"Tach. Tach. Hallo Frau Dollner, schön dass sie da sind. Tach Herr Lüke, Frau Dollner, darf ich Ihnen einen Patz anbieten, gleich hier vorne."
Dienstag Nachmittag, eine kleine Küche im Berliner St. Hedwigs-Krankenhaus. Wie jede Woche trifft sich eine Gruppe ältere Menschen gemeinsam mit einem jungen Ergotherapeuten und einer Begleiterin.
"Dann begrüße ich erst alle noch einmal ganz offiziell. Hallo. Mögen alle Kaffee? Frau Senftleben, Kaffee?"
"Ja doch."
"Ich schenk Ihnen mal ein. Ich mach mal den Start. Haben Sie auch Milch bei? Wie war das Wetter draußen in Marzahn?"
"Wetter ist schon gut."
"Das ist ja wichtig, was heißt gut?"
"Das Wetter war gut, hab ich gesagt. Das heißt, die Sonne scheint. Wir hatten schönes Wetter, wir waren im Urlaub und hatten schönes Wetter gehabt."
"Sie waren sogar im Urlaub. Übers Wochenende?"
"Nein."
Die Gespräche drehen sich ums Wetter, den nächsten Urlaub, und sie drehen sich manchmal im Kreis. Daran stört sich hier niemand, kleine Unachtsamkeiten passieren schließlich jedem in der Runde. Sie alle kämpfen mit ihrem Gedächtnis, sie alle leiden an einer Demenz. Waltraud Lüke:
"Wenn ich hier her komme, die sind ja alle so wie ich. Ein bisschen krank. Es ist eine Unterhaltung, und man sieht, wenn andere das auch haben, dann ist man nicht so traurig. Und hier unser Herr Preschel: Der ist sehr nett, und das ist mal was anderes, als wenn man immer zu Hause sitzt."
Ingelore Dönicke:
"Die Hauptsache ist, dass für mich die Gruppe das ist, wo ich meine Freude an dem, was ich mache, noch mehr unterstützen kann."
"Ja mein Name ist Joachim John. Ich war eigentlich nicht so krank, dass ich mit meinem Gedächtnis nicht zurecht kam oder komme, sondern mich hat das einfach interessiert. Ich weiß gar nicht, ich bin einfach hier reingeschneit und bin einfach hier."
"Senftleben, Margitta. Ich bin schon länger in der Gruppe. Ich find die alle ganz nett, ja."
Seit vier Jahren treffen sich Margitta Senftleben, Rosita Dollner, Ingelore Dönicke, Joachim John, Waltraud Lüke und die anderen einmal in der Woche für vier Stunden. Ein ganzer Nachmittag, der nur ihnen gehört, ihren Interessen, ihren Plänen. Ein Nachmittag, der Raum gibt für Gespräche und die Gelegenheit, einfach nur Spaß zu haben. Spaß haben. Trotz Alzheimer, mit Alzheimer. Ausgedacht hat sich dieses Angebot Mechthild Niemann-Mirmehdi. Die Leiterin der therapeutischen Dienste der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwigs-Krankenhaus. Schon seit vielen Jahren arbeitet sie in Gedächtnissprechstunden.
"Wenn ich mich erinnere an die 90er Jahre, dann kamen doch häufig Menschen in die Gedächtnissprechstunde in einem sehr schweren Krankheitsstadium. Das hat sich in den letzten Jahren vehement geändert, deutlich geändert. Die Patienten kommen sehr, sehr viel früher."
Das Bild der Alzheimerschen Krankheit verändert sich. Lange prägte das Endstadium des Leidens die öffentliche Diskussion. Hilflose Menschen in Pflegeheimen, die kaum reagieren, die sich selbst verloren haben. Es gibt aber immer mehr Patienten, die noch am Anfang des unausweichlichen Krankheitsprozesses stehen. Ihr Gedächtnis mag beeinträchtigt sein, aber ihre Persönlichkeit ist unbeschadet. Diese neue Gruppe der Alzheimerpatienten wächst, weil die Krankheit heute früher erkannt wird. Und das liegt nicht an neuen Diagnosemethoden, sondern daran, dass ältere Menschen wie Ingelore Dönicke wissen wollen, was hinter einer zunehmenden Vergesslichkeit steckt.
"Im Alltag merkt man das so, dass ich ganz normal aufgestanden bin und feststellte, dass überhaupt nichts mehr geht in dem Sinne. Und zwar, ich wollte mich anziehen, es ging nicht. Ich wollte für das, den Tag mir, wie immer, was holen, einholen, ich war ja alleine zu dieser Zeit. Und es ging nicht, es ging eigentlich gar nichts mehr."
Ist das nun der natürliche Preis des Alters, oder eine Depression, eine Demenz? Ingelore Dönicke war besorgt. Wie viele Rentner hatte sie im Fernsehen und den Zeitungen schon etwas von Alzheimer gehört und gelesen. Sie machte sich Sorgen, und wollte die Chance nicht verpassen, die etwa Medikamente bieten. Klarheit verschaffte ihr ein Besuch beim Arzt. Gedächtnissprechstunden oder Neurologen, wie Dr. Jens Bohlken können der Ursache der Vergesslichkeit auf den Grund gehen.
"Ein einfaches Kriterium ist zu schauen, ob jemand im Alltag seine Aufgaben nicht mehr so gut erledigen kann. Dass er nicht mehr so gerne zur Bank geht, vermeidet ans Telefon zu gehen. Dass man merkt, dass er einer Unterhaltung nicht mehr vernünftig folgen kann, oder dass er immer wieder in gleicher Art und Weise antwortet. Dass eine geringere Umstellungsfähigkeit da ist, das wären Kriterien die man in einer Befragung Angehörigen, der Patienten herausbekommen kann und dann schon die Vermutung haben kann hier könnte eine beginnende Demenzerkrankung vorliegen."
Die Mehrheit der Besorgten kann Jens Bohlken beruhigen. Ihre Vergesslichkeit bewegt sich im normalen Rahmen. Wenn es aber Hinweise auf eine Demenz gibt, ist es Zeit für gezielte psychologische Tests. Nach ungefähr einer halben Stunde Rätsellösen und einer Röntgen-Aufnahme vom Gehirn stand bei Ingelore Dönicke fest, ihr Gedächtnis wird von der Alzheimerschen Krankheit angegriffen. Ethiker und Ärzte haben lange darüber gestritten, ob eine so frühe Warnung vor dem unabwendbaren Gleiten ins Vergessen überhaupt Sinn macht, ob sie eine Phase der Angst nicht nur unnötig verlängert. Und die Angst ist unausweichlich, ist für fast alle der erste Schritt, sich selbst neu zu erleben, als Mensch mit Alzheimer. Ingelore Dönicke:
"Die Diagnose kam und denn stand es drauf. Und das wusste ich aber vorher in dem Moment schon. Ich habe viel gemacht, um sozusagen nicht pausenlos zu heulen und dieses und jenes. Die Tränen waren da, ist auch klar. Aber ich habe auch oft genug die Tür zugemacht und zu den Kindern gesagt, ich möchte nicht, dass ihr mit mir sprecht und so."
Die Zeit der Trauer ist für Ingeborg Dönicke vorbei, sie ist offensiv mit der Diagnose Alzheimer umgegangen, hat mit ihren Kindern, den Nachbarn gesprochen. Die klare Diagnose ermöglichte ihr, einen neuen Abschnitt im ihrem Leben zu beginnen. Mechthild Niemann-Mirmehdi kennt viele ähnliche Geschichten.
"Meine Erfahrung ist, dass die Patienten selber und auch die Angehörigen erleichtert sind, wenn sie diesem Gedächtnisproblem oder diesen Problemen, mit denen sie sich ja häufig schon zwei, drei, vier Jahren rumgeschlagen haben, bevor sie zum Arzt gehen, wenn sie diesem Problem eine Erklärung geben können. Und es kommt ohne diese Erklärung auch zu Missverständnissen. Bis dahingehend , dass Kinder ihren Eltern Unrecht tun, weil sie denken, sie vergessen die Geburtstage, sind nachlässiger geworden, sind nicht mehr zuverlässig und haben häufig persönliche Gründe dafür. Und das entspannt sich natürlich enorm, wenn klar ist, es ist eine Erkrankung. Es ist kein böser Wille, es ist kein Fahrlässigkeit, Nachlässigkeit oder Unfreundlichkeit, sondern es ist einfach krankheitsbedingt."
