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Demografischer Wandel
Reiner Klingholz: Zu viel für diese Welt

Fast acht Milliarden Menschen leben mittlerweile auf diesem Planeten. Das Problem ist neben einem zu starken Bevölkerungswachstum auch der erhöhte Ressourcenverbrauch jedes einzelnen Menschen. In seinem neuen Buch weist Reiner Klingholz „Wege aus der doppelten Überbevölkerung“.

Von Ralph Gerstenberg |
Buchcover "Zuviel für diese Welt" von Reiner Klingholz und im Hintergrund ein Wal aus 5 Tonnen Plastikmüll
Eine bessere Welt ist möglich, davon ist der Demographie-Experte Reiner Klingholz überzeugt. In seinem neuen Buch zeigt er wie. (Buchcover Edition Körber / Hintergrund dpa/Hauke-Christian Dittrich)
Wir sind zu viele, soviel ist klar. Mittlerweile knapp acht Milliarden. Vor 50 Jahren gab es nur halb so viele Menschen. Doch dass wir zu viele sind, liegt nicht allein an unserer Anzahl, sondern vor allem am Ressourcenverbrauch jedes einzelnen. Das macht Reiner Klingholz gleich zu Beginn seines Buches klar, indem er die Großfamilie des Äthiopiers Tesfaye - ein Mann, drei Frauen, 24 Kinder - einer gewissen Annette aus Bielefeld gegenüberstellt, Wirtschaftsjuristin, 38 Jahre alt, kinderlos aus Überzeugung.
"Bevor Annette erwacht, hat sie bereits mehr kommerzielle Energie verbraucht, als die 28-köpfige Familie von Tesfaye an einem Tag. Was immer sie in den nächsten 24 Stunden unternimmt, es addiert sich auf dem Energie- wie auch auf dem CO2-Konto. [...] Annette müsste 98 Prozent ihres Geldes verbrennen und von dem Rest in eremitischer Bescheidenheit leben, wollte sie sich klimaneutral verhalten. Arme Menschen sind nun mal umweltfreundlicher als reiche."

Ökosysteme in Gefahr

Die "Überbevölkerung" habe also zwei Gesichter, hält Reiner Klingholz fest. Während das Bevölkerungswachstum in ärmeren Ländern die Lebensumstände der meisten verschlechtere, lebten die Menschen in den reichen Industrienationen gewissermaßen über ihre Verhältnisse. Mit einer Kohlendioxid-Äquivalente von 10,7 Tonnen jährlich sei Deutschland beispielsweise um ein Vielfaches überbevölkert. Die "doppelte Überbevölkerung", so Klingholz, lasse sich also einerseits am tatsächlichen Bevölkerungszuwachs festmachen, andererseits an den Auswirkungen der jeweiligen Lebensweise auf die Ökosysteme.
"Beide Probleme der Überbevölkerung haben wenig miteinander zu tun, weshalb es keinen Sinn ergibt, die Schuld der Reichen und der Armen gegeneinander auszuspielen. Das eine Problem ist eine Art anhaltende Bevölkerungsexplosion, das andere eine nicht enden wollende Konsumexplosion. Beides ist auf einem begrenzten Planeten nicht dauerhaft tragbar."
Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, dass bis ins 19. Jahrhundert hinein die Bevölkerung vor allem in den aufstrebenden Industriestaaten wuchs. Im 20. Jahrhundert, mit zunehmendem Wohlstand und Konsum, nahm die Geburtenrate hier jedoch beinahe kontinuierlich ab, während sie in den Entwicklungsländern gleichzeitig zunahm. Zur Jahrtausendwende lebten dort 80 Prozent der Weltbevölkerung. Was aber, fragt Reiner Klingholz, wenn die ärmeren Länder reicher werden? Wenn sie sich unserem Lebensstandard annähern, der schon jetzt viel zu viele Ressourcen verbraucht? Klingholz verhandelt das am Beispiel Chinas und spricht von einem "Trilemma des Wachstums", in dem wir durch Bevölkerungswachstum, steigenden Energiebedarf und irreparable Umweltschäden stecken. Sein Fazit:
"Zur Entwicklung der armen Länder gibt es keine Alternative. Nicht nur, weil die dort lebenden Menschen das gute Recht darauf haben. Sondern auch, weil sich ohne Entwicklung ein Kreislauf aus immer mehr Menschen, Armut und Verteilungskonflikten hochschaukeln würde, mit negativen Folgen für die ganze Welt. Gleichzeitig kann die Lebensweise des reichen Nordens keine Blaupause für den Rest der Welt sein. Sie [...] würde die globalen Ökosysteme vollends ruinieren."

Faktenbezogen und realitätsnah

Eine schnelle Lösung sei nicht in Sicht, konstatiert Reiner Klingholz. Die Menschheit steht an einem Scheideweg. Ob wir nochmal mit einem blauen Auge davonkommen oder eben nicht, hängt von der Richtung ab, die wir einschlagen. Klingholz entwirft drei Szenarien, die möglich wären. Variante 1 wäre "der nachhaltige und grüne Weg in die Zukunft", wie es heißt, Variante 2 ein "Weiter so" und Variante 3 eine Spaltung der Welt in Arm und Reich, die von nationalen Egoismen, Deglobalisierung und Abschottung geprägt ist. Letztere sei nicht auszuschließen, meint Reiner Klingholz.
"Legt man aber die jüngsten Bemühungen der EU, die Ankündigungen aus China, den USA und anderen Ländern zu Grunde, dann wäre eine Variante zwischen Szenario 1 und 2 denkbar. Immerhin war die Bereitschaft [...], etwas gegen die größte Menschheitsbedrohung zu unternehmen, nie höher als heute. Die Welt würde unter diesen Bedingungen mit zwei blauen Augen davonkommen. Für die Variante 1, das Szenario mit nur einem blauen Auge, müsste die Weltgemeinschaft Anstrengungen unternehmen, die sich bislang bestenfalls auf dem Papier abzeichnen."
Die "Wege aus der doppelten Überbevölkerung", die Reiner Klingholz aufzeigt, sind faktenbezogen und realitätsnah. Der Demografie-Experte neigt weder zum apokalyptischen Raunen, noch zu fortschrittsgläubigem Zukunftsoptimismus. Angenehm unideologisch schreibt er über den Stand der Dinge, um das Problembewusstsein seiner Leserschaft zu schärfen. Am Ende gibt er Politikern und Einzelpersonen sogar Tipps, die zwar das Problem der doppelten Überbevölkerung nicht lösen, aber zumindest dazu beitragen können, umweltgerechter zu leben. Seine Empfehlungen - weniger reisen, mehr nachhaltige Baustoffe, Ökostrom beziehen - sind zwar nicht besonders originell, aber warum nicht das tausendmal Gesagte noch einmal sagen, wenn es denn richtig ist? In einem ist sich Klingholz mit Klimaexperten und Nachhaltigkeitswissenschaftlern absolut einig: Wenn die Menschheit auf Erden eine Chance haben will, muss Wachstum gedrosselt werden - das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern und das Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten. Wie beides miteinander zusammenhängt, legt er in seinem Buch auf erhellende Weise dar.
Reiner Klingholz "Zu viel für diese Welt. Wege aus der doppelten Überbevölkerung"
Edition Körber, 360 Seiten, 24 Euro