Monika Seynsche: Etwa 8 Prozent aller Männer und 17 Prozent aller Frauen leiden irgendwann in ihrem Leben an Migräne. Rasende, pulsierende Kopfschmerzattacken zwingen die Betroffenen ins Bett. Helles Licht und Geräusche werden unerträglich. Die Ursachen für diese Krankheit sind vielfältig. Sicher ist, dass auch Gene eine Rolle spielen. Jetzt berichten 65 Forscher aus zehn Ländern in "Nature Genetics" über die erste umfassende Suche nach Migräne-Risikofaktoren im Genom. Volkart Wildermuth hat sich die Studie angesehen und mit Forschern gesprochen. Herr Wildermuth, hat man jetzt das eine Migräne-Gen gefunden?
Volkart Wildermuth: Nein. Und zwar ganz einfach deshalb, weil es offenbar kein einziges Migräne-Gen im menschlichen Erbgut gibt. Das hat diese Studie wirklich eindeutig belegt. Die Forscher haben das Erbgut von über 6000 Migränepatienten aus Finnland, Island, Dänemark, den Niederlanden und Deutschland mit dem von 50.000 gesunden Personen verglichen - also eine riesige Studie. Und es fand sich aber eine einzige Auffälligkeit in diesen ganzen Datenbergen. Eine Stelle auf dem Chromosom Nummer acht, mit dem Namen RS 1835740. Die gibt es in verschiedenen Varianten und eine ist bei Migränepatienten eben etwas häufiger als bei Gesunden. Der Unterschied ist nicht besonders groß. Er erklärt etwa ein bis zwei Prozent des genetischen Migränerisikos. Aber mit RS 1835740 konnte erstmals eine DNA-Variante dingfest gemacht werden, die bei sehr vielen Migränepatienten offenbar eine Rolle spielt.
Seynsche: Was verbirgt sich denn hinter diesem Kürzel für das Gen?
Wildermuth: Das Kürzel bezeichnet einen Marker, eine Art technisches Hilfsmittel der Genomanalyse. Der liegt gar nicht innerhalb eines Gens, sondern zwischen zwei Genen und die haben beide etwas mit dem Stoffwechsel eines Botenstoffs im Gehirn zu tun, mit dem Glutamat - das ist ein wichtiger erregender Botenstoff. Und die Studie in "Nature Genetics" belegt auch, dass diese Markervariante zumindest die Aktivität eines dieser beiden Gene beeinflusst. Und das alles passt ganz gut zu einem Modell der Migräne. Die geht davon aus, dass das Gehirn der Patienten sozusagen überempfindlich ist. Kleine Reize können eine Reaktion auslösen, die dann aus dem Ruder läuft. Es kommt zu einer Erregung weiterer Hirnbereiche und letztlich irgendwie zu den Kopfschmerzattacken. Und das passt wirklich ganz gut zu diesem Befund, dass das Glutamat hier eine Rolle spielt.
Seynsche: Und wie geht es jetzt weiter? Dieser eine Genort kann ja noch nicht die ganze Genetik der Migräne erklären.
Wildermuth: Ich glaube, diese Studie zeigt einfach etwas, das gilt nicht nur für die Migräne, sondern für viele dieser komplexen Krankheiten: Herz-Kreislauf-Leiden, Zuckerkrankheit und so weiter, die zurzeit untersucht werden. Die alle werden maßgeblich von Genen beeinflusst. Aber der genetische Effekt konzentriert sich eben nicht, wie man früher dachte, auf das entscheidende Migräne-Gen, sonder der verteilt sich.
Seynsche: Heißt das, dass die Forscher jetzt Gene suchen, die dann nur noch ein Tausendstel des genetischen Risikos erklären können? Das ergibt doch gar keinen Sinn.
Wildermuth: Nein. Also das würde man mit den heutigen Methoden auch gar nicht schaffen. Es gibt sicher weitere Gene wie dieses RS 1835740, die bei sehr vielen Migränepatienten eine Rolle spielen, aber eben nur ganz kleine Wirkungen haben. Das ist das eine. Aber der genetische Effekt verteilt sich auch auf andere Arten von Genen. Da gibt es Genvarianten, die ganz direkt Kopfschmerzanfällen zu Grunde liegen. Die haben sozusagen eine hohe Durchschlagskraft. Aber diese Genvarianten sind extrem selten. Man hat bisher nur drei solcher Gene identifiziert, die nach den Mendelschen Gesetzen vererbt werden, also richtig klassische Erbkrankheiten, aber die spielen eben für das allgemeine Migränerisiko keine Rolle, weil sie so selten sind. Aber der Goldschatz liegt wohl in der Mitte. Es gibt eben auch Gene, die dazwischen liegen, die das Risiko für Migräne vielleicht verdoppeln oder verzehnfachen, aber die dann eben nicht bei allen Patienten auftreten, sondern nur in bestimmten größeren Gruppen. Und solche Gene wird man mit neuen Sequenzierungsmethoden tatsächlich finden können. Und darauf muss man sich einstellen, dass da komplexe Antworten liegen auf die Frage nach diesen komplexen Krankheiten.
Seynsche: Und was bringen solche Erkenntnisse für den Patienten?
Wildermuth: Erstmal wenig. Gentests bieten sich da wirklich nicht an, aber schon bei diesem Glutamatbefund von heute kann man wirklich sagen, das hilft den Forschern, neue Ideen zu entwickeln, neue Richtungen für die Entwicklung von Medikamenten. Es gibt Medikamente, die das Glutamat beeinflussen. Die hat man bisher nicht bei der Migräne eingesetzt. Jetzt kann so etwas angedacht werden, aber das dauert sicher Jahre, bis man so etwas dann auch in der Apotheke kaufen kann.
