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Demokratie von Königs Gnaden

Bhutan ist das letzte absolutistische Königreich im Himalaja. Doch nun möchte der König die Alleinherrschaft lockern. Zum ersten Mal sollen Bhutans Bürger zwischen zwei Parteien wählen können: Nur weiß keiner genau, wie so eine Demokratie funktioniert und auch der König will nur pro forma seine Macht teilen.

Von Ingrid Norbu |
    Ein seltsames Bild bietet sich den Fernsehzuschauern neuerdings in Bhutan: Politiker, sogar Exminister, haben sich in die entfernten Distrikte des Himalajakönigreichs begeben, tagelange Fußmärsche auf sich genommen, um nun mit einem Mikrofon in den Hand in einem improvisierten Zelt zu stehen und um die Stimmen der ländlichen Bevölkerung zu werben.

    Nur zwei Parteien treten zur ersten demokratischen Wahl in Bhutan an. Keine große Auswahl! Was versprechen die Kandidaten den Menschen? Dazu die 23-jährige Tsering Choden in der Hauptstadt Thimpu, die zukünftig selbst als Beamtin in einem ländlichen Distrikt arbeiten wird.

    "Was immer die Leute wünschen, die Kandidaten versprechen ihnen, alles zu erfüllen. Zum Beispiel in den entlegenen Gebieten Bhutans, wo es keine Straßen gibt und keinen Strom, versprechen sie, das zu ändern. Besonders Straßen wollen sie bauen, wenn sie gewählt werden, dann auch Telefonleitungen legen, für sauberes Wasser sorgen und Krankenhäuser bauen. Beide Parteien versprechen im Grunde das Gleiche: Sie wollen die Lebenssituation der Dorfbevölkerung verbessern helfen."

    Politische Parteien waren bisher in Bhutan verboten. Als Anfang der 1990er Jahre der Ruf nach Demokratie und einer Machtbeschränkung des Königs laut wurde, wurden die Protagonisten der Veränderung ins Gefängnis gesteckt oder ins Exil getrieben. Der König selbst hat nun einen Verfassungsentwurf vorgelegt und dem Wandel damit etwas Raum gegeben. Neben der "Demokratischen Volkspartei Bhutans" tritt die "Druk Phuensum Tshogpa-Partei" zu den Wahlen am 24. März an, ein Parteiname, der auf die Vollkommenheit des Landes und Harmonie in ihm setzt. Ihr Parteisprecher Palden Tsering erklärt das Besondere der demokratischen Reformen im Land.

    "Bhutans Demokratie ist neu und völlig anders als in Ländern wie Indien, wo sich die Bevölkerung die Demokratie gegen die Kolonialmacht Großbritannien erkämpfte, oder die USA, die gegen ihr Mutterland revoltierten. In beiden Fällen war die Demokratie das Ergebnis von gewalttätigen Ausschreitungen, der Wunsch der Bevölkerung nach einem Wandel. In Bhutan aber wollten die Menschen überhaupt nicht, dass sich etwas verändert. Es war der Wunsch und die Weisheit seiner Majestät, unseres vierten Königs, diese Form der Demokratie zu schaffen, damit wir an Entscheidungen teilnehmen und mehr Verantwortung für unser tägliches Leben übernehmen."

    Wie ein Echo schallt es durch das ganze Land: eine Demokratie ohne Blutvergießen, ohne Revolution, Demokratie als Geschenk des Königs. Bei genauerem Hinsehen wird sichtbar, wie eng der Rahmen ist, innerhalb dessen die Menschen in Bhutan zukünftig mitsprechen und mitgestalten dürfen. Die Führungsspitzen beider Parteien, die zur Wahl zugelassen wurden, bestehen aus ehemaligen Ministern. Egal, welche der Parteien gewinnt und ihren Präsidenten zum Premierminister kürt, es wird auf jeden Fall ein Verwandter des Königs sein.

    Eine der Voraussetzungen für die Wählbarkeit der Kandidaten ist auch, dass sie einen Hochschulabschluss haben, den aber nur etwa 10000 Personen im Land nachweisen können, eine Maßnahme, die die der Präsident der Wahlkommission Kunzang Wangdi, der als Dasho zum Adel des Landes gehört, so begründet.

    "Da wir die Monarchie durch die Wahlen in eine parlamentarische Demokratie umwandeln, müssen wir sicherstellen, dass die Parteien qualifizierte Kandidaten aufstellen, die nicht nur eine stabile Regierung bilden, sondern sogar noch besser regieren können, als es der König bisher getan hat."