Noch vor zehn Jahren hätten die Ärzte Ingelore Dönicke außer guten Worten wenig mitgeben können. Inzwischen gibt es Medikamente. Sie halten die Zerstörung der Nervenzellen nicht auf, aber sie aktivieren Reserven im Gehirn. Wie gut sie anschlagen, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Manche profitieren gar nicht, andere wachen aus dem Vergessen auf. Im Durchschnitt gewinnen die Patienten ein Jahr, bevor die Krankheit wieder die Oberhand gewinnt. Ein Jahr, in dem sie vielleicht Abschied nehmen können von ihren Verwandten, ein Jahr in dem sie sich auf das Unausweichliche vorbereiten können. Dabei brauchen sie Unterstützung, so Jens Bohlken.
"Ich glaube, dass ein ganz wichtiger Teil der Versorgung der Demenzkranken auch ein zuwendungsorientierter Teil ist. Also dass die Patienten nicht nur sehen, dass der Arzt eine Tablette verschreibt, sondern dass er sich auch auf die menschlichen Probleme, die mit dieser Erkrankung einhergehen, und die sind sehr vielfältiger Natur, dass er darauf eingeht."
Es gibt eine ganze Reihe von Hilfestellungen für Patienten am Anfang ihres Lebens mit Alzheimer. Gedächtnistraining, Ergotherapie, Sportgruppen. Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat versucht, die Wirksamkeit solcher nicht medikamentöser Verfahren bei Demenzen zu beurteilen. Das Fazit fällt ernüchternd aus: Es gibt schlicht keine Studien, die einen Effekt belegen könnten. Die Bundesregierung hat auch aus diesem Grund ein Forschungsprogramm angeschoben. Die so genannten Leuchtturmprojekte sollten endlich Klarheit bringen: Welche Ansätze und Projekte helfen den Patienten in den verschiedenen Krankheitsstadien wirklich?
"Das ist eine Kiste, kann man wirklich sagen, die fängt an, die fängt an, als kleiner, das zum Beispiel.."
"Das ist ja toll das ist so ein richtig altes Foto."
"Ja, ja, Papa hat die Dinger geschossen, diese kleine, mit so einer schönen alten Kamera."
"Die sind ja teilweise gestochen klar das ist unglaublich. Sind Sie das im Matrosenanzug? Und die Dame?"
"Das war Mutti."
Ein Mann lässt sein Leben Revue passieren. Die Neuropsychologin und Verhaltenstherapeutin Dr. Andrea Diebel hat ihn aufgefordert, Erinnerungsstücke mitzubringen. Diebel:
"Wir ermutigen in dieser Biographiearbeit Patienten dazu, sich gerade wieder an schöne Dinge sich zu erinnern. Das ist ganz wichtig für das Selbstwertgefühl. Es ist wichtig, eben um diese schönen Gefühle auch wieder zu evozieren, und da gibt es einige effektive Möglichkeiten. Beispielsweise wirklich alte Schallplatten heraus zu kramen und diese zu hören, dann vielleicht von einem alten Geschirr essen, sein Hochzeitskleid anschauen oder alte Orte aufsuchen, das Geburtshaus. Das ist ganz wichtig um die eigene Identität."
Im Rahmen des Forschungsprojektes Kordial betreut Andrea Diebel Alzheimerpatienten im Frühstadium der Krankheit. In zwölf Sitzungen vermittelt sie ihnen Techniken, die helfen können, noch eine ganze Zeit lang trotz der zunehmenden Gedächtnisprobleme zurechtzukommen. Das reicht von einfachen Tipps wie dem Führen eines großen Kalenders, in dem alle wichtigen und weniger wichtigen Termine eingetragen werden, über das Einüben von Routinen, die sicher stellen, dass etwa der Schlüssel an immer derselben Stelle abgelegt wird, bis hin zu Methoden, die eigene Stimmung aufzuhellen. Etwa über ein Fotoalbum zu schönen Erlebnissen. Noch wichtiger ist es aber, sich nicht zurückzuziehen, sondern aktiv zu bleiben. Diebel:
"Das gilt eigentlich nicht nur für Alzheimerpatienten sondern eigentlich für jeden Menschen. Je mehr wir tun, desto besser wird auch unsere Stimmung. Wenn ich aktiv bin, dann habe ich Erfolgserlebnisse, ich habe Zugang zu so genannten Verstärkern, also das, was wir belohnend empfinden. Das kann soziale Aktivität sein. Das kann sein, etwas geschafft zu haben, etwas erledigt zu haben, aber eben auch sich mit angenehmen Dingen zu beschäftigen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass mit der Aktivität eben auch die Stimmung steigt, und genau das machen wir uns zu nutze."
Nach der Diagnose Alzheimer ziehen sich viele Menschen zurück, nutzen nicht einmal mehr die Möglichkeiten, die sie noch besitzen. Hier will das Projekt Kordial, hier will Andrea Diebel gegensteuern. Natürlich benötigen die Alten dabei Unterstützung.
"Ich denke, gerade eine Patientin, die nach vielen Jahren ihre langjährige Freundin wieder besuchen möchte. Dazu ist eine lange Zugfahrt erforderlich und sie hat große Befürchtungen, dass sie diese Reise nicht gut planen kann, dass etwas schief geht am Bahnhof. Und genau da ist es wichtig, diese Ängste ernst zu nehmen, zu thematisieren aber auch Hilfsmaßnahmen zu implementieren und Vorschläge zu machen, was man alles tun kann, damit eben die Reise klappt, aber dass man auch bespricht, was tue ich denn, wenn wirklich Probleme auftreten. Wenn wir uns am Bahnhof verpassen oder dergleichen. Also ganz wichtig ist, diese Befürchtungen und Ängste ernst zu nehmen und zu thematisieren, weil nur dann kann man sie verändern."
Von ihren Patienten bekommt Andrea Diebel viel positive Resonanz. Ob Kordial auch auf längere Sicht das Leben mit Alzheimer erleichtert, muss sich dagegen erst noch zeigen. Das Programm enthält Elemente der Verhaltenstherapie und der Neuropsychologie, die in einer stark strukturierten Form aufeinander aufbauen. So ist sichergestellt, dass Therapeuten in ganz Deutschland nach demselben Muster behandeln und nach einigen Jahren klare Aussagen über den Effekt von Kordial möglich sein werden.
"Na Frau Senftleben was sagen Sie?"
"Was denn?"
"Wir gucken mal vor die Tür."
"Ja."
"Ein bisschen frische Luft."
"Frau Dollner, machen wir uns langsam startklar? Dass wir noch einmal gucken, die Toilette aufsuchen bei Gelegenheit. Und dann schnappen wir uns die Jacke und gehen vor die Tür."
In Berlin macht sich die Gruppe der Demenzkranken auf den Weg. Es geht zum Gendarmenmarkt, zu den seltenen Schnurbäumen.
"Mir gefällt der Baum, er ist so schön gewachsen und groß und breit."
"Zwei Schnurbäume oder was heißt das."
"Wir reden gerade über den Spatz. Der eine hat das Brot und der andere hat es ihm gestohlen."
"Ja, ja. Ist süß."
"Ich glaube wir müssen zu unsrem Heimatort und dann trinken wir noch ein bisschen Kaffee, glaube ich. Kaffee ist, glaube ich, noch da."
