"Natürlich - wir haben diese Ringvorlesung vor einiger Zeit geplant, also vor über einem Jahr - hat die Debatte uns sozusagen in die Hände gespielt. Also die öffentliche Debatte. Die sich ja dann innerhalb der letzten Monate doch intensiviert hat. Auch aus bedauerlichen Gründen natürlich überwiegend. Also sei es der Anschlag auf Charlie Hebdo oder eben die -Demonstrationen."
Marianne Kneuer ist an der Universität Hildesheim Professorin für Politikwissenschaft und Initiatorin der Veranstaltungsreihe "Demokratie und Islam".
"Wir haben dann erkannt, dass unsere Ringvorlesung möglicherweise bei der Betrachtung dieses Verhältnisses von Demokratie und Islam helfen kann, zu versachlichen und dabei ebenso Stereotypen-Bildung entgegenwirken kann, wie aber auch durchaus problematische Aspekte diskutieren kann."
Ein oft sehr spannungsreiches Verhältnis, denn, wie die Politikwissenschaftlerin sagt, fügt sich der "Glaube nicht ohne Weiteres in die moderne demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung ein".
Sie beruft sich dabei auf den 1864 geborenen Soziologen Max Weber. Er war einer der Begründer der deutschen Soziologie und hat vor allem die Religions- und Herrschaftssoziologie entscheidend geprägt. Marianne Kneuer:
Sie beruft sich dabei auf den 1864 geborenen Soziologen Max Weber. Er war einer der Begründer der deutschen Soziologie und hat vor allem die Religions- und Herrschaftssoziologie entscheidend geprägt. Marianne Kneuer:
"Dieses Spannungsverhältnis basiert auf den grundlegend anderen Funktionsweisen, Funktionslogiken aber auch Handlungslogiken und Denklogiken dieser beiden Sphären. Weber hat ja davon gesprochen, dass das unterschiedliche Wertsphären und Lebensordnungen sind, Religion und Politik. Und dann kann man natürlich auch Staat und Kirche und Recht und Moral ebenfalls als Gegensatzpaare aufmachen."
Religion und Politik
Marianne Kneuer sieht den Grund für dieses Spannungsverhältnis in der Rationalität, der Politik und Staat folgen müssen, auf der einen und der ethischen Orientierung der Religionen auf der anderen Seite. Ein Spannungsverhältnis, das sich über die Jahrhunderte aufgebaut hat und das bis heute besteht.
In den Vorträgen der öffentlichen Ringvorlesung an der Universität Hildesheim geht es um den Islam im Speziellen und zentral um die Frage zur Rolle des Islams in der deutschen und internationalen Politik.
Schon die ersten drei Veranstaltungen stießen beim Publikum auf große Resonanz.
"Das freut uns, zeigt aber auch, wie sehr das Thema die Bürger beschäftigt. Und zwar alle Altersgruppen. Wir haben natürlich unsere Studierenden, aber wir haben interessanterweise auch eine große Gruppe von älteren Bürgerinnen und Bürgern und viele Kolleginnen und Kollegen von der Universität aus anderen Fächern, die sich ebenfalls für dieses Thema interessieren und mitdiskutieren."
Die lebhaften Diskussionen im Anschluss an die Vorträge sind wichtige Bestandteile der Hildesheimer Veranstaltungsreihe. Ein wichtiges Ziel sei es nämlich, dass "diese unterschiedlichen Segmente, Junge, Ältere, Muslime, Nicht-Muslime, Christen, sich austauschen können und ins Gespräch kommen."
Außerdem setzt Marianne Kneuer große Hoffnung darauf, dass diese offenen Gespräche dabei helfen sollen "sich gegenseitig besser kennenzulernen, Stereotype abzubauen, aber vielleicht auch auf Probleme hinzuweisen."
Brisantes Thema mit Konfliktstoff
Dr. Jörn Thielmann von der Universität Erlangen-Nürnberg, beschäftigte sich in seinem Beitrag mit dem religiösen Gesetz des Islams, mit der Scharia, die auf dem Koran basiert. Ein brisantes Thema, das jede Menge Konfliktstoff birgt. Die Anwendung und Auslegung der Scharia durch streng gläubige Muslime, steht oft im krassen Gegensatz zur Rechtsprechung in den Zuwanderungsländern, wie der Hildesheimer Professor Hannes Schammann schildert.
"Ein Beispiel ist, dass dann aus dem Koran zitiert wird, dass der Mann die Frau schlagen dürfe und wie sich das dann mit dem deutschen Rechtssystem vereinbaren lasse. Solche Fragen kommen auf, solche Fragen lassen wir auch zu und kontern mit Fakten und einer nüchternen Einordnung."
Der Politikwissenschaftler ist einer der drei Initiatoren der Hildesheimer Ringvorlesungen. Sein Forschungsschwerpunkt an der Universität Hildesheim sind Migrationspolitik, Flucht und Asyl.