    Der übrigens keinen Hochschulabschluss nachweisen kann. Die zukünftigen 47 Mitglieder der Nationalversammlung wird also aus einem Kreis westlich Gebildeter bestehen, was selbst ein Hochschulabsolvent wie der 25-jährige Tashi Wangschuk nicht als Vorteil für die Zukunft Bhutans ansieht.

    "Ehe bei uns die Parteien-Demokratie eingeführt wurde, hatte jedes Dorf seinen Vertreter in der Nationalversammlung. Die konnten Fragen stellen und über den Fortschritt in unserem Land entscheiden. Nun wurde diese Nationalversammlung aufgelöst und die zukünftigen Mitglieder werden Hochschulabsolventen sein. Das macht mich traurig. Nun geht uns so viel praktische politische Erfahrung verloren. Man kann auch ein guter Politiker sein, ohne solch ein Papier, wie beispielsweise Abraham Lincoln gezeigt hat, der nur die zehnte Klasse absolviert hatte. Das macht mich traurig."

    Den Menschen in Bhutans Hauptstadt Thimphu braucht man keine Straßen, keinen elektrischen Strom, kein Telefon, Internet, keine Krankenhäuser versprechen. Sie haben das alles. In der Hauptstadt und den angrenzenden Distrikten, den "Schaufenstern" für die wenigen westlichen Touristen, die gegen hohe Tagespauschalen überhaupt in Bhutan einreisen dürfen, mischen sich Fortschritt und Tradition auf so perfekte Weise, dass man sich in ein modernes, aber völlig intaktes Tibet versetzt fühlt: Alle Geschäfte, Restaurants und Andenkenläden entlang der Flaniermeile der Hauptstadt sind einheitlich weiß verputzt und haben konisch zulaufende Fenster mit Holzschnitzereien. Die Fassaden sind mit Drachen, Schneeleoparden und Tigern bemalt. Gebetsfahnen flattern im Wind. Die Menschen auf der Straße tragen ihre traditionellen Trachten. Ampeln gibt es nicht, auch keine lauten Motorräder, die die Stille unterbrechen könnten. Werbetafeln sind verboten.

    Nun flattern Wahlplakate im Wind, die die Gesichter der Kandidaten zeigen, einige davon sind abgerissen. In den drei Zeitungen des Landes wird so etwas wie echte Wahlkampfstimmung "herbeigeschrieben", wie es auch Tashi Wandu, der Chefredakteur des "Bhutan Observer" versucht.

    "Wir berichten über Einschüchterungen der Wähler, Käuflichkeit, alles, was bisher der Wahlkommission zu Ohren gekommen ist, aber Untersuchungen wurden eingeleitet und die meisten Anschuldigungen erwiesen sich als falsch. Wir berichten zum ersten Mal über solche Vorgänge. Wir respektieren unseren Monarchen zutiefst und würden niemals etwas Negatives über ihn schreiben, aus purem Respekt. Über alles andere schreiben wir aber."

    So werden Dinge dramatisiert, aber die wirklichen Hindergründe für diesen demokratischen Wandel von oben dürfen nicht nachgefragt werden. Sobald die Rede auf die Parteien kommt, die sich Anfang der 90er Jahre in Bhutan gebildet hatten, die schon damals Demokratie und die Beschränkung der königlichen Macht forderten und deren Gründer ins Exil flüchten mussten, ist das Interview beendet.

    Um erneuten Forderungen nach einem modernen Staat vorzubeugen, hat der König nun seine Vorstellungen Demokratie durchgesetzt. Auch seinen Thron hat er seinem Sohn übergeben, obwohl er selbst nur 53 Jahre alt ist. Vermutlich auch, um dem Land auf diese Weise ein neues Gesicht und ein neues Image zu geben, das zuletzt durch die Vertreibung von etwa 100.000 Nepali-Bhutanesen aus dem Süden des Landes international an Ansehen verlor. Selbst Kritiker sehen trotz aller Einschränkungen vor allem das Positive an der königlichen Maßnahme, so etwas wie eine Parteiendemokratie einzuführen, was die Bildung einer Zivilgesellschaft betrifft.

    Indien, das sich selbst als die größte Demokratie bezeichnet, unterstützt das Land finanziell und sieht sich als Garant für die Sicherheit des Landes, an dessen nördlicher Grenze die chinesische Volksbefreiung steht, die dieses restliche Stück Tibet, wie sie es sehen, heim ins Mutterland holen möchte.