Im Frühling sind die dünnen Früchte des Schnurbaums noch nicht zu sehen. Trotzdem sind alle froh, wieder einmal raus zu kommen, etwas gemeinsam zu unternehmen. Die Frauen und Männer treffen sich seit vier Jahren jede Woche, ihre Angehörigen kommen einmal im Monat zusammen. Tandemgruppen nennt sich das Konzept. In einem weiteren Leuchtturmprojekt wird seine Wirksamkeit derzeit untersucht, ganz ähnlich wie bei Kordial. Mechthild Niemann-Mirmehdi:
"Da geht es darum, dass die entsprechend ihren Interessen gemeinsam Unternehmungen machen, das können Wanderungen, Spaziergänge, Ausflüge, Kino, Ähnliches sein. Wichtig ist, dass Gemeinschaften gleich Betroffener zusammenkommen. Dass sie relativ früh unterstützt werden in Aktivierungen, nicht depressiv werden, sich nicht zurückziehen."
Weil die Menschen mit Alzheimer in einem frühen Stadium in den Tandemgruppen zusammenfinden, entwickeln sie Bindungen, die auch dann noch halten, wenn das Gedächtnis sie immer mehr im Stich lässt. Für Ingelore Dönicke ist der Rückhalt der Gruppe unverzichtbar. Das galt besonders in der Zeit, als ihr Mitbewohner sich von ihr abwandte.
"Für ihn war ich nach kurzer Zeit, na, wie sagt man das so, war ich eine, die faul ist, die nichts mehr machen möchte und so weiter, und so weiter. So hat er diesen Block für sich abgetan. Und dadurch wurde es natürlich etwas schwerer, die ganze Sache. Und weil ich nicht haben wollte, dass ich jeden Tag höre, dass ich doof bin und so weiter, auch alles von diesem gleichen Mann. Doof und ach, guck doch mal, wie du aussiehst und so weiter. Und das ist dahin gegangen, dass ich einfach ihn mit vielen Freunden, dass ich ihn dann rausgeschmissen hab. Und das ist jetzt eine schöne Sache geworden. Ich war auf einmal ganz allein und fröhlich und zufrieden und mit großem, vielem Spaß."
Heute lebt Ingelore Dönicke in einer betreuten Wohngemeinschaft und besteht auf ihrem Recht auf Spaß, Alzheimer hin oder her. Mechthild Niemann-Mirmehdi:
"Das sind Dinge, da müssen Angehörige auch hinein wachsen. Also dass es auch hier eben nicht unbedingt darum geht, durch so eine Aktivierungsgruppe, so eine Betroffenengruppe, besser zu werden im Gedächtnis oder auch den Krankheitsverlauf aufzuhalten. Es kann nicht darum gehen, die Krankheit wird nicht besser. Sondern dass es darum geht, mehr teilhaben zu können am Leben, mehr Spaß zu haben und auch mehr aktiv sich sozusagen in diesem Leben zu engagieren, auch auf Patientenseite, und auch das Gefühl zu haben, irgendwo dazuzugehören."
Die Kranken selbst sollen nach eigenen Vorstellungen aktiv werden. Mechthild Niemann-Mirmehdi versucht, den Angehörigen bei deren Treffen nahezubringen, dass sie ihren Partnern oder Eltern diesen Freiraum auch zugestehen sollten. Dass es dabei Reibungen gibt, ist selbstverständlich, innerhalb der Familie aber auch im öffentlichen Raum. Nicht jedes Restaurant toleriert Gäste, die nicht mehr mit Messer und Gabel essen können. Viele reagieren genervt, wenn ein Gespräch nicht gradlinig, sondern verschlungen, in Brüchen verläuft. In Geschäften gibt es Ärger, wenn jemand im Wortsinn vergisst zu bezahlen. Die Tandemgruppen sollen die Patienten und ihre Angehörigen darin bestärken, mit solchen Situationen offensiv umzugehen, um Verständnis nicht zu bitten, sondern es einzufordern. Das erfordert große Kraft. Waltraud Lüke kränkt besonders, dass sie in Gesprächen oft hinter ihrem Mann verschwindet.
"Die sollen nicht denken dass ich doof bin. Echt ja. Denn es gibt Leute, die..., früher waren die immer sehr nett und jetzt sind die so, als ob man doof ist. Aber mich interessiert das nicht. Mein Mann, er gibt sich so viel Mühe und ich werde überhaupt nicht beachtet, ja. Man denkt, man ist doof, weil man... aber mich ärgert das nicht, soll jeder denken was er will. Wir gehen ganz viel spazieren, mein Mann ist auch ganz nett und so. Und ich hoffe, dass es mir besser geht. Deswegen komme ich ja auch hierher. Hier mit den anderen, da kann man ja nicht so sprechen, aber hier sind Gleichgesinnte. Stimmt’s?"
"Nicht weinen, es ist in Ordnung."
"Warum gerade mir muss das passieren."
Warum ich? - auf diese Frage gibt es bei Alzheimer keine Antwort, aber in der Tandemgruppe immerhin den Raum, sie zu stellen, bei Menschen, die genau verstehen, wovon die Rede ist.
"The Scottish Dementia working group is run by people and for with dementia, so that we can have our say in issues that affect us. We all have a diagnosis of dementia but that doesn’t mean we should be ignored and excluded. We still know what we want and should be listened to."
Die Scottish Dementia Working Group stellt sich auf einer DVD vor. In der Working Group haben sich 2002 Demenzkranke aus Schottland organisiert, um ihre eigenen Interessen mit ihrer eigenen Stimme zu vertreten. Zu den Gründungsmitgliedern gehört James McKillop.
"Es ist 100 Jahre her, seit Dr. Alzheimer die Krankheit beschrieben hat. Seitdem haben die Ärzte Gewerkschaften gebildet, Krankenschwestern haben Gewerkschaften, Busfahrer, Lockführer. Aber als ich meine Diagnose erhielt, gab es nirgendwo auf der Welt Gruppen von Demenzkranken. Das fand ich falsch. Wir werden ausgegrenzt. Ich habe mich immer gefragt, wie andere Menschen mit einer Demenz aussehen. Also habe ich mit Unterstützung von anderen Treffen organisiert. Wir haben gesprochen, nachgedacht, uns gefragt, was stört uns? Seitdem sind wir unsere eigenen Fürsprecher. Wir haben uns zusammengetan und kämpfen gemeinsam."
In der Scottish Dementia Working Group treffen sich Menschen, die an ganz unterschiedlichen Demenzen leiden. James McKillop hat eine vaskuläre Demenz. Kleine Schlaganfälle zerstören immer wieder winzige Nervenregionen. Er lebt zusammen mit seiner Frau, die seinen Alltag organisiert, sich darum kümmert, dass er sich rasiert, passende Kleidung anzieht, Termine nicht vergisst. Auf dieser Ebene ist er ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Trotzdem weiß er genau, was er will, er fotografiert, fährt auf einer autofreien Insel Rad und vor allem: Er arbeitet für die Working Group. Dort hat er auch Agnes Houston getroffen. Sie leidet an Alzheimer. Nach der Diagnose ist sie in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Auch wenn sich die Working Group als politische Interessenvertretung und nicht primär als Selbsthilfegruppe versteht, hat sie hier doch wertvolle Hilfe bekommen.
"Das war der Anfang eines neuen Lebens mit der Demenz, als ich zu der Gruppe stieß. Zum ersten Mal traf ich Leute mit derselben Diagnose, in verschiedenen Krankheitsstadien, die aktiv waren, lachten, Witze machten. Ich hatte das nicht für möglich gehalten. Das war toll. Ich musste mich neu erfinden, als Agnes mit Demenz, denn die berufstätige Agnes, die ihren Vater versorgte, die war verschwunden. Die Leute in der Working Group halfen mir, mit der Diagnose leben zu lernen. Es ist eine andere Art Leben aber genauso aufregend und glücklich vielleicht sogar noch mehr."
Der Wahlspruch der Working Group lautet: "Sprecht mit uns, nicht über uns!" Um diese Haltung zu verbreiten, bieten die Mitglieder Seminare an für angehende Ärzte, Krankenschwestern, Angehörige. Besonders wichtig ist den Demenzkranken die klassische politische Lobbyarbeit. Sie sind in regelmäßigem Kontakt mit der Gesundheitsverwaltung in verschiedenen Städten Schottlands, mit Politikern der schottischen Regierung bis hinauf zum Ministerpräsidenten. Es ist auch dem Druck der Working Group zu verdanken, dass Schottland den Umgang mit Demenzen zur nationalen Priorität erklärt hat, meint Edward McLaughlin, der wie James McKillop an einer vaskulären Demenz leidet.
