Wahlbeteiligung
Die Macht der Älteren

In Deutschland gibt es immer mehr ältere Menschen – und damit auch immer mehr ältere Wählerinnen und Wähler. Mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten am 23. Februar zählen zur Generation 60 plus. Für das Wahlverhalten aber war das Alter noch nie so unwichtig, sagt Politik-Professor Achim Goerres.

    Ältere Menschen sitzen auf einer Bank.
    Die deutschen werden immer älter. Rund ein Viertel der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl am 23. Februar sind über 70 Jahre alt. (Imago/Mangold)
    In Deutschland leben immer mehr ältere Menschen. Damit steigt auch das Alter potenzieller Wählerinnen und Wähler. Wo die Generation 60 plus auf dem Stimmzettel ihre Kreuze macht, gewinnt seit Jahren an Gewicht. Was heißt das für die Bundestagswahl am 23. Februar? Haben die Jungen das Nachsehen? Und was ist wirklich dran an der Faustregel: Je älter, desto konservativer?

    Inhalt

    Wie alt sind deutsche Wählerinnen und Wähler?

    Die deutsche Gesellschaft altert. Das hat Folgen, auch für die anstehende Bundestagswahl. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes werden am 23. Februar etwa 59,2 Millionen Deutsche aufgerufen sein, ihre Stimme abzugeben. Die größte Gruppe der Wahlberechtigten stellen Menschen ab 70 Jahren. Ihr Anteil liegt bei rund 23,2 Prozent, weitere 18,9 Prozent sind zwischen 60 und 69 Jahre alt. Aus der Generation 60 plus kommen somit mehr als dreimal so viele potenzielle Wählerinnen und Wähler (42,2 Prozent) als aus der Gruppe der unter 30-Jährigen (13,3 Prozent). Davon wiederum sind gerade einmal 2,4 Prozent zwischen 18 und 20 Jahren alt.
    Zum Vergleich: Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 gehörte nur etwa jeder vierte der Generation 60 plus an (26,8 Prozent). Mit dem demografischen Wandel hat sich die Altersstruktur der Wahlberechtigten in den vergangenen Jahrzehnten also deutlich zugunsten der Älteren verschoben. Eine Entwicklung, die sich angesichts der fortschreitenden Alterung wohl auch bei den kommenden Wahlen fortsetzen wird.

    Welche Rolle spielt das Alter bei der Wahlbeteiligung?

    Wer in Deutschland politische Mehrheiten erlangen will, kommt an älteren Wählerinnen und Wählern folglich kaum vorbei. Zumal über 60-Jährige auch deutlich häufiger von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen als jüngere Wahlberechtigte, wie das Demografieportal vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zeigt. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 gaben etwa 75 Prozent der über 70-Jährigen und 80 Prozent der 60- bis 69-Jährigen ihre Stimme ab. Bei den 18- bis 24-Jährigen waren es hingegen nur 71 Prozent. Auch bei früheren Wahlen machten Ältere häufiger ihre Kreuze als Jüngere.
    Das habe zum einen damit zu tun, dass die ältere Generation „noch sehr stark das Wählen als Bürgerpflicht gelernt hat“, meint Achim Goerres, Professor für Empirische Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Zum anderen seien ältere Wahlberechtigte schon länger an den Wahlprozess gewöhnt, sie kümmern sich zum Beispiel frühzeitig um Briefwahlunterlagen und halten sich die Wahltage frei.
    Dadurch geht die Kluft zwischen beiden Gruppen noch weiter auseinander. „Die Älteren werden nicht nur mehr, sie wählen auch häufiger als die Jungen“, sagt Thorsten Faas, Professor für Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin. Die Folge: „Die Struktur der Wählerschaft und erst recht die Struktur der tatsächlich Wählenden ergraut.“ Wie sich der Bundestag, die Volksvertretung der Bundesrepublik, zusammensetzt, hängt also zu einem großen Teil von der Wahlentscheidung der über 60-Jährigen ab.

    Wie wählen Ältere, wie Jüngere?

    Laut Daten des Statistischen Bundesamtes lagen bei der letzten Wahl im Jahr 2021 die Grünen in der jüngsten Altersgruppe, den 18- bis 25-Jährigen, mit 23 Prozent vorn. Knapp dahinter die FDP mit 21 Prozent. Es folgten SPD (15 Prozent), Union (10 Prozent), Linke (8 Prozent) und AfD (7 Prozent).
    Anders das Bild bei den Wählerinnen und Wählern ab 70 Jahren: In dieser Altersgruppe wurde die Union aus CDU und CSU mit 38 Prozent stärkste Partei vor der SPD mit 35 Prozent. Mit großem Abstand dahinter folgten FDP (8), Grüne (7 Prozent), AfD (5 Prozent) und Linke (4 Prozent). Auch bei den 60- bis 69-Jährigen lagen SPD (32 Prozent) und Union (28 Prozent) vorn.

