Laserlabor selber. Sie sehen zwei optische Tische. Auf dem ersten Tisch sehen Sie eine Menge Optik. Das sieht sehr konfus aus, aber es hat alles natürlich seinen Sinn. Das ist der Lasertisch. Auf den zweiten Tisch kommt die ganze Optik hin, die benötigt wird, um den Laserstrahl ins Interferometer zu schicken."
Der alte Laser hatte eine Leistung von einem Watt. Der neue soll es auf 50, später sogar auf 200 Watt bringen. Dennoch soll er genauso präzise und stabil laufen wie das alte Modell.
"Das ist ein ziemlich komplizierter Laser. Wir brauchen einen sehr stabilen Laser mit einer sehr guten Strahlqualität. Einen Laser, bei dem die Leistung und die Frequenz nicht fluktuieren."
"Es ist ein extrem gewalttätiger Vorgang im Prinzip"
"Die Spannung steigt, wo eine direkte Messung von Gravitationswellen wirklich realistisch ist."
"Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass diese Generation nichts misst. Man muss sich das vorstellen: Man nimmt zwei Sonnen, und stößt die aufeinander. Es ist ein extrem gewalttätiger Vorgang im Prinzip."
Das Albert-Einstein-Institut in Potsdam. Roland Haas und Daniel Siegel, zwei junge Theoretiker, denken über einen der energiereichsten Prozesse im Weltall nach – die Kollision zweier Neutronensterne.
"Das kann man umrechnen in TNT-Äquivalent. Das wären etwa 109 Sonnenmassen an TNT. Wenn man das auf einmal anzünden würde in weniger als einer Millisekunde – diese Energie würde bei einer solchen Explosion freiwerden."
Ein Teil der Energie sollte als Gravitationswelle abgestrahlt werden – Dellen in der Raumzeit, die lichtschnell durchs All rasen. Eine davon könnte die Erde streifen und sich in den Detektoren zeigen. Aber:
"Ein Problem bei der Gravitationswellen-Suche ist, das Signal genau zu kennen, um nach diesem Signal suchen zu können. Dazu brauchen wir detaillierte Vorhersagen aus der Theorie."
Auf einem Superrechner mit 2.400 Prozessoren laufen Simulationen, und zwar über Wochen und Monate. Solange braucht es, um Einsteins Gleichungen zu lösen – für ein Szenario, bei dem sich zwei Neutronensterne umkreisen wie lauernde Widersacher, immer schneller und schneller, um sich am Schluss wie wild aufeinander zu stürzen.
"Das letzte Stück, das wir hier simulieren können, sind wenige Millisekunden – ein Bereich von maximal 100 Millisekunden."
Die simulierten Signale sollen verraten, wonach sie im Rauschen der Detektoren überhaupt suchen müssen. Ohne Computersimulationen wäre diese Suche ziellos und vermutlich vergebens. Nur: Wie können sich die Physiker sicher sein, dass sie mit ihren Berechnungen auch wirklich richtig liegen?
"Im Fall der reinen Gravitationswellen lösen wir im Wesentlichen die Gleichungen von Albert Einstein. Und sofern diese Gleichungen korrekt sind, können wir die Abstrahlung von Gravitationswellen bis zu einer beliebig hohen Genauigkeit berechnen."
Die Kosmologen vertrauen also auf Einstein – und auf seine Gleichungen, die zumindest bislang immer ins Schwarze getroffen haben.
Sie wittern aber auch eine neue Chance, mehr zu erfahren über die Dinge, die in den Weiten des Universums vor sich gehen.
"Könnte man jene Gravitationswellen analysieren, die entstehen, wenn zwei Neutronensterne zusammenstoßen, so könnte man herausfinden, wie diese Sterne im Detail zusammengesetzt sind. Es wäre wie ein Fingerabdruck: Jeder Typ von Neutronenstern würde im Gravitationswellen-Signal einen anderen Abdruck hinterlassen."
Die Gravitationswellendetektoren sollen nicht nur eine der letzten Prophezeiungen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie bestätigen, sondern auch kosmische Katastrophen klären helfen. Gammastrahlen-Ausbrüche zum Beispiel. Das sind extreme Explosionen am Rande des Universums. In einem Sekundenbruchteil setzen sie so viel Energie frei wie eine Galaxie in einem ganzen Jahr. Stecken dahinter vielleicht zusammenprallende Neutronensterne?
Bisherige Teleskope konnten das Rätsel nicht lösen, sagt Luciano Rezzolla.
