Dirk-Oliver Heckmann: Wie geht es weiter in Italien? Schaffen es die Sozialdemokraten und die Fünf-Sterne-Bewegung, sich auf eine Zusammenarbeit zu verständigen? Oder ruft Präsident Mattarella Neuwahlen aus? Alle Parteien außer der rechten Lega von Innenminister Salvini haben an letzterem kein Interesse, denn die Lega kann laut der letzten Umfragen damit rechnen, als stärkste Partei aus Neuwahlen hervorzugehen, auch wenn sie zuletzt erheblich eingebüßt hat. Eigentlich sollte heute die Frist ablaufen, die Präsident Mattarella den Parteien gesetzt hatte, doch der Präsident hat die Frist bis Mittwoch verlängert.
Aus Rom ist uns jetzt telefonisch Laura Garavini zugeschaltet. Sie ist Senatorin im italienischen Parlament, für die Demokratische Partei dort Mitglied des Fraktionsvorstands. Schönen guten Morgen!
Laura Garavini: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Frau Garavini, wie nahe sind Sie einem Bündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung, mit der Sie sich ja bisher spinnefeind waren?
Garavini: Die endgültige Entscheidung ist noch nicht getroffen worden, aber es sieht wahrscheinlich so aus, dass es doch zu einer Regierungskoalition kommen könnte. Es ist noch offen, es ist ein sehr schwieriger Prozess, es könnte auch noch scheitern. Aber wie gesagt: Es sieht doch wahrscheinlich so aus.
Heckmann: Vor wenigen Tagen erst, Frau Garavini, da waren Sie sich sicher, dass es nicht zu einer Zusammenarbeit mit den Fünf Sternen kommen werde. Erst am 10. August haben Sie uns hier im Deutschlandfunk auch ein Interview gegeben und da haben Sie auf die Frage, ob Sie es für ausgeschlossen halten, folgendes gesagt:
O-Ton Laura Garavini: "Ja, ich schließe das aus, weil in dieser Legislaturperiode hat sich die Fünf-Sterne-Bewegung als ein unverlässlicher Koalitionspartner erwiesen. Sie haben uns schon mehrere Themen geklaut. Aber ihr Verhalten war so, dass ich das in der Tat ausschließe, dass wir mit denen eine Regierung auch jetzt für eine kurze Zeit schaffen. Wie gesagt, das schließe ich völlig aus."
Heckmann: Vor weniger als drei Wochen haben Sie das noch komplett ausgeschlossen. Was hat sich denn inzwischen eigentlich geändert?
Garavini: Es hat sich viel geändert. Salvini versucht weiterhin mit denen einen Weg zu finden. Er hat die x-te absurde Kapriole noch mal gemacht. Aber die Fünf-Sterne-Bewegung hat sich auf einmal doch bereit erklärt, auch eine Koalition zu machen, und innerhalb unserer Partei ist es auch ein Prozedere gewesen. Immer mehr von uns haben doch die Chance gesehen, Salvini zu stürzen, gerade aufgrund der absurden Art und Weise und der absurden Behauptungen, die er in den Tagen gemacht hat. Und es ist uns in der Tat gelungen, dank dieser Änderung unserer politischen Haltung gegenüber der Fünf-Sterne-Bewegung, zusammen mit deren Benehmen, tatsächlich innerhalb kurzer Zeit Salvini zu stürzen, was noch vor zwei Wochen keiner sich hätte vorstellen können.
"Die große Frage ist, ob sie sich als verlässliche Partner zeigen werden"
Heckmann: Der Punkt ist angekommen. Trotzdem die Frage: Was macht denn die Fünf-Sterne-Bewegung jetzt plötzlich zu einem verlässlichen Koalitionspartner, während es vor drei Wochen noch von Ihrer Seite hieß, sie seien unzuverlässig?
Garavini: Das ist leider immer noch offen. Es ist in der Tat überhaupt nicht sicher, selbst wenn es zu einer Regierungskoalition kommt, dass das überhaupt klappt. Das heißt, es ist wirklich die große Frage, ob sie sich dann doch als verlässliche Partner zeigen werden. Zuerst ist bei deren Äußerungen doch ein großer Unterschied da. Es bleibt nach wie vor so. Sie haben uns jahrelang immer wieder ganz hart angegriffen, wirklich hart beleidigt und und und. Aber hier geht es um die Verantwortung gegenüber dem Land. Hier geht es um die Interessen des Landes. Hier geht es nicht um persönliche Verletzungen. Wir sind der Meinung, es ist schon notwendig, Verantwortung zu übernehmen, alles Mögliche zu schaffen, um zu vermeiden, dass eine Mehrwertsteuererhöhung stattfindet, um zu vermeiden, dass es der Wirtschaft noch schlechter geht, als es jetzt schon der Fall ist, und um das zu versuchen. Man muss ganz konkret sagen, das ist ein Versuch. Aber es ist einen Versuch wert.
Heckmann: Ein Versuch mit Risiko. Innenminister Salvini von der Lega sagt, Sie ketten sich jetzt an Ihren bisherigen Gegner, nur um Neuwahlen zu verhindern. Er selbst habe keine Angst vor dem Votum des Volkes. Haben Sie Angst vor Neuwahlen, vor dem Votum des Volkes? Ist das der wahre Grund?
