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Demografischer Wandel bei den Nachbarn

Jeder hat Bilder vom Altern und von alten Menschen im Kopf. Welche Bilder in Deutschland vorherrschen, darüber wird aktuell viel geforscht. Doch wie sehen Altersbilder in anderen Industrienationen aus? Eine internationale Konferenz suchte den Vergleich und gab Antworten.

Von Bettina Mittelstrass |
    "Ältere Menschen zu respektieren – das ist die Grundidee unseres Altersbildes in Japan. Weil wir von älteren Menschen ihre Erfahrungen lernen können."

    Der demografische Wandel in Japan verläuft extrem. Die Geburtenrate ist eine der niedrigsten der Welt – unter 1,3 Kinder pro Frau. Die Lebenserwartung zählt dagegen zu den höchsten. Jeder fünfte Japaner gehört bereits heute zur Altersgruppe über 65 Jahre. Der japanische Jurist Professor Makoto Arai von der Chuo University in Tokio ist dennoch optimistisch, dass das Land mit diesem Wandel gut zurechtkommt, wenn es die zentrale Grundidee des Respekts gegenüber älteren Menschen weiter verfolgt.

    "Aufgrund dieser Idee sind notwendig: Unterstützung der Eigenständigkeit des Individuums und der Loyalität der Familie, Förderung und Erweiterung von Aktivitäten in der Bevölkerung und eine angemessene Kombination von Selbsthilfe, gegenseitiger Hilfe und staatlicher Hilfe."

    Japan setzt dazu seit rund 15 Jahren einen umfangreichen Maßnahmenkatalog um und muss das auch. Denn dahinter steht ein 1995 verabschiedetes Gesetz zur demografischen Alterung der Gesellschaft.

    "Ganz offen gesagt ist das Gesetz leider noch nicht bekannt in der Öffentlichkeit in Japan. Ich hoffe, dass die deutsche Regierung und die japanische Regierung auch auf diesem Gebiet noch intensiver Meinungen austauschen können."

    Der internationale Austausch über vorherrschende Altersbilder und die Konsequenzen daraus war das entscheide Motiv für die Berliner Konferenz "Altersbilder im Wandel", organisiert im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wie unterschiedlich solche Bilder sein können, zeigte die Psychologin Becca Levy, Professorin an der Yale University in New Haven.

    "Wir haben die Leute gefragt, welche fünf Worte ihnen in den Sinn kommen, wenn sie an alte Menschen denken. Die Begriffe, die oft vorkommen, haben entweder mit physischen Erscheinungsformen, Gebrechen oder kognitiven Ausfällen zu tun. Die Leute erwähnten Senilität, Demenz, langsames Gehen, jede Menge Handicaps. Diese Bilder sind sehr vorherrschend in den Vereinigten Staaten, aber auch in anderen Ländern."

    In einer umfangreichen Studie untersuchte Becca Levy dann, welchen Effekt negative Altersbilder auf alte Menschen selbst haben.

    "Wenn wir Menschen mit negativen Stereotypen konfrontiert haben, konnten wir sehen, dass sich ältere Teilnehmer daran anpassten: Gedächtnisleistungen nahmen ab, sie neigten dazu, langsamer zu gehen und reagierten schneller mit Herzbeschwerden auf Stress. Wenn wir die Leute aber positiven Bilder aussetzten, konnten wir auch die umgekehrte Wirkung beobachten: Gedächtnisleistung verbesserte sich, sie liefen schneller und Alltagsstress schlug weniger aufs Herz. Unsere Forschungen zeigen also beides: Negative Stereotypen können negative Konsequenzen haben, aber zum Glück haben positive Bilder eben auch positive Wirkungen."

    Die Weichen werden schon früh gestellt. Bereits mit drei oder vier Jahren haben kleine Kinder die stereotypen Bilder ihrer Gesellschaften im Kopf, sagt Becca Levy. Wie aber kann man Altersbilder langfristig ändern? Zum Beispiel indem man schon in Kinderbüchern, im Fernsehen oder Filmen andere Rollenbilder von alten Menschen entwirft, als die gängigen. Verändert werden so persönliche Altersbilder. Aber es gibt aber noch andere Ansätze. Professor Clemens Tesch-Römer, Direktor des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin.

    "Ein zweiter wichtiger Bereich von Altersbildern ist der, ich würde mal sagen, kristallisierte, sich in Gesetzen, Regularien, aber auch in Infrastrukturen niedergeschlagene Form von Altersbildern. Warum müssen wir eigentlich nur bis 65 arbeiten? Oder warum müssen wir mit 65 in den Ruhestand? Das war im Grunde genommen, bis hier in diese Debatte Bewegung gekommen ist, eigentlich ein Mantra: Man ist mit 65 alt genug für den verdienten Ruhestand. Und wenn man da an den Regeln, an den Gesetzen, an den gesetzlichen Vorgaben etwas ändert, dann kann man möglicherweise auch den Umgang mit dem Alter verändern."

    Vor dieser Aufgabe steht in besonderer Weise die französische Gesellschaft. Frankreich hat den höchsten Anteil an alten und hochaltrigen Menschen direkt nach Japan. Aber auch eine erstaunlich hohe Geburtenrate von zwei Kindern pro Frau. Frankreichs Bevölkerung wächst. Doch gerade die hohe Lebenserwartung verlangt ein Umdenken in Bezug auf das Bild von der Rentenzeit, sagt die französische Soziologin Claudine Attias-Donfut.

    "Die Frage nach der Zeit des Ruhestands ist sehr akut in Frankreich, weil die Zeit in den 80ern verlängert wurde. Die Menschen gingen nicht mehr mit 65, sondern mit 60 in die Rente. Die Franzosen sind also an eine lange Rentenzeit gewöhnt, die zu einer wichtigen Gegenleistung für harte Arbeit wurde."

    Die Pensionierung gilt vielen Franzosen als wertvolle Lebenszeit, von der sie sich nicht verabschieden wollen. Trotzdem verbinden sich nicht nur positive Bilder mit dieser "Alten-Zeit".

    "Es gibt eine Ambivalenz gegenüber der Rentenzeit. Einerseits gibt es eine große Sehnsucht nach dieser Zeit, weil sie mit persönlicher Freiheit verbunden wird. Anderseits existieren Stereotypen von einer unproduktiven Lebensphase und ökonomischer Nutzlosigkeit. Die haben bei uns nicht weniger Bedeutung als in Deutschland. Auch in Frankreich haben wir eine lange Tradition darin, das Altern abzuwerten."

    Eines ist aber auch klar: Die Anstrengungen, die derzeit überall unternommen werden, um Bilder von alten Menschen und dem Prozess des Alterns wieder aufzuwerten, dürfen nicht in neue Sackgassen wie zum Beispiel dem Bild vom zum ewig fitten Alten führen. Clemens Tesch-Römer berichtet als Mitglied der Kommission zur Deutschen Altenberichterstattung von aktuellen Diskussionen.

    "Wir dürfen jetzt nicht zu so etwas werden wie einer Kommission, die Ideologie produziert und sagt: Die Altersbilder, die jetzt bestehen, sollen nur durch positive Altersbilder ersetzt werden. Ich glaube ganz wichtig ist eben auch, dass wir viele verschiedene Bilder über das Alter und über Verläufe haben müssen, und wir müssen auch im Kopf haben, dass zum Alter Demenz gehören kann. Und dass wir Menschen mit Demenz auch wertschätzen müssen."