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Demo gegen Corona-Regeln
"Es muss der gleiche Maßstab gelten wie bei der BlackLivesMatter-Demo"

In Berlin darf eine zunächst verbotene Demo gegen die Corona-Schutzmaßnahmen nun doch stattfinden. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch begrüßte das Gerichtsurteil und sagte im Dlf, Berlins Innensenator habe die Demo untersagen wollen, weil sie ihm "politisch nicht in den Kram passt".

Beatrix von Storch im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch während der Sitzung des deutschen Bundestags in Berlin
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch (imago images / Christian Spicker)
Die für heute angemeldete Großkundgebung in Berlin gegen die Corona-Schutzmaßnahmen darf endgültig stattfinden - unter Auflagen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte in der Nacht im Wesentlichen die beiden gestrigen Eilbeschlüsse des Verwaltungsgerichts. Die Berliner Versammlungsbehörde hatte zunächst ein Verbot ausgesprochen und als Grund angegeben, es seien Verstöße gegen die Corona-Schutzregeln zu erwarten. Dies hätten die ähnlich angelegten Versammlungen vom 1. August gezeigt. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte auch erklärt, er sei nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht werde.
Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen halten sich dicht gedrängt auf der Straße des 17. Juni in Berlin auf.
 Gericht kippt Berliner Demo-Verbot
Die Initiative Querdenken 711 hat eine Demonstration in Berlin gegen die Corona-Politik angemeldet, die zunächst verboten werden sollte. Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Verbot gekippt - die Demo darf stattfinden.
Von Storch fordert Geisels (SPD) Rücktritt
Die Afd-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch kritisierte im Deutschlandfunk insbesondere diese Aussage Geisels und forderte seinen Rücktritt. Geisel habe mit politischen Argumenten versucht, eine Demonstration zu verhindern, die stattfinden müsse. Auch die Unterstellung, dass Regeln nicht eingehalten würden, könne nicht dazu führen, dass man Grundrechte außer Kraft setze, betonte von Storch. Zudem gelte die Prognose, es werde zu Regelverstößen kommen, bei anderen Demonstrationen auch nicht, sonst müsste jede 1.Mai-Demo, jeder Al-Kuds-Marsch auch verboten werden. Auch bei der BlackLivesMatter-Demo am Berliner Alexanderplatz habe es mannigfaltige Verstöße gegen Abstandsregeln gegeben und die Polizei habe dort "mit großer Nachsicht" gehandelt. Der gleiche Maßstab an eine etwaige Auflösung der Demo müsse jetzt auch bei der Kundgebung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen angelegt werden, verlangte von Storch.

Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Der Berliner Innensenator wollte die Kundgebung der Corona-Skeptiker in Berlin verbieten, in Berlin-Mitte und auf der Straße des 17. Juni, aber gestern Nachmittag und dann am späten Abend hat Andreas Geisel dafür gleich zweimal die Rote Karte von zwei Gerichten bekommen. Erst erlaubte das Verwaltungsgericht und dann in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht die Demonstration. Die Richter folgen also nicht der Begründung des Innensenators, dass sich die Demonstranten nicht an Hygieneauflagen oder Infektionsschutz halten würden. Ich begrüße am Telefon Beatrix von Storch, sie ist die stellvertretende Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Bundestag der Alternative für Deutschland. Guten Morgen, Frau von Storch!
Beatrix von Storch: Guten Morgen!
Meurer: Gehen Sie hin zur Demo heute?
von Storch: Ich gehe hin, etwas verspätet, aber ich werde hingehen am Nachmittag.
Meurer: Mit Maske dabei?
von Storch: Es gibt keine Regeln dafür, dass wir Masken tragen müssen. Ich trage Masken äußerst ungern, deswegen vermutlich ohne Maske.
Meurer: Damit könnten Sie gegen die Hygieneauflagen verstoßen.
von Storch: Nein. Mundschutz ist ausdrücklich nicht angeordnet, es sei denn, es ist jetzt über Nacht noch gekommen, aber nicht zu meiner Kenntnis, auf jeden Fall. Wenn es die Regeln gibt, würde ich die einhalten, aber ich glaube, im Moment ist das nicht der Fall.