"Was mich da fasziniert ist, dass es eine sehr bunte, dynamische, vielfältige Szene ist, die sich sehr unterschiedlich entwickelt. Wir haben einmal Jugendarbeit in großen Verbänden, wie DITIB oder Ahmadiyya Muslim Jamaat, die sehr gut organisiert ist, die zunehmend auch eigene Jugendsatzungen bekommen, eigene Jugendarbeit, wie man es von der katholischen, evangelischen Kirche auch kennt und die auch dem Sozialgesetzbuch und dessen Definition von Jugendarbeit entsprechen. Also das sind sehr deutsche, sehr demokratische Strukturen der Jugendarbeit in den Verbänden."
Ressentiments nehmen zu
Schaut man sich einige Projekte junger Muslime an, wird das sehr deutlich. Da werden Obdachlosenspeisungen, Seniorenheimbesuche, Straßenkehraktionen zu Neujahr oder Charityläufe zugunsten von Hilfsorganisationen organisiert. Die Pegida-Demonstrationen in Dresden nahm die Ahmadiyya Muslim Jamaat zum Anlass, eine groß angelegte Initiative zu starten, die für mehr Verständnis für den Islam sorgen soll. Seit dem 11. April dieses Jahres stehen wöchentlich jeden Samstag junge Muslime Bürgern in Dresden für offene Gespräche über den Islam zur Verfügung. "Muslime für den Frieden" haben die jungen Leute ihr engagiertes Projekt genannt. Auf den Internetseiten der islamischen Jugendorganisation kann man dazu lesen:
"Als größter muslimischer Jugendverband Deutschlands und mit dem Selbstverständnis als Teil der Zivilgesellschaft, nimmt die muslimische Jugendorganisation die Sorgen der Dresdner Bevölkerung ernst und antwortet auf ihre Fragen. Die zunehmenden Ressentiments und Vorbehalte gegen den Islam, bereiten der muslimischen Bevölkerungsschicht große Sorge. Diese können am besten durch Austausch und Dialog abgebaut werden."
Hannes Schammann hat in seiner Forschungsarbeit herausgefunden, dass sich ein Großteil der muslimischen Jugend immer mehr für weitere Reformen in der islamischen Migrations-Szene ausspricht und Neuerungen geradezu herbei sehnt.
"Dass also viele Jugendliche sagen, wir sind deutsche Muslime. Sie müssen jetzt nicht unbedingt immer die Freitagspredigt und alles, was damit zu tun hat, auf Türkisch hören und sie wollen eine andere Form auch der Moschee-Gemeinde haben. Also weg auch von dieser Migrantenorganisation und hin zu einer Religionsgemeinschaft in Deutschland. Und da gibt es auch einfach Initiativen, die sich selbstständig machen, die rausgehen, ihre eigenen Organisationen gründen. Ein Beispiel ist die muslimische Jugend in Deutschland, die seit Jahren schon Heimat ist, Verband ist für Jugendliche verschiedenster islamischer Prägung, die sich da zusammenfinden und ohne einen Erwachsenenverband existieren."
Junge Muslime stehen häufig im Blickpunkt öffentlicher Debatten
Hannes Schammann versteht die öffentliche Ringvorlesung der Universität Hildesheim als eine optimale Ergänzung zu seinen wissenschaftlichen Seminaren mit den Studenten. Junge Muslime stehen häufig im Blickpunkt öffentlicher Debatten. Meist beherrschen negative Meinungen über sie den Diskurs. Viele sehen sie als Angehörige sozial schwacher Gruppen an, die bildungsfern und dadurch auch potenziell gefährdet sind, in den islamistischen Extremismus abzugleiten. Schammann will versuchen diese Stereotype abzubauen. Er will die Studenten und die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass viele junge Muslime durchaus interessiert sind, aktive Mitglieder der Gesellschaft zu werden, und nennt ein interessantes Beispiel.
"Das Zahnrädernetzwerk, das sehr säkular unterwegs ist. Die versuchen nämlich "Social Entrepreneurship"-Ideen umzusetzen. Also die haben Projektbörsen und Wettbewerbe, wo sie dann die Gesellschaft gestalten wollen, aus einer muslimischen Überzeugung heraus. Es sind Muslime, aber was sie tun, ist, sich nicht zum Koranlesen treffen, sondern sie wollen in die Gesellschaft hineinwirken."
Beim Zahnrädernetzwerk fließen unternehmerische Ideen junger Muslime zusammen. Zum größten Teil sind es die von Professor Schammann erwähnten "Social Entrepreneurships", also Projekte, die darauf abzielen, mit innovativen Ideen einen positiven Wandel der Gesellschaft zu erreichen. Das Zahnrädernetzwerk bietet eine Beratungsplattform und hat die Funktion einer Denkfabrik. Solche Projekte und Plattformen bieten muslimischen Jugendlichen die Chance, sich zu entfalten und sich weiterzuentwickeln. Sie erfüllen den Zweck, den man generell selbstbestimmter und eigenverantworteter Jugendarbeit zuschreibt, nämlich eigene Stärken und Kompetenzen zu erkennen und aufzubauen.