"Seht es nicht als Problem, seht es als Herausforderung. Schottland ist dem Rest Europas beim Umgang mit der Demenz Lichtjahre voraus. Als wir den Ministerpräsidenten trafen, war der erste Eindruck nicht so gut, aber nach einer Weile verstand er, wir sind Menschen genau wie er. Und ich sagte, der politische Gewinn für ihn ist, dass seine Regierung von sich wird sagen können, wir haben tatsächlich etwas getan. Auf der ganzen Welt wird es in den nächsten Jahren eine Epidemie der Demenzen geben. Dies ist eine Chance, in einem Bereich die Führung zu übernehmen. Und wo man sich mit etwas hervortun kann, sind Politiker immer gerne dabei. Es kommt einfach darauf an, ihnen die richtigen Karten zuzuspielen. Und wir sind froh, wenn sie uns für ihre Zwecke einspannen. Das dient auch unseren Zielen."
In Deutschland ist ein solch offensiver Umgang mit der Demenz noch kaum verbreitet, aber es gibt Bestrebungen, die Kranken viel stärker in die Arbeit der Alzheimerhilfe und ähnlicher Organisation mit einzubeziehen. Die Scottish Working Group ist derweil dabei, für zwei wichtige politische Ziele zu kämpfen. Das erste ist die Ausweitung der Kurzzeitpflege. Dieses Programm ermöglicht eine zeitlich begrenzte Versorgung der Demenzkranken auf Kassenkosten, damit die Angehörigen auch einmal Zeit für sich bekommen, vielleicht für einen Erholungsurlaub. Die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze aber ist nach Ansicht der Betroffenenverbände in Schottland ähnlich wie in Deutschland viel zu niedrig. Das zweite politische Ziel der Working Group ist ein klares Bewertungssystem für Pflegeangebote. Es soll den Patienten Orientierung bieten, damit sie sich für das richtige Heim entscheiden können. Agnes Houston:
"Wenn ich ins Heim muss - die Krankheit wird ja voranschreiten - will ich in ein Top-Pflegeheim. Dafür kämpft die Gruppe bei der Pflegekommission. Wir sagen, wir werden nur das Beste akzeptieren. Warum sollten wir uns mit weniger zufrieden geben, nur weil wir an Demenz leiden? Die Scottish Working Group sagt den Politikern: Wie es jetzt läuft, ist es nicht gut genug, wir verlangen mehr. Uns steht das Beste zu, genau wie Menschen mit Zuckerkrankheit, Krebs oder anderen chronischen Krankheiten."
"Eine Idee gibt es - im Sommer wir fahren in den Spreewald, das steh schon mal im Terminkalender. Oder wo auch immer, in meinem vielleicht auch eher. Welcher Monat ist das denn? Im Juni, am 25."
Die Gruppe am St. Hedwigs Krankenhaus überlegt sich Ziele für die nächsten Treffen. Noch vor der Spreewaldfahrt steht ein Grillfest an. Auch wenn die Organisation schwierig ist, gemeinsam werden sie es schaffen.
"Ihr Mann, ihr Mann hat uns, also uns hat er eingeladen. Der wollte auch ein Grillfest machen."
"Welcher Mann?"
"Von ihr, ihr Mann."
"Frau Dollner wissen Sie davon, dass bei Ihnen eine Grillparty steigen soll?"
"Was soll es da noch geben?"
"Ein Grillfest. Vielleicht sollten Sie da noch mal mit ihrem Mann sprechen."
"In Ihrem Garten."
"Mit dem Fahrrad?"
"In Ihrem Garten."
"Freuen wir uns schon."
Einfach ist das Leben mit der Demenz nicht. Wenn die Scottish Dementia Working Group, wenn die Tandem Gruppen und das Kordial Projekt, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben im Angesicht des Gedächtnisverlustes fordern, dann fordern sie vor allem Unterstützung. Diese Hilfe ist gerade am Anfang des Krankheitsprozesses wichtig. Solange die Probleme spürbar, aber noch beherrschbar sind, können die Betroffenen Ressourcen für später aufbauen. Sie können Weichen stellen, so dass ihre Pflege in einer Weise verläuft, die ihrer Persönlichkeit entspricht, auch wenn von dieser Persönlichkeit kaum noch etwas zu spüren sein wird. Die Persönlichkeit sollte das Zentrum jedes Angebotes für Demenzpatienten sein, so Mechthild Niemann-Mirmehdi. Das Gesundheitssystem kümmert sich derzeit vor allem um den Körper der Kranken, die Pflege. Zum Leben gehört aber mehr, und das gilt auch, wenn das Gedächtnis schon weitgehend verloren ist. Niemann-Mirmehdi:
"Wenn ich an die Versorgungsstruktur denke, dann ist es unglaublich schwierig für einen allein Lebenden zum Beispiel jemanden zu finden, der ihm das ermöglicht oder auch in Heimen ermöglicht, die für uns alle Lebensqualität ausmachen. Nehmen wir den Sommerabend, wo man gerne abends auch mal draußen sitzt und ein Glas Wein trinkt oder ein Eis isst, oder nehmen wir den Konzertbesuch oder nehme wir den Kirchenbesuch oder alle Dinge die sehr unterschiedlich Lebensqualität ausmachen können. Dann ist da eine Lücke in unseren Versorgungsstrukturen, dass diese Dinge nicht mit in den Vordergrund gestellt werden."
Eine optimale Versorgung ist in Deutschland noch nicht einmal im rein medizinischen Bereich gesichert. Am klarsten zeigt sich das bei den Medikamenten. Eine aktuelle Studie in Berlin zeigt, dass nur etwa ein Fünftel der Betroffenen die Wirkstoffe erhält, von denen sie profitieren könnten. Die Versorgung durch Ergotherapeuten, Krankengymnasten oder Psychotherapeuten dürfte eher noch schlechter sein. Jens Bohlken sieht aber einen positiven Trend.
"Ich habe deswegen Hoffnung weil wir für den Zeitraum von 2002 bis 2007 zeigen können, dass die Verordnung der Antidementiva um mehr als das Zweieinhalbfache zugenommen hat. Ich bin auch positiv gestimmt durch die Projekte des Bundesministeriums für Gesundheit, die so genannte Leuchtturmprojekte, dass sich hier etwas tun wird, dass nicht medikamentöse Therapiemaßnahmen den Demenzpatienten häufiger und möglicherweise in Zukunft regelhaft zuteil werden."
Der therapeutische Nihilismus früherer Zeiten, die Überzeugung, gegen die Demenz lässt sich nichts machen, die ist heute überholt. Gerade in der ersten Krankheitsphase können Medikamente und Hilfsangebote einen wichtigen Unterschied machen. Diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben, nur weil sich die Krankheit letztlich nicht aufhalten lässt, so Edward McLaughlin.
"Wir sehen Leute sterben, ins Heim verschwinden, weil sie einfach nicht mehr zurecht kommen. Uns ist bewusst, dass das letztlich auch auf uns zukommt. Aber das nimmt mir nicht den Mut, dem muss man sich stellen. Ich würde sagen, mein Leben hat sich in den letzten Jahren verbessert, ich genieße es. Man darf nicht immer nur daran denken, dass das Gedächtnis weiter nachlassen, dass sich die Situation verschlechtern wird. Das ist so im Leben, das ist so im Alter und mit allem, wenn man darüber nachdenkt."
Gerade weil das Ende, das völlige Verschwinden der eigenen Persönlichkeit, unausweichlich ist, sind die Jahre, Wochen und Tage davor so wichtig, denkt auch Ingelore Dönicke.
"Ich bin schon der Auffassung, dass das Ende meiner Krankheit kommen wird. Sie kommt, und es ist so. Das heißt mit anderen Worten es muss schon ausgesprochen werden, so, du hattest noch eine gute Zeit, in dieser Etappe und nun gehst du einfach weg. Schluss aus. So stelle ich mir das vor."