    Rechtsruck der Jüngeren

    Allerdings haben sich die Zustimmungswerte für die Parteien seit der letzten Bundestagswahl deutlich verschoben. Jüngsten Umfragen zufolge liegt die Union aktuell auf Platz eins, gefolgt von der AfD. 2021 landeten CDU/CSU hinter der SPD auf Platz zwei (24,1 Prozent), die AfD wurde fünfte (10,3 Prozent). Letztere gewann schon bei den Landtagswahlen 2024 deutlich hinzu – auch unter jungen Wählerinnen und Wählern.
    So wurde die AfD etwa in Thüringen mit 38 Prozent stärkste Partei bei den 18- bis 24-Jährigen, in Sachsen erhielt sie 31 Prozent und in Brandenburg stimmten in der Gruppe der jüngsten Wahlberechtigten 30 Prozent für die AfD. Schon zuvor hatte sich ein Rechtsruck der Jüngeren bei der Europawahl abgezeichnet.
    Eine Ursache für den Rechtsruck bei den Jüngeren liegt laut Generationenforscher Rüdiger Maas darin, dass jüngere Wählerinnen und Wähler die Ränder im Parteienspektrum als solche weniger wahrnehmen. Eine Einteilung in links und rechts lehnen Maas zufolge rund 27 Prozent ab. "Sie sagen, sie finden das für sich selbst nicht sinnig und können sich da selbst nicht zuordnen."
    Jeder Dritte der Erstwählerkohorte wolle am liebsten eine Partei der Mitte wählen, so Maas. Wo allerdings die Mitte endet und Links- oder Rechtsextremismus beginnen, sähen viele nicht. So würden sich zum Beispiel junge AfD-Wähler der Mitte zuordnen.

    Jüngere fühlen sich von der Politik ignoriert

    Nach Einschätzung des Generationenforschers fühlen sich zudem viele junge Menschen in Deutschland nicht von der Politik vertreten. Laut der „Jugendwahlstudie 2025“ des Augsburger Institut für Generationenforschung gab fast die Hälfte der Erstwähler an, sich von der Regierung ignoriert zu fühlen. "Ein relativ großer Anteil der jungen Menschen hat sogar das Gefühl, die Politik arbeite gegen sie", sagt Maas. Aus seiner Sicht werden Jungwähler bei den etablierten Parteien zu wenig adressiert. Die AfD hingegen spreche junge Menschen gezielt an, auch in den sozialen Medien.
    Die Wahlentscheidung der Jüngeren dürfte zudem mehr von Ängsten und Pessimismus geprägt sein als bei älteren Generationen. Viele blicken mit Angst in die Zukunft, sagt Maas. Das komme vor allem Parteien der politischen Ränder zugute. Während junge Frauen tendenziell eher links wählten, zeige sich bei jungen Männern ein Trend zum Rechtskonservativen. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 nennt Maas vor allem die Themen Bildung, Zukunftschancen, Finanzen und Migration als wahlentscheidend für Erstwählerinnen und Erstwähler.

    Sind ältere Wähler wirklich konservativer?

    Je älter, desto konservativer – das war einmal, sagt Politik-Professor Goerres. Denn während die „Adenauer-Generation“, Wahlberechtigte mit Geburtsjahrgängen von 1915 bis 1945, eher konservativ wählte, komme nun die „Brandt-Generation“ ins höhere Alter. Und die sei tendenziell eher links eingestellt. Die Folge: Die Gruppe der älteren Wählerinnen und Wähler werde immer heterogener.
    Aus Sicht des Politikwissenschaftlers sind die Unterschiede innerhalb der Altersgruppe „so groß, dass sie eigentlich fast größer sind, als die Unterschiede zwischen den älteren und jüngeren Wählerinnen und Wählern“. Goerres ist überzeugt: „Es war noch nie so unwichtig, wie alt man war in Bezug auf das Wahlverhalten.“ Dazu kommt die steigende Zahl von Wechselwählern, zunehmend auch in den älteren Generationen.
    Inhaltlich veränderten sich Ansichten über die Lebensjahrzehnte hinweg hingegen nur wenig, sagt der Politik-Professor. „Das heißt, wenn mir ein bestimmtes politisches Thema in meinen ersten paar Jahren wichtig war, dann ist mir das wahrscheinlich auch im höheren Alter noch wichtig.“

    Wie beeinflusst die Demografie den Wahlkampf?

    Aus Sicht von Politikwissenschaftler Faas erscheint es „völlig nachvollziehbar“, dass Parteien mit Blick auf die Altersstruktur "zunehmend auf die Bedürfnisse älterer Menschen eingehen". So werde in Wahlkampfzeiten zum Beispiel viel über Rente gesprochen, weniger hingegen über Bedürfnisse und Themen der Jüngeren wie etwa Bildung, kritisiert Faas.
    Auch nach der Wahl bestehe „zumindest Anlass zur Sorge, dass sich Entscheidungen vornehmlich an den vielleicht auch nur mutmaßlichen Interessen der Hauptwählergruppe der Älteren orientieren“, meint die Rechtwissenschaftlerin Silvia Pernice-Warnke. Dabei entschieden die gewählten Abgeordnete über Zukunftsfragen, „die insbesondere auch die Jüngeren und Jüngsten angehen“.
    Als Beispiel für einen vermeintlichen Generationenkonflikt wird oft der Klimawandel angeführt. Die Älteren bestimmen die Themen, obwohl sie von langfristigen Entwicklungen weniger betroffen sind, kritisieren die einen. Die anderen halten solche Interessenskonflikte für überbewertet. Die statistischen Differenzen seien bei genauer Betrachtung relativ gering, sagt etwa Demokratieforscher Robert Vehrkamp. „Es gibt junge Menschen, die sich für Klimapolitik überhaupt nicht interessieren. Und es gibt ältere Menschen, die sich enorm für Klimapolitik interessieren und engagieren.“
    Bei einigen Themen, wie zum Beispiel in der Rentenpolitik, seien zwar Generationeneffekte erkennbar, diese sind Vehrkamp zufolge aber statistisch in der Regel schwach. Vehrkamp warnt davor, allein aus dem Alter abzuleiten, was für Interessen die Wahlberechtigten vertreten: „Wir alle haben multiple Identitäten und deshalb ist es zu holzschnittartig zu sagen, ältere Menschen vertreten nur die Interessen von Älteren und Jüngere vertreten nur die Interessen von Jüngeren.“
    irs