"Es ist wichtig, dass sie auch als muslimische Akteure, Vereine wahrgenommen werden und dass die Gesellschaft sieht, dass ein produktiver, ein positiver Beitrag von muslimischer Seite zur Gesellschaft existiert und ein innovativer Beitrag existiert. Und das ist wichtig auch für ein vollständigeres Bild des Islams, als auch als Gegenbild zu den Debatten, die man so im Fernsehen und in Printmedien verfolgen kann, zum vermeintlich terroristischen Islam."
Mit der fortschreitenden Integration von Muslimen in die westliche Gesellschaft, sind auch Anregungen, Wünsche und Forderungen der Muslime an die Migrationsländer verbunden. Hannes Schammann räumt zwar ein, dass diese Forderungen so vielfältig und breit gefächert wie der Islam selbst seien, es aber dennoch einige Punkte gäbe, die für alle Muslime gleichermaßen wichtig seien.
"Und das ist die Forderung nach Anerkennung. Und zwar gesellschaftlicher Anerkennung und politischer Anerkennung und rechtlicher Anerkennung der islamischen Verbände in Deutschland. Dass man sich wünscht, dass man sichtbar sein kann im Stadtbild durch Moscheen. Dass auch ein Kopftuch nicht mehr zu Diskriminierung führt. Die große rechtliche Forderung ist natürlich die Anerkennung als Religionsgemeinschaft, um gleichgestellt zu sein mit den christlichen Kirchen."
Islam und Integration
Vor dem Hintergrund immer weiter fortschreitender Integration auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, stellt sich jedoch die Frage, wie sich der Islam in die demokratische Staatsordnung der Migrationsländer einfügt und wie sich Islam und Demokratie vereinbaren lassen. "Demokratie und Islam" - so lautet schließlich das Motto der öffentlichen Ringvorlesung an der Universität Hildesheim. Wie demokratisch der politische Islam im Nahen Osten ist, ist Thema eines Vortrages, den der Hildesheimer Politologe Thomas Demmelhuber am 9. Juni halten wird. Er kann durch viele Forschungsaufenthalte in den Ländern der arabischen Welt wichtige Erkenntnisse in die Diskussion einbringen. So zum Beispiel die Feststellung, dass es in dieser Region eine starke Verdichtung von nichtdemokratischen Herrschaftsformen gibt, wie Demmelhuber es ausdrückt. Dies sei eine wichtige Basisinformation für die Diskussion, die seit Jahren geführt wird. Demmelhuber:
"Ist der Islam kompatibel mit der Demokratie, ja oder nein? Wo es auch in der Wissenschaft unterschiedliche Argumentationsschienen gibt. Wo es auch Vertreter des Fachs gibt, die einfach hier eine gewisse Inkompatibilität des Islams mit der Demokratie annehmen, aber auch natürlich andere, die sagen, okay, es gibt natürlich eine Kompatibilität von Islam und Demokratie. Dieses Spannungsverhältnis ist einfach zu grobkörnig, weil es einfach nicht den Islam gibt. Es gibt sehr, sehr viele Strömungen im Islam, also dass einfach hier das Plädoyer sein wird, wir brauchen eine länderspezifische Analyse, um diese Frage zu beantworten."
Damit meint Professor Demmelhuber eine intensive Beschäftigung mit den politischen Akteuren in den verschiedenen arabischen Ländern und der politischen Situation dort. So sei es nicht die sunnitisch-islamistisch geprägte Bewegung der sogenannten Muslimbruderschaft gewesen, die den Arabischen Frühling in Ägypten eingeleitet hätte, sondern:
"Die Muslimbruderschaft ist auf den Protest aufgesprungen. Es waren eher säkular motivierte jugendliche Protestgruppen, die einfach hier eine gewisse Massendynamik und eine Breitenwirkung erreichen und generieren konnten. Man kann sicher aus der Ferne durch die Analyse von sozialen Netzwerken, wo solche Akteure des politischen Islams sehr aktiv sind, herausfinden, analysieren. Aber am Ende des Tages sind es qualitative Erhebungen, Gespräche, Interviews mit den Beteiligten, die dann das komplette Bild abgeben."
Wenn die Vorlesungsreihe "Demokratie und Islam" Anfang Juli mit der letzten Veranstaltung, einer Podiumsdiskussion unter anderen mit dem Beauftragten für Kirche und Islam der evangelischen Kirche, Professor Wolfgang Reinbold und dem Vorsitzenden des muslimischen Landesverbandes Schura Niedersachsen, Avni Altiner zu Ende gegangen sein wird, wünscht sich die Initiatorin und Gastgeberin Professor Marianne Kneuer, "dass dieser Dialog nach unseren Veranstaltungen weitergeht. Dass auf den Gängen außerhalb des Hörsaals diese Gruppen, die Jungen, die Alten, die Christen und die Muslime im Gespräch bleiben. Und natürlich wäre ein schönes Ergebnis, wenn wir erreichen könnten, dass verschiedene Bilder und bestimmte Vorstellungen, die jeder von dem anderen hat, vielleicht einfach bereichert werden und dass dieser Dialog dadurch leichter werden kann."