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Demonstranten fordern Regierungswechsel in Tunesien

Eine Woche nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi bleibt die Situation in Tunesien angespannt: Immer wieder kommt es zu teilweise gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern der Regierung.

Von Anne Allmeling |
    Alle Wege führen auf den Bardo-Platz. Zumindest für die Gegner der tunesischen Regierung. Jeden Abend versammeln sich Tausende Demonstranten an der Straßenkreuzung mitten in der Hauptstadt Tunis. Sie fordern den Rücktritt der Regierung.

    "Die Verfassunggebende Versammlung und die Regierung repräsentieren uns nicht mehr. Wir bleiben hier, bis das Regime stürzt."

    Seit dem Mord an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi ist die Kluft zwischen den regierenden Islamisten und der säkularen Opposition noch größer geworden. Die beiden Lager kämpfen um die Macht – und um die Werte, die ihnen wichtig sind. Viele Tunesier, die sich dem säkularen Lager zurechnen, sind praktizierende Muslime. Aber von der Regierung der islamistischen Ennahda-Partei wollen sie nichts wissen. Im Gegenteil: Sie machen die Islamisten für den Mord an Brahmi verantwortlich. Auch seine Witwe:

    "Die Gewalt in Tunesien ist kein Kampf zwischen zwei Gruppen. Das ist geplante Gewalt, verursacht von der Regierung."

    Die Demonstranten auf dem Bardo-Platz werfen der Regierung vor, nicht entschlossen genug gegen die steigende Gewalt der Extremisten vorzugehen - und mit den radikalen Salafisten zusammenzuarbeiten, die hinter dem Attentat an Brahmi vermutet werden. Innenminister Lotfi Ben Jeddou hat diesen Vorwurf zurückgewiesen - und bereits kurz nach dem Mord einen Hauptverdächtigen präsentiert:

    "In den Mord verwickelt ist ein extremistischer Salafist, der andere des Atheismus beschuldigt und bereits wegen Waffenhandel verurteilt wurde."

    Regierungskoalition zeigt erste Risse
    Mit den Erklärungen der Regierung geben sich die Demonstranten aber nicht zufrieden. Sie haben genug von der Ennahda-Partei. Bei der ersten freien Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung vor zwei Jahren hatte sie die meisten Stimmen bekommen - allerdings nicht genug, um alleine zu regieren. Deshalb hat die Ennahda eine Koalition mit zwei säkularen, eher linksgerichteten Parteien gegründet.

    Doch mittlerweile zeigt die Regierung Risse: Innenminister Lotfi Ben Jeddou hat seinen Rücktritt angeboten und eine Regierung der nationalen Einheit vorgeschlagen. Doch Ministerpräsident Ali Larayedh will Entschlossenheit und Stärke demonstrieren. Für den 17. Dezember hat er Parlamentswahlen angekündigt. Einen vorzeitigen Rücktritt der Regierung schließt er bislang aus. Viele Demonstranten ärgert das:

    "Die Rede des Ministerpräsidenten hat keinen Wert. Larayedh sollte zurücktreten. Seine Regierung ist auf allen Ebenen durchgefallen. Vor allem bei der Bekämpfung des Terrorismus."

    Extremistische Gruppen haben seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Ben Ali im Januar 2011 an Stärke gewonnen. In der vergangenen Woche wurden acht Soldaten ermordet - der schwerste Angriff auf die tunesischen Sicherheitskräfte seit Jahrzehnten. Die Gewalt der Extremisten macht vielen Menschen Angst.

    "Alle Tunesier haben Angst. Wenn wir das Haus verlassen, schauen wir immer genau hin, ob sich jemand dort versteckt."

    Die mangelnde Sicherheit ist nur eins der zahlreichen Probleme des Landes. Seit dem Sturz von Ben Ali steckt die tunesische Wirtschaft in einer schweren Krise, die Arbeitslosigkeit steigt.

    Inzwischen hat die größte tunesische Gewerkschaft der Regierung eine Woche Zeit gegeben, um zurückzutreten. Auch zahlreiche Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung boykottieren das Gremium bis auf weiteres. Sollte es mehr als ein Drittel der insgesamt 217 Abgeordneten werden, ist die Versammlung beschlussunfähig. Wie lange sich die tunesische Regierung noch halten kann, hängt jetzt vor allem vom Druck der Demonstranten ab.