Garavini: Wir haben keine Angst vor den Wahlen, natürlich nicht. Aber wir sind der Meinung, Neuwahlen würden bedeuten, dass sie frühestens Anfang Dezember ermöglichen könnten, dass die neue Regierung ins Amt tritt. Das würde heißen, wir würden es gar nicht schaffen, das Bilanzgesetz rechtzeitig zu bewilligen, auch gegenüber Europa, aber auch überhaupt was das Land anbelangt.
Heckmann: Das ist das Haushaltsgesetz, das geplant ist.
Garavini: Genau, das Haushaltsgesetz. Und wir würden es nicht hinkriegen, dass diese Erhöhung der Mehrwertsteuer in Kraft treten würde. Das würde zusätzliche 23 Milliarden für das Land bedeuten. Das heißt, es wäre fast hundertprozentig so, dass dadurch die Wirtschaftslage massiv verschlechtert würde, und gerade was die sozial schwächsten Schichten der Italiener anbelangt, würden die natürlich die Kosten tragen. Um das zu verhindern, denken wir, ist es schlau, klug und vor allem vernünftig zu versuchen, gerade die neue Konstellation auszunutzen.
Es ist uns schon gelungen, Salvini innerhalb des Parlaments zu stürzen, was keiner sich vor zwei Wochen hätte vorstellen können. In so einer kurzen Zeit ist es uns gelungen, die politische Situation Italiens völlig zu ändern. Und jetzt A ist die Frage, ob es gelingt, durch die Verhandlungen eine Regierung zu gründen, und dann ist natürlich auch nicht sicher, dass es klappt. Aber es lohnt sich auf jeden Fall, das auszuprobieren.
"Es könnte bis zur letzten Sekunde noch scheitern"
Heckmann: Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten scheinen sich ja in der Frage jetzt zu verhaken, wer Ministerpräsident werden oder bleiben soll, Conte oder eine andere Person. Denken Sie, dass eine Koalition daran scheitern könnte?
Garavini: Wie gesagt, es sieht wahrscheinlich so aus, dass es klappt. Aber es könnte bis zur letzten Sekunde noch scheitern. Conte beispielsweise war nicht unser Idealkandidat, denn er hat eigentlich die ganzen Salvini-Gesetze problemlos unterschrieben. Das heißt, gerade da, wenn wir jetzt eine Regierung der Wende möchten, ist Conte nicht der idealste Mann dafür.
Heckmann: Das heißt, Sie schließen das aus, dass Conte Ministerpräsident bleibt?
Garavini: Nein, nein! Es ist wahrscheinlicher geworden, da wir natürlich auch kompromissbereit sind. Es geht vor allem um Inhalte. Daher sind die Verhandlungen noch am werden.
Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Sie könnten mit einem Ministerpräsidenten Conte doch leben?
Garavini: Ja, genau. Es sieht zunächst so aus. Wie gesagt, es ist klar, dass es immer ein Hin und Her ist, und die Verhandlungen versuchen, vor allem was Inhalte, was das Programm anbelangt, unsere Linie durchzusetzen, so dass selbst Conte als Regierungschef schon in Frage kommen könnte.
Heckmann: Dann kommen wir noch mal kurz zu den Inhalten am Schluss unseres Gesprächs. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat das sogenannte Bürgergeld durchgesetzt, eine Art Sozialhilfe. Bisher waren Leute ohne Einkommen in Italien auf die Caritas oder die Familie angewiesen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat außerdem durchgesetzt, dass Kettenverträge in Zukunft nur eingeschränkt möglich sind. Das ist in Deutschland ja auch schon lange der Fall. Sind die Fünf Sterne vielleicht die besseren Sozialdemokraten, denn das sind ja Reformen, zu denen der PD nicht in der Lage war?
Garavini: Nein! Ich wüsste nicht, warum. Willy Brandt hat einmal gesagt, die Sozialdemokratie ist die Partei des donnernden sowohl als auch. Die Fünf-Sterne-Bewegung sind alles andere als eine Politik des sowohl als auch. Im Gegenteil! Sie stehen für Schwarz-Weiß, für alles oder nichts. Das ist gerade nicht sozialdemokratisch und ist vor allem die falsche Politik, um eine ausgewogene Politik für alle, für das ganze Land zu machen.
Was das Bürgergeld anbelangt: Wir waren diejenigen, die schon eine Art Sozialhilfe eingeführt hatten, Reddito di inclusione. Das ist nicht sehr wahrgenommen worden, aber das hatten wir strukturell eingeführt. Und was das Bürgergeld anbelangt ist es so: Wir sind beispielsweise eher dafür, dass das verbunden ist mit der Möglichkeit, auch Arbeit zu finden, dass das nicht so ist wie bei der Fünf-Sterne-Bewegung, dass man einfach Geld bekommt und das war es.
Und übrigens: Wenn sie eine sozialdemokratische Partei wären, wären sie beispielsweise dafür, dass gleich die Salvini-Gesetze abgeschafft werden zum Thema Sicherheit, was bis jetzt leider noch nicht der Fall ist. – Also wie gesagt: Alles andere als eine sozialdemokratische Partei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.