Meurer: Aber können Sie ja nicht einhalten im Zweifelsfall, wenn Sie eine Maske erst gar nicht mitnehmen.
von Storch: Dann nehme ich vielleicht eine mit und lass sie erst mal in der Tasche.
Ohne Maske und mit Anti-Merkel-Transparent demonstrieren Menschen in Berlin gegen die Anti-Corona-Maßnahmen.
Demo gegen Corona-Maßnahmen - Teilnehmerzahl wird zum Streitthema
Wie schon bei der Demo gegen Corona-Regeln am 1. August dürfte es auch bei der Kundgebung der Corona-Skeptiker jetzt wieder Streit in der Frage geben, wie viele Menschen denn nun tatsächlich teilgenommen haben.
"Innensenator versteckt sich"
Meurer: Okay. Frau von Storch, empfinden Sie Genugtuung über die Urteile der beiden Gerichte?
von Storch: Wissen Sie, ich freue mich darüber, dass das demokratischste aller demokratischen Grundrechte jetzt wieder in Kraft gesetzt ist, und ich finde es bedauerlich, dass der Innensenator jetzt sich versteckt. Wenn der sich jetzt heute nicht äußert – er ist heute Morgen nicht im "Morgenmagazin", ich habe ihn heute bei Ihnen im Radio nicht gehört –, dann vielleicht deswegen, weil er sein Rücktrittsgesuch vorbereitet. Alles andere wäre eigentlich eine Farce. Er hat mit politischen Argumenten eine Demonstration zu verhindern gesucht, die stattfinden muss. Er hat ausdrücklich gesagt, dass er Berlin nicht als Bühne missbrauchen lassen will von Corona-Leugnern, und er hat gesagt, dass die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen wollen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.
Meurer: Aber das ist ausdrücklich nicht der Grund. Er sagt aber, das ist meine politische Meinung, aber die Begründung waren die Infektionsschutzauflagen, und da hätte die Polizei gesagt, die halten die Demonstranten nicht ein.
von Storch: Nein, er kommt von der politischen Begründung nicht mehr runter. Man kennt seine Intention, man weiß, warum er das getan hat. Es hätten Auflagen erteilt werden müssen und die Prognose, die werden sich an irgendwelche Regeln nicht halten, gilt sonst auch nicht. Sonst müsste jede 1.-Mai-Demo verboten werden, jeder Al-Kuds-Marsch müsste verboten werden, auch die Black-Lives-Matter-Demo hätte verboten werden müssen. Wenn man davon ausgeht, dass Regelbrüche stattfinden werden und deswegen schon prophylaktisch das Grundrecht nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, das kann überhaupt gar nicht sein.
Ein Mann aus der Al-Kuds-Demo schreit Parolen.
Al-Kuds-Tag und Gegendemos in Berlin 2019
Zum Ende des Ramadan 2019 sind beim "Al-Kuds-Marsch" in Berlin Menschen gegen Israel auf die Straße gegangen. Berlins Innensenator bekannte mit Kippa Farbe, wies aber zugleich auf die Versammlungsfreiheit hin.
"Darauf kann nur der Rücktritt folgen"
Meurer: Ich stelle mir nur vor, wie der Innensenator mit den höchsten Polizeibeamten zusammensitzt, man brütet darüber, was soll man tun. Die Polizei sagt, am 1. August haben wir sehr schnell gemerkt, die Demonstranten halten sich nicht an die Auflagen, wir wollen auch nicht unsere Beamten gefährden, wir wollen die Bevölkerung nicht gefährden. Das wäre die Begründung gewesen.