"Würden wir zeitgleich einen Gammastrahlen-Ausbruch und das Signal einer Gravitationswelle messen, wäre das ein überzeugendes Indiz, dass die Gammastrahlen-Ausbrüche tatsächlich von kollidierenden Neutronensternen verursacht werden."
Eine weitere Frage: Gibt es im All Schwarze Löcher, die sich umkreisen und schließlich aufeinander stürzen? Für normale Teleskope wären sie völlig unsichtbar, denn Schwarze Löcher strahlen weder Licht ab noch andere elektromagnetische Strahlung.
"Aber diese zwei Schwarzen Löcher senden Gravitationswellen aus. Wenn man Gravitationswellen misst, hat man eine Art Auge. Man sieht Objekte, die man im sichtbaren Licht gar nicht sehen kann."
Jan Steinhoff, Albert-Einstein-Institut, Potsdam:
"Binärsysteme aus zwei Schwarzen Löchern wurden noch nicht beobachtet. Eine Sache, die man aus den Gravitationswellen ablesen könnte, wäre, dass es solche Systeme überhaupt gibt und wie viele es gibt."
Eine Frage, die für die Entwicklung der Galaxien wichtig ist. In der Milchstraße etwa dürfte ein riesiges Schwarzes Loch schlummern, das die Geschicke unserer Galaxie maßgeblich lenkt. Gravitationswellen sollen aufklären, wie sich solche Schwerkraftmonster bilden konnten.
"Diese komplizierte Spiegelaufhängung dient dazu, dafür zu sorgen, dass der Spiegel sich nicht bewegt – außer wenn eine Gravitationswelle kommt."
Sprecher: Bei Virgo in Italien steht Henrich Heitmann vor einer weiteren Schlüsselkomponente des Detektors – einem der Spiegel, die das Laserlicht in den drei Kilometer langen Armen hin und her werfen. Es sind Scheiben aus hochreinem Quarz, zentnerschwer und groß wie Autoreifen.
"Wir müssen all unsere Spiegel aufhängen, um die Spiegel vor Vibrationen des Untergrundes zu schützen. Wir sind mitten in der Toskana. Da fahren Lastwagen vorbei. Das Meer ist nicht weit weg, und wir haben Leute, die hier rumlaufen, usw. Der Boden vibriert, und die Spiegel dürfen nicht vibrieren. Wenn der Spiegel vibriert, können wir das nicht unterscheiden von einer Gravitationswelle."
Um die Schwingungen zu dämpfen, haben Carlo Bradaschia und seine Leute eine komplexe, zehn Meter hohe Spiegelaufhängung konstruiert.
"Das hier ist eine Pendelmasse. Sie ist an einer Glasfaser aufgehängt. Unten an dieser Masse ist ein weiterer Faden befestigt. An dem hängt wieder eine Masse. Von diesen Pendelstufen gibt es insgesamt sechs. Erst ganz unten hängt der eigentliche Spiegel."
Im nächsten Jahr soll Virgo loslegen, dann mit verbesserter Empfindlichkeit. Früher dran ist LIGO in den USA. Und sollte in nächster Zeit eine genügend starke Gravitationswelle die Bahn der Erde kreuzen, dürfte LIGO sie als erstes sehen. Virgo soll später helfen, aus den Signalen wertvolle Daten für die Astronomie herauszukitzeln. Auch der Detektor KAGRA, der zurzeit in Japan entsteht, kann das Gesamtbild schärfen – wenn das Kalkül denn aufgeht.
O-Ton-Collage:
"In 20 Jahren werden wir eine blühende Gravitationswellen-Astronomie vorfinden."
"Ich glaube, wir können uns noch gar nicht ausmalen, was wir alles aus Gravitationswellen lernen werden."
"Man wird mit den bisherigen Teleskopen Gravitationswellen detektieren. Das ist nur eine Frage der Zeit."
Harald Lück, Albert-Einstein-Institut, Hannover:
"Man wird aus diesen Gravitationswellen auch astrophysikalische Informationen ziehen können. Das wird allerdings relativ selten sein. Mit einem wirklichen Arbeitspferd möchte man regelmäßig Ereignisse sehen."
Lück fürchtet, dass LIGO und Virgo nur sporadisch Daten für die Astronomie liefern werden. Deshalb tüftelt er gemeinsam mit Hunderten Kollegen schon an der Zukunft, am nächsten Schritt.