Dienstag Nachmittag, eine kleine Küche im Berliner St. Hedwigs-Krankenhaus. Wie jede Woche trifft sich eine Gruppe ältere Menschen gemeinsam mit einem jungen Ergotherapeuten und einer Begleiterin.
"Dann begrüße ich erst alle noch einmal ganz offiziell. Hallo. Mögen alle Kaffee? Frau Senftleben, Kaffee?"
"Ja doch."
"Ich schenk Ihnen mal ein. Ich mach mal den Start. Haben Sie auch Milch bei? Wie war das Wetter draußen in Marzahn?"
"Wetter ist schon gut."
"Das ist ja wichtig, was heißt gut?"
"Das Wetter war gut, hab ich gesagt. Das heißt, die Sonne scheint. Wir hatten schönes Wetter, wir waren im Urlaub und hatten schönes Wetter gehabt."
"Sie waren sogar im Urlaub. Übers Wochenende?"
"Nein."
Die Gespräche drehen sich ums Wetter, den nächsten Urlaub, und sie drehen sich manchmal im Kreis. Daran stört sich hier niemand, kleine Unachtsamkeiten passieren schließlich jedem in der Runde. Sie alle kämpfen mit ihrem Gedächtnis, sie alle leiden an einer Demenz. Waltraud Lüke:
"Wenn ich hier her komme, die sind ja alle so wie ich. Ein bisschen krank. Es ist eine Unterhaltung, und man sieht, wenn andere das auch haben, dann ist man nicht so traurig. Und hier unser Herr Preschel: Der ist sehr nett, und das ist mal was anderes, als wenn man immer zu Hause sitzt."
Ingelore Dönicke:
"Die Hauptsache ist, dass für mich die Gruppe das ist, wo ich meine Freude an dem, was ich mache, noch mehr unterstützen kann."
"Ja mein Name ist Joachim John. Ich war eigentlich nicht so krank, dass ich mit meinem Gedächtnis nicht zurecht kam oder komme, sondern mich hat das einfach interessiert. Ich weiß gar nicht, ich bin einfach hier reingeschneit und bin einfach hier."
"Senftleben, Margitta. Ich bin schon länger in der Gruppe. Ich find die alle ganz nett, ja."
Seit vier Jahren treffen sich Margitta Senftleben, Rosita Dollner, Ingelore Dönicke, Joachim John, Waltraud Lüke und die anderen einmal in der Woche für vier Stunden. Ein ganzer Nachmittag, der nur ihnen gehört, ihren Interessen, ihren Plänen. Ein Nachmittag, der Raum gibt für Gespräche und die Gelegenheit, einfach nur Spaß zu haben. Spaß haben. Trotz Alzheimer, mit Alzheimer. Ausgedacht hat sich dieses Angebot Mechthild Niemann-Mirmehdi. Die Leiterin der therapeutischen Dienste der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwigs-Krankenhaus. Schon seit vielen Jahren arbeitet sie in Gedächtnissprechstunden.
"Wenn ich mich erinnere an die 90er Jahre, dann kamen doch häufig Menschen in die Gedächtnissprechstunde in einem sehr schweren Krankheitsstadium. Das hat sich in den letzten Jahren vehement geändert, deutlich geändert. Die Patienten kommen sehr, sehr viel früher."
Das Bild der Alzheimerschen Krankheit verändert sich. Lange prägte das Endstadium des Leidens die öffentliche Diskussion. Hilflose Menschen in Pflegeheimen, die kaum reagieren, die sich selbst verloren haben. Es gibt aber immer mehr Patienten, die noch am Anfang des unausweichlichen Krankheitsprozesses stehen. Ihr Gedächtnis mag beeinträchtigt sein, aber ihre Persönlichkeit ist unbeschadet. Diese neue Gruppe der Alzheimerpatienten wächst, weil die Krankheit heute früher erkannt wird. Und das liegt nicht an neuen Diagnosemethoden, sondern daran, dass ältere Menschen wie Ingelore Dönicke wissen wollen, was hinter einer zunehmenden Vergesslichkeit steckt.
"Im Alltag merkt man das so, dass ich ganz normal aufgestanden bin und feststellte, dass überhaupt nichts mehr geht in dem Sinne. Und zwar, ich wollte mich anziehen, es ging nicht. Ich wollte für das, den Tag mir, wie immer, was holen, einholen, ich war ja alleine zu dieser Zeit. Und es ging nicht, es ging eigentlich gar nichts mehr."
Ist das nun der natürliche Preis des Alters, oder eine Depression, eine Demenz? Ingelore Dönicke war besorgt. Wie viele Rentner hatte sie im Fernsehen und den Zeitungen schon etwas von Alzheimer gehört und gelesen. Sie machte sich Sorgen, und wollte die Chance nicht verpassen, die etwa Medikamente bieten. Klarheit verschaffte ihr ein Besuch beim Arzt. Gedächtnissprechstunden oder Neurologen, wie Dr. Jens Bohlken können der Ursache der Vergesslichkeit auf den Grund gehen.
"Ein einfaches Kriterium ist zu schauen, ob jemand im Alltag seine Aufgaben nicht mehr so gut erledigen kann. Dass er nicht mehr so gerne zur Bank geht, vermeidet ans Telefon zu gehen. Dass man merkt, dass er einer Unterhaltung nicht mehr vernünftig folgen kann, oder dass er immer wieder in gleicher Art und Weise antwortet. Dass eine geringere Umstellungsfähigkeit da ist, das wären Kriterien die man in einer Befragung Angehörigen, der Patienten herausbekommen kann und dann schon die Vermutung haben kann hier könnte eine beginnende Demenzerkrankung vorliegen."
Die Mehrheit der Besorgten kann Jens Bohlken beruhigen. Ihre Vergesslichkeit bewegt sich im normalen Rahmen. Wenn es aber Hinweise auf eine Demenz gibt, ist es Zeit für gezielte psychologische Tests. Nach ungefähr einer halben Stunde Rätsellösen und einer Röntgen-Aufnahme vom Gehirn stand bei Ingelore Dönicke fest, ihr Gedächtnis wird von der Alzheimerschen Krankheit angegriffen. Ethiker und Ärzte haben lange darüber gestritten, ob eine so frühe Warnung vor dem unabwendbaren Gleiten ins Vergessen überhaupt Sinn macht, ob sie eine Phase der Angst nicht nur unnötig verlängert. Und die Angst ist unausweichlich, ist für fast alle der erste Schritt, sich selbst neu zu erleben, als Mensch mit Alzheimer. Ingelore Dönicke:
"Die Diagnose kam und denn stand es drauf. Und das wusste ich aber vorher in dem Moment schon. Ich habe viel gemacht, um sozusagen nicht pausenlos zu heulen und dieses und jenes. Die Tränen waren da, ist auch klar. Aber ich habe auch oft genug die Tür zugemacht und zu den Kindern gesagt, ich möchte nicht, dass ihr mit mir sprecht und so."
Die Zeit der Trauer ist für Ingeborg Dönicke vorbei, sie ist offensiv mit der Diagnose Alzheimer umgegangen, hat mit ihren Kindern, den Nachbarn gesprochen. Die klare Diagnose ermöglichte ihr, einen neuen Abschnitt im ihrem Leben zu beginnen. Mechthild Niemann-Mirmehdi kennt viele ähnliche Geschichten.
"Meine Erfahrung ist, dass die Patienten selber und auch die Angehörigen erleichtert sind, wenn sie diesem Gedächtnisproblem oder diesen Problemen, mit denen sie sich ja häufig schon zwei, drei, vier Jahren rumgeschlagen haben, bevor sie zum Arzt gehen, wenn sie diesem Problem eine Erklärung geben können. Und es kommt ohne diese Erklärung auch zu Missverständnissen. Bis dahingehend , dass Kinder ihren Eltern Unrecht tun, weil sie denken, sie vergessen die Geburtstage, sind nachlässiger geworden, sind nicht mehr zuverlässig und haben häufig persönliche Gründe dafür. Und das entspannt sich natürlich enorm, wenn klar ist, es ist eine Erkrankung. Es ist kein böser Wille, es ist kein Fahrlässigkeit, Nachlässigkeit oder Unfreundlichkeit, sondern es ist einfach krankheitsbedingt."
