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Demographie und Kultur

Im Jahr 2040 wird der Anteil der Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln bei über der Hälfte liegen, sagen Experten. Seit Langem wird diskutiert, was der demografische Wandel für unsere Sozialsysteme oder für den Arbeitsmarkt bedeutet. Das Zentrum für Audience Development der Freien Universität Berlin hat jetzt eine Studie vorgestellt, welchen Einfluss diese demographische Entwicklung auf den Kulturbereich hat.

Vera Allmannritter im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 03.12.2008
    Vera Allmannritter von der FU Berlin, wie wird sich denn der demografische Wandel auf die Kultureinrichtungen auswirken?

    Vera Almannritter: Prinzipiell ist es so, dass zum demografischen Wandel ja nicht nur gehört, dass es immer mehr Migranten geben wird in Deutschland, sondern es ist ja auch so, dass der Anteil älterer Menschen stark ansteigen wird. Und es wird zeitgleich Gebiete in Deutschland geben, wo von wirtschaftlich schwachen Gebieten zu wirtschaftlich starken Gebieten immer mehr Menschen abwandern. Das heißt, Kulturinstitutionen müssen sich wappnen, erstens, dafür, dass in Gebieten, wo Leute abwandern, weniger Gelder zur Verfügung stehen werden für sie. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist, sie werden sich darauf einstellen müssen, dass es ein großes altes Publikum gibt, dass immer mehr ältere Menschen bedient werden müssen. Und der dritte Punkt ist selbstverständlich, Sie haben das schon angesprochen, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund steigen wird. Und wenn man weiß, das diese Menschen offenbar bis jetzt größtenteils kaum am hochkulturellen Angebot im Leben teilnehmen, muss man sich natürlich überlegen, wie man diese Gruppe für kulturelle Angebote gewinnen kann.

    Schäfer-Noske: Was machen denn die Kulturinstitutionen bisher, um sich auf den demografischen Wandel einzustellen? Zu welchen Ergebnissen sind Sie da gekommen?

    Almannritter: Für den Bereich Migranten kann man sagen, dass die Institutionen sich erst mal zu einem großen Teil damit schon beschäftigen. Wir haben rausgefunden, dass fast 50 Prozent der Kulturinstitutionen sich mit unterschiedlichem Beschäftigungsgrad mit dem Thema schon auseinandersetzen. Und man muss auch dazu sagen, dass zwar 80 Prozent sagen, dass man Migranten mit gesondertem Marketinginstrumenten ansprechen sollte, aber dass das faktisch erst 26,5 Prozent der Institutionen tun. Und diese 26,5 Prozent sagen, dass besonders erfolgreich der Einsatz ist von gesonderten Produkten, beispielsweise besonderen Veranstaltungen, Veranstaltungsreihen, Mehrspracheninformationsmaterialien oder mehrsprachigen Führungen oder insbesondere Direktmarketing über Migrantenorganisationen, dass man konkret auf Migrantenorganisationen zugeht und sie die in die Programmplanung und auch in die Umsetzung von Angeboten mit einbezieht. Auch Allgemeinkooperationen sind definitiv sinnvoll mit anderen Kulturinstitutionen. Was kann ich von Kulturinstitutionen lernen, die diesbezüglich schon aktiv sind? Aber selbstverständlich auch Kooperationen mit der Kulturverwaltung im Sinne von ganzheitlichen Konzepten. Aber sicher auch mit Schulen, dass man an kultureller Bildung an einem Strang zieht. Und was man definitiv auch tun kann und was sicherlich dienlich ist, ist, wenn man den Anteil der eigenen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erhöht, einfach um das Grundsverständnis der eigenen Institution für die Zielgruppe zu verbessern.

    Schäfer-Noske: Warum gehen denn dann die Kulturinstitutionen noch nicht jetzt auf die Migranten zu? Wo gibt es da Probleme?

    Almannritter: Ein Teil geht ja schon auf Sie zu, dass muss man ja definitiv sagen. Aber was an Problemen auf jeden Fall mit reinspielt, ist erstens, wir wissen ja, der Bildungsgrad und die Nutzung von Hochkulturangeboten hängen eng zusammen und wir wissen auch, dass Bildungschancen eng am sozialen Hintergrund hängen. Und als Drittes wissen wir auch, dass die Bevölkerungsgruppe der Migranten im Vergleich zur deutschen Bevölkerung in diesem Punkt, gerade in diesem Punkt oft benachteiligt ist. Das heißt, das ist sowieso schon einmal schwierig, genau dort anzusetzen. Und außerdem ist die Bevölkerungsgruppe in zweierlei Hinsicht einfach nicht homogen. Das sind ja eingewanderte Personen und deren Nachkommen aus allen Ländern der Welt und die sprechen entsprechend unterschiedliche Sprachen und sie haben auch einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund. Und selbstverständlich, wir sprechen auch schon immer in Bezug auf die deutsche Bevölkerung von Individualisierung und Pluralisierung, von Lebensweisen. Das macht natürlich vor Menschen mit Migrationshintergrund auch keinen Halt.

    Schäfer-Noske: Gab es denn in Ihrer Studie ein Beispiel, wo die Einbeziehung von Migranten in der Kultur besonders gut gelungen ist?

    Almannritter: Aus meiner Erfahrung raus würde ich sagen, dass beispielsweise das Kreuzberg-Museum in Berlin in dem Bereich sehr erfolgreich ist. Das ist ein Stadtteilmuseum in Berlin, das sich auch explizit mit den Migranten, in Kreuzberg ist ein sehr hoher Migrantenanteil, auseinandersetzt, um eben auch deren Geschichte mit einzubeziehen. Und es gibt in Dortmund das Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, in dem gerade die Ausstellung "Evet – Ja, ich will" läuft. Und das ist eine Ausstellung, die sich aufs Heiraten bezieht, und zwar Heiraten als Thema hat aus deutscher Sicht und aber eben auch aus türkischer Sicht. Das heißt, die Ausstellungsstücke setzen sich zusammen aus beispielsweise Hochzeitskleidern aus Deutschland und eben auch aus der Türkei. Und die Ausstellungseröffnung, weiß ich, ist sehr, sehr voll gewesen. Offensichtlich hat das Konzept Erfolg gehabt, dieses Thema Heiraten in eine Ausstellung zusammenzufassen, die dann einfach für beide Bevölkerungsgruppen auch interessant ist.

    Schäfer-Noske: Das war Vera Allmannritter von der Freien Universität Berlin über eine Studie zum Thema Kultur und Migration.