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Demokratie, die Schere im Kopf und der Kommerz

Nach der orangenen Revolution stand auch die Welt der Medien in der Ukraine auf dem Kopf. Und fragt man die Menschen dort heute, anderthalb Jahre später, was die wichtigste Errungenschaft dieser Revolution sei, so kommt die Antwort prompt: die Pressefreiheit.

Von Isabella Kolar |
    Taras Schewtschenko, Direktor des Instituts für Medienrecht in Kiew:

    "Das Wichtigste ist, dass der Staat die Massenmedien nicht mehr kontrolliert, wie er das zur Zeit von Ex-Präsident Kutschma getan hat. Früher gab es eine sehr strenge totale Kontrolle, damit in den Medien nur noch die "richtige" und überprüfte Information erscheint. Das gibt es jetzt nicht mehr."

    Die sogenannten "Temniki", die Richtlinien der Präsidialadministration, die den Redaktionen von Zeitung, Radio und Fernsehen täglich vorgaben, wie über was zu berichten sei, gehören der Vergangenheit an.
    Die Medienlandschaft der Ukraine ist mit der Revolution förmlich explodiert, hunderte private Fernsehkanäle konkurrieren miteinander und auch am Zeitungskiosk fällt die Entscheidung bei all der Vielfalt schwer.
    Ukrainische Journalisten können über alles schreiben und können alles kritisieren, ohne rechtliche Folgen fürchten zu müssen, doch auch oft ohne irgendeine Wirkung bei den politisch Verantwortlichen, weiß der Medienexperte Sergej Taran:

    "Die ukrainischen Beamten reagieren sehr oft überhaupt nicht auf die Kritik in den Massenmedien. So entsteht die paradoxe Situation, dass die Journalisten zwar die Freiheit des Wortes haben, aber trotzdem nicht die vierte Gewalt sind. Sie können schreiben was sie wollen, aber das hat kaum Einfluß auf die Politiker. Das wird sich erst ändern, wenn wir eine wirklich starke Opposition haben."

    Die Rolle einer kontrollierenden vierten Gewalt war für viele ukrainische Journalisten auch nicht von Anfang an selbstverständlich. Die alte sowjetische Schere im Kopf verhinderte allzu deutliche Kritik an der Macht. Erst die offene Konfrontation eines Kollegen mit dem Präsidenten des Landes, Viktor Juschtschenko, führte vor acht Monaten erstmals zu einer wirklichen Diskussion über das Selbstverständnis der Medien im Land. Der Präsident hatte den Journalisten, der dem luxuriösen Lebensstil seines Sohnes auf der Spur war, öffentlich gemaßregelt, was eine Welle der Empörung zu Folge hatte. Juschtschenko entschuldigte sich schließlich. Taras Schewtschenko:

    "Dieser Konflikt war für die Massenmedien sehr positiv. Er hat die Journalisten zusammengeschweißt und ihnen die Möglichkeit gegeben ihre Rolle besser zu verstehen. Bis zu diesem Konflikt haben alle davon gesprochen, dass man für die Macht arbeiten muß. Danach verschwanden diese Illusionen darüber, dass man den Präsidenten unterstützen muss."

    Doch die Zensur durch die Macht wurde mittlerweile ersetzt durch das Diktat der Geldes. Viele Journalisten produzieren gerade jetzt vor den Parlamentswahlen Auftragsarbeiten für Parteien oder Firmen. Für die Kommerzialisierung des Journalismus in der Ukraine gibt es oft ein ganz einfaches Motiv: Geldnot, sagt Wachtang Kipiani, Journalist des TV-Senders K1:

    "Ohne ein Anheben des Lebensstandards der ukrainischen Journalisten, ohne ein besseres Prestige dieses Berufes kann man dieses Problem nicht lösen. Der Beruf des Journalisten ist bei uns - außer in Kiew - der Beruf der Armen. Vor allem in den Regionen sind das sehr arme Leute. Deshalb sind sie oft bereit für einen Sack Zucker oder ein Stück Fleisch über einen Politiker zu berichten. Ich selbst habe als Parlamentskorrespondent gearbeitet und oft kamen die Pressesekretäre einzelner Politiker zu mir und sagten: dafür dass du unseren Politiker interviewst, bekommst du 50 Dollar."