von Storch: Das ist alles gelogen. Erstens hat ja gestern Abend schon eine kleinere Demonstration stattgefunden, wie wir alle gesehen haben friedlich und unter Einhaltung der Regeln. Das ist das eine. Das Zweite ist, noch mal, die Prognose oder die Unterstellung, dass die Regeln nicht eingehalten werden, kann nicht dazu führen, dass man das Grundrecht außer Kraft setzt. Sonst würde es nie eine 1.-Mai-Demonstration geben, sonst würde der Al-Kuds-Marsch jedes Mal verboten werden, weil man weiß, dort werden Straftaten begangen – Straftaten begangen, nicht nur Auflagen verletzt, sondern schwere und schwerste Straftaten begangen –, und trotzdem werden diese Demonstrationen zugelassen. Also hier hat sich der Innensenator mit seiner politischen Erklärung klar ausgedrückt, warum er diese Demonstration untersagen will. Er will sie untersagen, weil sie ihm politisch nicht in den Kram passt, und das ist ein demokratischer Offenbarungseid. Darauf kann nur der Rücktritt folgen.
"Ich hoffe, dass es von keiner Seite zu Provokationen kommt"
Meurer: Mit was rechnen Sie heute, Frau von Storch, dass es Gewalt geben wird bei dieser Kundgebung von einzelnen Gruppen?
von Storch: Ich hoffe, dass es friedlich bleibt. Ich hoffe, dass es von keiner Seite zu Provokationen kommt. Und ich hoffe sehr, dass den Maßstab, den die Polizei an eine etwaige Auflösung der Veranstaltung legt, der gleiche sein wird, den sie bei der Black-Lives-Matter-Demo am Alexanderplatz hatten. Dort sind auch mannigfaltig Verstöße gegen Auflagen und vor allen Dingen gegen Abstandsregeln gemacht worden, und dort wurde mit großer Nachsicht gehandelt. Der gleiche Maßstab muss jetzt auch heute gelten, sollte es zu diesen Verstößen kommen, denn alles andere würde betrachtet werden, zu Recht, als eine Durchsetzung von Auflagen, einfach nur, weil man politisch diesen Menschen den Raum nicht geben will, zu protestieren.
Meurer: Jetzt reden wir auch über die Polizei, Frau von Storch. Sie sagen, von beiden Seiten soll nicht provoziert werden. Ist es allen Ernstes eine Provokation, wenn die Polizei heute Nachmittag an einer bestimmten Stelle sagt, die Leute stehen zu eng zusammen, wir sagen es durch das Megaphon, immer und immer wieder, uns bleibt jetzt nur übrig zu räumen.
von Storch: Es ist eine Provokation, wenn das zu strikt gemacht wird, weil es bei der Black-Lives-Matter-Demo am Alexanderplatz auch nicht gemacht worden ist. Und hinterher war mehr oder weniger unisono das Presseecho, dass man sich gefreut hat, dass hier zu diesem wichtigen Thema die Menschen auf die Straße gegangen sind, und da kann man sich dann eben nicht immer und in jeder Situation an alle Auflagen und Ansagen halten. Dieser Maßstab gilt dann heute auch.
"Verhältnismäßigkeit im Auge behalten"
Meurer: Da Sie ja an der Demonstration teilnehmen, und es geht um die Corona-Politik, reden wir kurz noch darüber: Angenommen, Sie wären in der Regierung, welche Maßnahmen würden Sie erlassen, welche würden Sie abschaffen?
von Storch: Bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen, müssen wir - ganz wichtig und zuvorderst - die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten. Das, was jetzt erlassen worden ist – die Deutsche Bank schätzt die Gesamtkosten auf etwa 1,9 Billionen Euro, also 1.900 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die gesamte deutsche Verschuldung des Bundes. Das ist mehr als die Wiedervereinigung gekostet hat. Das ist unendlich viel mehr, als es zum Beispiel kosten würde, Deutschland endlich mit Glasfaser flächendeckend zu versorgen.