Noch vor zehn Jahren hätten die Ärzte Ingelore Dönicke außer guten Worten wenig mitgeben können. Inzwischen gibt es Medikamente. Sie halten die Zerstörung der Nervenzellen nicht auf, aber sie aktivieren Reserven im Gehirn. Wie gut sie anschlagen, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Manche profitieren gar nicht, andere wachen aus dem Vergessen auf. Im Durchschnitt gewinnen die Patienten ein Jahr, bevor die Krankheit wieder die Oberhand gewinnt. Ein Jahr, in dem sie vielleicht Abschied nehmen können von ihren Verwandten, ein Jahr in dem sie sich auf das Unausweichliche vorbereiten können. Dabei brauchen sie Unterstützung, so Jens Bohlken.
"Ich glaube, dass ein ganz wichtiger Teil der Versorgung der Demenzkranken auch ein zuwendungsorientierter Teil ist. Also dass die Patienten nicht nur sehen, dass der Arzt eine Tablette verschreibt, sondern dass er sich auch auf die menschlichen Probleme, die mit dieser Erkrankung einhergehen, und die sind sehr vielfältiger Natur, dass er darauf eingeht."
Es gibt eine ganze Reihe von Hilfestellungen für Patienten am Anfang ihres Lebens mit Alzheimer. Gedächtnistraining, Ergotherapie, Sportgruppen. Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat versucht, die Wirksamkeit solcher nicht medikamentöser Verfahren bei Demenzen zu beurteilen. Das Fazit fällt ernüchternd aus: Es gibt schlicht keine Studien, die einen Effekt belegen könnten. Die Bundesregierung hat auch aus diesem Grund ein Forschungsprogramm angeschoben. Die so genannten Leuchtturmprojekte sollten endlich Klarheit bringen: Welche Ansätze und Projekte helfen den Patienten in den verschiedenen Krankheitsstadien wirklich?
"Das ist eine Kiste, kann man wirklich sagen, die fängt an, die fängt an, als kleiner, das zum Beispiel.."
"Das ist ja toll das ist so ein richtig altes Foto."
"Ja, ja, Papa hat die Dinger geschossen, diese kleine, mit so einer schönen alten Kamera."
"Die sind ja teilweise gestochen klar das ist unglaublich. Sind Sie das im Matrosenanzug? Und die Dame?"
"Das war Mutti."
Ein Mann lässt sein Leben Revue passieren. Die Neuropsychologin und Verhaltenstherapeutin Dr. Andrea Diebel hat ihn aufgefordert, Erinnerungsstücke mitzubringen. Diebel:
"Wir ermutigen in dieser Biographiearbeit Patienten dazu, sich gerade wieder an schöne Dinge sich zu erinnern. Das ist ganz wichtig für das Selbstwertgefühl. Es ist wichtig, eben um diese schönen Gefühle auch wieder zu evozieren, und da gibt es einige effektive Möglichkeiten. Beispielsweise wirklich alte Schallplatten heraus zu kramen und diese zu hören, dann vielleicht von einem alten Geschirr essen, sein Hochzeitskleid anschauen oder alte Orte aufsuchen, das Geburtshaus. Das ist ganz wichtig um die eigene Identität."
Im Rahmen des Forschungsprojektes Kordial betreut Andrea Diebel Alzheimerpatienten im Frühstadium der Krankheit. In zwölf Sitzungen vermittelt sie ihnen Techniken, die helfen können, noch eine ganze Zeit lang trotz der zunehmenden Gedächtnisprobleme zurechtzukommen. Das reicht von einfachen Tipps wie dem Führen eines großen Kalenders, in dem alle wichtigen und weniger wichtigen Termine eingetragen werden, über das Einüben von Routinen, die sicher stellen, dass etwa der Schlüssel an immer derselben Stelle abgelegt wird, bis hin zu Methoden, die eigene Stimmung aufzuhellen. Etwa über ein Fotoalbum zu schönen Erlebnissen. Noch wichtiger ist es aber, sich nicht zurückzuziehen, sondern aktiv zu bleiben. Diebel:
"Das gilt eigentlich nicht nur für Alzheimerpatienten sondern eigentlich für jeden Menschen. Je mehr wir tun, desto besser wird auch unsere Stimmung. Wenn ich aktiv bin, dann habe ich Erfolgserlebnisse, ich habe Zugang zu so genannten Verstärkern, also das, was wir belohnend empfinden. Das kann soziale Aktivität sein. Das kann sein, etwas geschafft zu haben, etwas erledigt zu haben, aber eben auch sich mit angenehmen Dingen zu beschäftigen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass mit der Aktivität eben auch die Stimmung steigt, und genau das machen wir uns zu nutze."
Nach der Diagnose Alzheimer ziehen sich viele Menschen zurück, nutzen nicht einmal mehr die Möglichkeiten, die sie noch besitzen. Hier will das Projekt Kordial, hier will Andrea Diebel gegensteuern. Natürlich benötigen die Alten dabei Unterstützung.
"Ich denke, gerade eine Patientin, die nach vielen Jahren ihre langjährige Freundin wieder besuchen möchte. Dazu ist eine lange Zugfahrt erforderlich und sie hat große Befürchtungen, dass sie diese Reise nicht gut planen kann, dass etwas schief geht am Bahnhof. Und genau da ist es wichtig, diese Ängste ernst zu nehmen, zu thematisieren aber auch Hilfsmaßnahmen zu implementieren und Vorschläge zu machen, was man alles tun kann, damit eben die Reise klappt, aber dass man auch bespricht, was tue ich denn, wenn wirklich Probleme auftreten. Wenn wir uns am Bahnhof verpassen oder dergleichen. Also ganz wichtig ist, diese Befürchtungen und Ängste ernst zu nehmen und zu thematisieren, weil nur dann kann man sie verändern."
Von ihren Patienten bekommt Andrea Diebel viel positive Resonanz. Ob Kordial auch auf längere Sicht das Leben mit Alzheimer erleichtert, muss sich dagegen erst noch zeigen. Das Programm enthält Elemente der Verhaltenstherapie und der Neuropsychologie, die in einer stark strukturierten Form aufeinander aufbauen. So ist sichergestellt, dass Therapeuten in ganz Deutschland nach demselben Muster behandeln und nach einigen Jahren klare Aussagen über den Effekt von Kordial möglich sein werden.
"Na Frau Senftleben was sagen Sie?"
"Was denn?"
"Wir gucken mal vor die Tür."
"Ja."
"Ein bisschen frische Luft."
"Frau Dollner, machen wir uns langsam startklar? Dass wir noch einmal gucken, die Toilette aufsuchen bei Gelegenheit. Und dann schnappen wir uns die Jacke und gehen vor die Tür."
In Berlin macht sich die Gruppe der Demenzkranken auf den Weg. Es geht zum Gendarmenmarkt, zu den seltenen Schnurbäumen.
"Mir gefällt der Baum, er ist so schön gewachsen und groß und breit."
"Zwei Schnurbäume oder was heißt das."
"Wir reden gerade über den Spatz. Der eine hat das Brot und der andere hat es ihm gestohlen."
"Ja, ja. Ist süß."
"Ich glaube wir müssen zu unsrem Heimatort und dann trinken wir noch ein bisschen Kaffee, glaube ich. Kaffee ist, glaube ich, noch da."