Seynsche: Vielen Dank. Volkart Wildermuth war das über einen neu entdeckten genetischen Risikofaktor für Migräne.
Volkart Wildermuth: Nein. Und zwar ganz einfach deshalb, weil es offenbar kein einziges Migräne-Gen im menschlichen Erbgut gibt. Das hat diese Studie wirklich eindeutig belegt. Die Forscher haben das Erbgut von über 6000 Migränepatienten aus Finnland, Island, Dänemark, den Niederlanden und Deutschland mit dem von 50.000 gesunden Personen verglichen - also eine riesige Studie. Und es fand sich aber eine einzige Auffälligkeit in diesen ganzen Datenbergen. Eine Stelle auf dem Chromosom Nummer acht, mit dem Namen RS 1835740. Die gibt es in verschiedenen Varianten und eine ist bei Migränepatienten eben etwas häufiger als bei Gesunden. Der Unterschied ist nicht besonders groß. Er erklärt etwa ein bis zwei Prozent des genetischen Migränerisikos. Aber mit RS 1835740 konnte erstmals eine DNA-Variante dingfest gemacht werden, die bei sehr vielen Migränepatienten offenbar eine Rolle spielt.
Seynsche: Was verbirgt sich denn hinter diesem Kürzel für das Gen?
Wildermuth: Das Kürzel bezeichnet einen Marker, eine Art technisches Hilfsmittel der Genomanalyse. Der liegt gar nicht innerhalb eines Gens, sondern zwischen zwei Genen und die haben beide etwas mit dem Stoffwechsel eines Botenstoffs im Gehirn zu tun, mit dem Glutamat - das ist ein wichtiger erregender Botenstoff. Und die Studie in "Nature Genetics" belegt auch, dass diese Markervariante zumindest die Aktivität eines dieser beiden Gene beeinflusst. Und das alles passt ganz gut zu einem Modell der Migräne. Die geht davon aus, dass das Gehirn der Patienten sozusagen überempfindlich ist. Kleine Reize können eine Reaktion auslösen, die dann aus dem Ruder läuft. Es kommt zu einer Erregung weiterer Hirnbereiche und letztlich irgendwie zu den Kopfschmerzattacken. Und das passt wirklich ganz gut zu diesem Befund, dass das Glutamat hier eine Rolle spielt.
Seynsche: Und wie geht es jetzt weiter? Dieser eine Genort kann ja noch nicht die ganze Genetik der Migräne erklären.
Wildermuth: Ich glaube, diese Studie zeigt einfach etwas, das gilt nicht nur für die Migräne, sondern für viele dieser komplexen Krankheiten: Herz-Kreislauf-Leiden, Zuckerkrankheit und so weiter, die zurzeit untersucht werden. Die alle werden maßgeblich von Genen beeinflusst. Aber der genetische Effekt konzentriert sich eben nicht, wie man früher dachte, auf das entscheidende Migräne-Gen, sonder der verteilt sich.
Seynsche: Heißt das, dass die Forscher jetzt Gene suchen, die dann nur noch ein Tausendstel des genetischen Risikos erklären können? Das ergibt doch gar keinen Sinn.
Wildermuth: Nein. Also das würde man mit den heutigen Methoden auch gar nicht schaffen. Es gibt sicher weitere Gene wie dieses RS 1835740, die bei sehr vielen Migränepatienten eine Rolle spielen, aber eben nur ganz kleine Wirkungen haben. Das ist das eine. Aber der genetische Effekt verteilt sich auch auf andere Arten von Genen. Da gibt es Genvarianten, die ganz direkt Kopfschmerzanfällen zu Grunde liegen. Die haben sozusagen eine hohe Durchschlagskraft. Aber diese Genvarianten sind extrem selten. Man hat bisher nur drei solcher Gene identifiziert, die nach den Mendelschen Gesetzen vererbt werden, also richtig klassische Erbkrankheiten, aber die spielen eben für das allgemeine Migränerisiko keine Rolle, weil sie so selten sind. Aber der Goldschatz liegt wohl in der Mitte. Es gibt eben auch Gene, die dazwischen liegen, die das Risiko für Migräne vielleicht verdoppeln oder verzehnfachen, aber die dann eben nicht bei allen Patienten auftreten, sondern nur in bestimmten größeren Gruppen. Und solche Gene wird man mit neuen Sequenzierungsmethoden tatsächlich finden können. Und darauf muss man sich einstellen, dass da komplexe Antworten liegen auf die Frage nach diesen komplexen Krankheiten.
Seynsche: Und was bringen solche Erkenntnisse für den Patienten?
Wildermuth: Erstmal wenig. Gentests bieten sich da wirklich nicht an, aber schon bei diesem Glutamatbefund von heute kann man wirklich sagen, das hilft den Forschern, neue Ideen zu entwickeln, neue Richtungen für die Entwicklung von Medikamenten. Es gibt Medikamente, die das Glutamat beeinflussen. Die hat man bisher nicht bei der Migräne eingesetzt. Jetzt kann so etwas angedacht werden, aber das dauert sicher Jahre, bis man so etwas dann auch in der Apotheke kaufen kann.
Seynsche: Vielen Dank. Volkart Wildermuth war das über einen neu entdeckten genetischen Risikofaktor für Migräne.