Meurer: Der wirtschaftliche Schaden ist klar, was würden Sie abschaffen?
von Storch: Deswegen muss bei jeder Maßnahme geschaut werden: Ist sie geeignet, erforderlich und angemessen. Wenn wir die Eingriffe machen und wir sagen Veranstaltungen ab – Theorie, 25 Personen Privathaushalte. Ja, das hat sich nicht durchgesetzt, aber das ist eine vollkommen fiktive Zahl, die einfach erfunden ist, die keinerlei Bezug zur Realität hat. Diese Dinge müssen weg. Die Hygieneregeln soll natürlich jeder einhalten.
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"Masken können auch gesundheitsgefährdend sein"
Meurer: Also die Maskenpflicht im Supermarkt zum Beispiel, da ja die Maske eine solche Symbolkraft hat, die Maskenpflicht im Supermarkt beispielsweise, beim Einkaufen beim Bäcker, das würden Sie nicht abschaffen?
von Storch: Da, wo es eng ist, da, wo sich Abstandsregeln nicht einhalten lassen, da mag man darüber diskutieren, da mag das zum Teil sinnvoll sein, das will keiner sagen, dass das nirgends stattfinden soll. Aber in der Fläche, in der Masse, in dem Zwang, mit den gesundheitlichen Risiken, die auch mit der Maske einhergehen, die für besondere Personen mit der Maske einhergehen - wissen Sie, ich hab ein Bild vor Augen aus dem Deutschen Bundestag, wo sich die Abgeordneten, die die Maskenpflicht propagieren, dicht gedrängt um die Abstimmungsurnen sammeln, wenn es um namentliche Abstimmung geht und sie am Freitagnachmittag nach Hause wollen.
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Meurer: Deswegen schlägt ja der Bundestagspräsident vor, Maskenpflicht im Bundestag, aber die Frage ist, es muss Regeln geben. Wenn die nicht eingehalten werden, dann kann man das kritisieren. Die Frage ist aber, sind Sie für klare Regeln, die dann auch immer gelten müssen?
von Storch: Wir sind für klare wissenschaftliche Grundlagen und Belege dafür, dass die Maßnahmen, die man ergreift, sinnvoll sind, dass die etwas bringen. Wir haben den Eindruck, dass die Regeln, die dort sind, deswegen auch nicht akzeptiert werden, weil sie nicht belegt sind, dass sie etwas Gutes bewirken. Masken sind nicht in jeder Situation hilfreich. Masken können auch gesundheitsgefährdend sein. Sie haben in bestimmten Bereichen sicherlich ihren Sinn und ihren Zweck, aber in anderen dann auch wieder nicht. Die Maßnahme auch dort ist nicht verhältnismäßig. Wenn Sie sehen, wie jetzt in den heißen Sommertagen Arbeitnehmer, die in Gaststätten gearbeitet haben, zehn Stunden am Tag mit dieser Maske durch die Sonne gelaufen sind, so auch im Deutschen Bundestag im Garten der parlamentarischen Gesellschaft, und die Abgeordneten dort an den Tisch sitzen, ein frisches Bier trinken und dabei keine Maske tragen und zusätzlich viel dichter sitzen, als die Tische vorher aufgestellt worden sind, weil es ihnen einfach bequemer ist und man ein bisschen netter halt zusammensitzt, dann sieht man einfach, dass viele sich einfach über diese Regeln hinwegsetzen. Auch den Herrn Bundespräsidenten haben wir gesehen, wie er ein Interview gibt mit Maske, um dann unmittelbar im Anschluss noch vor der laufenden Kamera sich die Maske vom Gesicht zu reißen, weil sie ihn einfach nervt und er sie offensichtlich nicht für erforderlich hält. Und er drückt sie auch noch dann seiner Mitarbeiterin in die Hand. Oder er verschickt Urlaubsfotos – es gibt Urlaubsfotos von ihm …
Meurer: Die Szene haben wir jetzt nicht genau im Blick, aber dass man eine Maske …
von Storch: Die haben wir alle ganz genau im Blick.
Meurer: … irgendwann abzieht, ist ja auch der Fall. Ich muss das jetzt mal hier so stehen lassen, Frau von Storch, die Zeit ist ein bisschen davongerast.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.