Im Frühling sind die dünnen Früchte des Schnurbaums noch nicht zu sehen. Trotzdem sind alle froh, wieder einmal raus zu kommen, etwas gemeinsam zu unternehmen. Die Frauen und Männer treffen sich seit vier Jahren jede Woche, ihre Angehörigen kommen einmal im Monat zusammen. Tandemgruppen nennt sich das Konzept. In einem weiteren Leuchtturmprojekt wird seine Wirksamkeit derzeit untersucht, ganz ähnlich wie bei Kordial. Mechthild Niemann-Mirmehdi:
"Da geht es darum, dass die entsprechend ihren Interessen gemeinsam Unternehmungen machen, das können Wanderungen, Spaziergänge, Ausflüge, Kino, Ähnliches sein. Wichtig ist, dass Gemeinschaften gleich Betroffener zusammenkommen. Dass sie relativ früh unterstützt werden in Aktivierungen, nicht depressiv werden, sich nicht zurückziehen."
Weil die Menschen mit Alzheimer in einem frühen Stadium in den Tandemgruppen zusammenfinden, entwickeln sie Bindungen, die auch dann noch halten, wenn das Gedächtnis sie immer mehr im Stich lässt. Für Ingelore Dönicke ist der Rückhalt der Gruppe unverzichtbar. Das galt besonders in der Zeit, als ihr Mitbewohner sich von ihr abwandte.
"Für ihn war ich nach kurzer Zeit, na, wie sagt man das so, war ich eine, die faul ist, die nichts mehr machen möchte und so weiter, und so weiter. So hat er diesen Block für sich abgetan. Und dadurch wurde es natürlich etwas schwerer, die ganze Sache. Und weil ich nicht haben wollte, dass ich jeden Tag höre, dass ich doof bin und so weiter, auch alles von diesem gleichen Mann. Doof und ach, guck doch mal, wie du aussiehst und so weiter. Und das ist dahin gegangen, dass ich einfach ihn mit vielen Freunden, dass ich ihn dann rausgeschmissen hab. Und das ist jetzt eine schöne Sache geworden. Ich war auf einmal ganz allein und fröhlich und zufrieden und mit großem, vielem Spaß."
Heute lebt Ingelore Dönicke in einer betreuten Wohngemeinschaft und besteht auf ihrem Recht auf Spaß, Alzheimer hin oder her. Mechthild Niemann-Mirmehdi:
"Das sind Dinge, da müssen Angehörige auch hinein wachsen. Also dass es auch hier eben nicht unbedingt darum geht, durch so eine Aktivierungsgruppe, so eine Betroffenengruppe, besser zu werden im Gedächtnis oder auch den Krankheitsverlauf aufzuhalten. Es kann nicht darum gehen, die Krankheit wird nicht besser. Sondern dass es darum geht, mehr teilhaben zu können am Leben, mehr Spaß zu haben und auch mehr aktiv sich sozusagen in diesem Leben zu engagieren, auch auf Patientenseite, und auch das Gefühl zu haben, irgendwo dazuzugehören."
Die Kranken selbst sollen nach eigenen Vorstellungen aktiv werden. Mechthild Niemann-Mirmehdi versucht, den Angehörigen bei deren Treffen nahezubringen, dass sie ihren Partnern oder Eltern diesen Freiraum auch zugestehen sollten. Dass es dabei Reibungen gibt, ist selbstverständlich, innerhalb der Familie aber auch im öffentlichen Raum. Nicht jedes Restaurant toleriert Gäste, die nicht mehr mit Messer und Gabel essen können. Viele reagieren genervt, wenn ein Gespräch nicht gradlinig, sondern verschlungen, in Brüchen verläuft. In Geschäften gibt es Ärger, wenn jemand im Wortsinn vergisst zu bezahlen. Die Tandemgruppen sollen die Patienten und ihre Angehörigen darin bestärken, mit solchen Situationen offensiv umzugehen, um Verständnis nicht zu bitten, sondern es einzufordern. Das erfordert große Kraft. Waltraud Lüke kränkt besonders, dass sie in Gesprächen oft hinter ihrem Mann verschwindet.
"Die sollen nicht denken dass ich doof bin. Echt ja. Denn es gibt Leute, die..., früher waren die immer sehr nett und jetzt sind die so, als ob man doof ist. Aber mich interessiert das nicht. Mein Mann, er gibt sich so viel Mühe und ich werde überhaupt nicht beachtet, ja. Man denkt, man ist doof, weil man... aber mich ärgert das nicht, soll jeder denken was er will. Wir gehen ganz viel spazieren, mein Mann ist auch ganz nett und so. Und ich hoffe, dass es mir besser geht. Deswegen komme ich ja auch hierher. Hier mit den anderen, da kann man ja nicht so sprechen, aber hier sind Gleichgesinnte. Stimmt’s?"
"Nicht weinen, es ist in Ordnung."
"Warum gerade mir muss das passieren."
Warum ich? - auf diese Frage gibt es bei Alzheimer keine Antwort, aber in der Tandemgruppe immerhin den Raum, sie zu stellen, bei Menschen, die genau verstehen, wovon die Rede ist.
"The Scottish Dementia working group is run by people and for with dementia, so that we can have our say in issues that affect us. We all have a diagnosis of dementia but that doesn’t mean we should be ignored and excluded. We still know what we want and should be listened to."
Die Scottish Dementia Working Group stellt sich auf einer DVD vor. In der Working Group haben sich 2002 Demenzkranke aus Schottland organisiert, um ihre eigenen Interessen mit ihrer eigenen Stimme zu vertreten. Zu den Gründungsmitgliedern gehört James McKillop.
"Es ist 100 Jahre her, seit Dr. Alzheimer die Krankheit beschrieben hat. Seitdem haben die Ärzte Gewerkschaften gebildet, Krankenschwestern haben Gewerkschaften, Busfahrer, Lockführer. Aber als ich meine Diagnose erhielt, gab es nirgendwo auf der Welt Gruppen von Demenzkranken. Das fand ich falsch. Wir werden ausgegrenzt. Ich habe mich immer gefragt, wie andere Menschen mit einer Demenz aussehen. Also habe ich mit Unterstützung von anderen Treffen organisiert. Wir haben gesprochen, nachgedacht, uns gefragt, was stört uns? Seitdem sind wir unsere eigenen Fürsprecher. Wir haben uns zusammengetan und kämpfen gemeinsam."
In der Scottish Dementia Working Group treffen sich Menschen, die an ganz unterschiedlichen Demenzen leiden. James McKillop hat eine vaskuläre Demenz. Kleine Schlaganfälle zerstören immer wieder winzige Nervenregionen. Er lebt zusammen mit seiner Frau, die seinen Alltag organisiert, sich darum kümmert, dass er sich rasiert, passende Kleidung anzieht, Termine nicht vergisst. Auf dieser Ebene ist er ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Trotzdem weiß er genau, was er will, er fotografiert, fährt auf einer autofreien Insel Rad und vor allem: Er arbeitet für die Working Group. Dort hat er auch Agnes Houston getroffen. Sie leidet an Alzheimer. Nach der Diagnose ist sie in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Auch wenn sich die Working Group als politische Interessenvertretung und nicht primär als Selbsthilfegruppe versteht, hat sie hier doch wertvolle Hilfe bekommen.
"Das war der Anfang eines neuen Lebens mit der Demenz, als ich zu der Gruppe stieß. Zum ersten Mal traf ich Leute mit derselben Diagnose, in verschiedenen Krankheitsstadien, die aktiv waren, lachten, Witze machten. Ich hatte das nicht für möglich gehalten. Das war toll. Ich musste mich neu erfinden, als Agnes mit Demenz, denn die berufstätige Agnes, die ihren Vater versorgte, die war verschwunden. Die Leute in der Working Group halfen mir, mit der Diagnose leben zu lernen. Es ist eine andere Art Leben aber genauso aufregend und glücklich vielleicht sogar noch mehr."
Der Wahlspruch der Working Group lautet: "Sprecht mit uns, nicht über uns!" Um diese Haltung zu verbreiten, bieten die Mitglieder Seminare an für angehende Ärzte, Krankenschwestern, Angehörige. Besonders wichtig ist den Demenzkranken die klassische politische Lobbyarbeit. Sie sind in regelmäßigem Kontakt mit der Gesundheitsverwaltung in verschiedenen Städten Schottlands, mit Politikern der schottischen Regierung bis hinauf zum Ministerpräsidenten. Es ist auch dem Druck der Working Group zu verdanken, dass Schottland den Umgang mit Demenzen zur nationalen Priorität erklärt hat, meint Edward McLaughlin, der wie James McKillop an einer vaskulären Demenz leidet.