"Das Einstein-Teleskop wird größer werden als die bisherigen Detektoren, weil Größe mit Empfindlichkeit gleichzusetzen ist. Das Einstein-Teleskop wird unter der Erde gebaut werden, um niedrigere seismische Bewegungen zu haben. Dass die Spiegel weniger erschüttert werden, dass die Messung weniger gestört wird."
Ein gleichseitiges Dreieck, Schenkellänge zehn Kilometer, ausgestattet mit sechs Laser-Interferometern. Das Ziel: eine noch höhere Messempfindlichkeit. Sollten die heutigen Detektoren zehn Ereignisse pro Jahr beobachten, wären es beim Einstein-Teleskop 10.000.
"Nun ist das Problem daran, dass das natürlich auch Geld kostet. Und dieses Geld ist, solange Gravitationswellen noch nicht detektiert wurden, relativ schwer zu beschaffen."
Eine Milliarde Euro soll das Projekt kosten. Zurzeit läuft es nur auf Sparflamme. Doch sollten LIGO und Virgo Erfolg haben, stehen Lück und seine Leute parat: Sie könnten das Einstein-Teleskop in einigen Jahren bauen. Ein anderes Projekt dagegen ist so gut wie bewilligt.
"Eine sehr große Halle mit vielen Stahlträgern. Die Thermalkammer hat einen Durchmesser von 6,80 Meter. Sieht aus wie ein langer Zylinder, an beiden Enden die druckfesten Abschlussschotte. "
Ottobrunn bei München, eine Halle der Firma IABG. Ingenieur Uwe Bertram steht vor einer wuchtigen Metalltonne, sie mutet an wie ein überdimensionaler Tresor. Im Inneren herrschen Bedingungen wie im Weltraum. Ein Teststand für Satelliten.
"Die Kammerwände werden mit Flüssigstickstoff durchspült – eine Temperatur in der Größenordnung von minus 185 °C. Damit simulieren wir den kalten Weltraumhintergrund."
So checken die Fachleute, wie gut ein neuer Satellit unter Realbedingungen funktioniert und ob man ihn guten Gewissens ins All schießen kann. Einer der Satelliten, die kürzlich hier getestet wurden, ist Lisa Pathfinder. Eine 400-Millionen-Euro-Mission, die ein späteres, weit größeres Projekt vorbereitet – einen Gravitationswellendetektor im All.
"Wir werden den Abstand zwischen den beiden Testmassen messen können in einer Genauigkeit von einem Pikometer."
In der Nachbarhalle steht Dieter Kolbe vor Lisa Pathfinder – eine achteckige Scheibe, Durchmesser zwei Meter. In der Mitte eine Box wie eine Wäschetrommel, darin zwei Würfel aus Gold und Platin, jeweils fünf Zentimeter groß, sagt Kolbe, Ingenieur bei Airbus in Friedrichshafen.
"Ist zwei Kilogramm schwer. Wenn man ihn auf dem Tisch stehen hat und würde ihn anheben – man meint, er sei festgeschraubt."
Im September soll Lisa Pathfinder starten und einen Punkt ansteuern, an dem nahezu perfekte Schwerelosigkeit herrscht, weil sich die Schwerkraftfelder von Sonne und Erde gerade aufheben. Dann wird eine Mechanik die Würfel in die Schwerelosigkeit entlassen, und ein Laser soll präzise messen, wie sich ihre Abstände verändern. Der entscheidende Test für eine Mission namens eLisa. Ein Interferometer im Weltraum, bestehend aus drei Satelliten, die ein Dreieck aufspannen. Sie sollen Laserstrahlen hin und her schießen – aber nicht über eine Strecke von maximal vier Kilometern wie bei den Bodendetektoren, sondern über eine Distanz von einer Million Kilometern.
"Das ist eine irre Herausforderung. Wir haben schon viel darüber diskutiert, wie man das macht. Der Laserstrahl ist nur ein paar Millimeter im Durchmesser. Und dann auf Millionen Kilometer – wie findet man den anderen Satelliten?"
Noch haben die Forscher Zeit für eine Lösung. Denn erst 2034 soll eLisa abheben. Sollten die Bodendetektoren wie LIGO und Virgo bis dahin noch keine Gravitationswellen aufgespürt haben, dürfte die Satellitenmission die letzte Chance sein, Einsteins Theorie zu beweisen und darüber hinaus neue Details über kosmische Extremereignisse zu sammeln – vielleicht sogar über den Urknall, die Geburtsstunde des Universums.