"Seht es nicht als Problem, seht es als Herausforderung. Schottland ist dem Rest Europas beim Umgang mit der Demenz Lichtjahre voraus. Als wir den Ministerpräsidenten trafen, war der erste Eindruck nicht so gut, aber nach einer Weile verstand er, wir sind Menschen genau wie er. Und ich sagte, der politische Gewinn für ihn ist, dass seine Regierung von sich wird sagen können, wir haben tatsächlich etwas getan. Auf der ganzen Welt wird es in den nächsten Jahren eine Epidemie der Demenzen geben. Dies ist eine Chance, in einem Bereich die Führung zu übernehmen. Und wo man sich mit etwas hervortun kann, sind Politiker immer gerne dabei. Es kommt einfach darauf an, ihnen die richtigen Karten zuzuspielen. Und wir sind froh, wenn sie uns für ihre Zwecke einspannen. Das dient auch unseren Zielen."
In Deutschland ist ein solch offensiver Umgang mit der Demenz noch kaum verbreitet, aber es gibt Bestrebungen, die Kranken viel stärker in die Arbeit der Alzheimerhilfe und ähnlicher Organisation mit einzubeziehen. Die Scottish Working Group ist derweil dabei, für zwei wichtige politische Ziele zu kämpfen. Das erste ist die Ausweitung der Kurzzeitpflege. Dieses Programm ermöglicht eine zeitlich begrenzte Versorgung der Demenzkranken auf Kassenkosten, damit die Angehörigen auch einmal Zeit für sich bekommen, vielleicht für einen Erholungsurlaub. Die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze aber ist nach Ansicht der Betroffenenverbände in Schottland ähnlich wie in Deutschland viel zu niedrig. Das zweite politische Ziel der Working Group ist ein klares Bewertungssystem für Pflegeangebote. Es soll den Patienten Orientierung bieten, damit sie sich für das richtige Heim entscheiden können. Agnes Houston:
"Wenn ich ins Heim muss - die Krankheit wird ja voranschreiten - will ich in ein Top-Pflegeheim. Dafür kämpft die Gruppe bei der Pflegekommission. Wir sagen, wir werden nur das Beste akzeptieren. Warum sollten wir uns mit weniger zufrieden geben, nur weil wir an Demenz leiden? Die Scottish Working Group sagt den Politikern: Wie es jetzt läuft, ist es nicht gut genug, wir verlangen mehr. Uns steht das Beste zu, genau wie Menschen mit Zuckerkrankheit, Krebs oder anderen chronischen Krankheiten."
"Eine Idee gibt es - im Sommer wir fahren in den Spreewald, das steh schon mal im Terminkalender. Oder wo auch immer, in meinem vielleicht auch eher. Welcher Monat ist das denn? Im Juni, am 25."
Die Gruppe am St. Hedwigs Krankenhaus überlegt sich Ziele für die nächsten Treffen. Noch vor der Spreewaldfahrt steht ein Grillfest an. Auch wenn die Organisation schwierig ist, gemeinsam werden sie es schaffen.
"Ihr Mann, ihr Mann hat uns, also uns hat er eingeladen. Der wollte auch ein Grillfest machen."
"Welcher Mann?"
"Von ihr, ihr Mann."
"Frau Dollner wissen Sie davon, dass bei Ihnen eine Grillparty steigen soll?"
"Was soll es da noch geben?"
"Ein Grillfest. Vielleicht sollten Sie da noch mal mit ihrem Mann sprechen."
"In Ihrem Garten."
"Mit dem Fahrrad?"
"In Ihrem Garten."
"Freuen wir uns schon."
Einfach ist das Leben mit der Demenz nicht. Wenn die Scottish Dementia Working Group, wenn die Tandem Gruppen und das Kordial Projekt, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben im Angesicht des Gedächtnisverlustes fordern, dann fordern sie vor allem Unterstützung. Diese Hilfe ist gerade am Anfang des Krankheitsprozesses wichtig. Solange die Probleme spürbar, aber noch beherrschbar sind, können die Betroffenen Ressourcen für später aufbauen. Sie können Weichen stellen, so dass ihre Pflege in einer Weise verläuft, die ihrer Persönlichkeit entspricht, auch wenn von dieser Persönlichkeit kaum noch etwas zu spüren sein wird. Die Persönlichkeit sollte das Zentrum jedes Angebotes für Demenzpatienten sein, so Mechthild Niemann-Mirmehdi. Das Gesundheitssystem kümmert sich derzeit vor allem um den Körper der Kranken, die Pflege. Zum Leben gehört aber mehr, und das gilt auch, wenn das Gedächtnis schon weitgehend verloren ist. Niemann-Mirmehdi:
"Wenn ich an die Versorgungsstruktur denke, dann ist es unglaublich schwierig für einen allein Lebenden zum Beispiel jemanden zu finden, der ihm das ermöglicht oder auch in Heimen ermöglicht, die für uns alle Lebensqualität ausmachen. Nehmen wir den Sommerabend, wo man gerne abends auch mal draußen sitzt und ein Glas Wein trinkt oder ein Eis isst, oder nehmen wir den Konzertbesuch oder nehme wir den Kirchenbesuch oder alle Dinge die sehr unterschiedlich Lebensqualität ausmachen können. Dann ist da eine Lücke in unseren Versorgungsstrukturen, dass diese Dinge nicht mit in den Vordergrund gestellt werden."
Eine optimale Versorgung ist in Deutschland noch nicht einmal im rein medizinischen Bereich gesichert. Am klarsten zeigt sich das bei den Medikamenten. Eine aktuelle Studie in Berlin zeigt, dass nur etwa ein Fünftel der Betroffenen die Wirkstoffe erhält, von denen sie profitieren könnten. Die Versorgung durch Ergotherapeuten, Krankengymnasten oder Psychotherapeuten dürfte eher noch schlechter sein. Jens Bohlken sieht aber einen positiven Trend.
"Ich habe deswegen Hoffnung weil wir für den Zeitraum von 2002 bis 2007 zeigen können, dass die Verordnung der Antidementiva um mehr als das Zweieinhalbfache zugenommen hat. Ich bin auch positiv gestimmt durch die Projekte des Bundesministeriums für Gesundheit, die so genannte Leuchtturmprojekte, dass sich hier etwas tun wird, dass nicht medikamentöse Therapiemaßnahmen den Demenzpatienten häufiger und möglicherweise in Zukunft regelhaft zuteil werden."
Der therapeutische Nihilismus früherer Zeiten, die Überzeugung, gegen die Demenz lässt sich nichts machen, die ist heute überholt. Gerade in der ersten Krankheitsphase können Medikamente und Hilfsangebote einen wichtigen Unterschied machen. Diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben, nur weil sich die Krankheit letztlich nicht aufhalten lässt, so Edward McLaughlin.
"Wir sehen Leute sterben, ins Heim verschwinden, weil sie einfach nicht mehr zurecht kommen. Uns ist bewusst, dass das letztlich auch auf uns zukommt. Aber das nimmt mir nicht den Mut, dem muss man sich stellen. Ich würde sagen, mein Leben hat sich in den letzten Jahren verbessert, ich genieße es. Man darf nicht immer nur daran denken, dass das Gedächtnis weiter nachlassen, dass sich die Situation verschlechtern wird. Das ist so im Leben, das ist so im Alter und mit allem, wenn man darüber nachdenkt."
Gerade weil das Ende, das völlige Verschwinden der eigenen Persönlichkeit, unausweichlich ist, sind die Jahre, Wochen und Tage davor so wichtig, denkt auch Ingelore Dönicke.
"Ich bin schon der Auffassung, dass das Ende meiner Krankheit kommen wird. Sie kommt, und es ist so. Das heißt mit anderen Worten es muss schon ausgesprochen werden, so, du hattest noch eine gute Zeit, in dieser Etappe und nun gehst du einfach weg. Schluss aus. So stelle ich mir das vor."